Nach der ersten Begeisterung, als man von Clint Eastwoods Projekt hörte – die Kriegshandlungen auf der Insel Iwo Jima in zwei Filmen, sowohl aus amerikanischer als auch aus japanischer Perspektive zu erzählen, stellte sich nach dem ersten Teil Flags Of Our Fathers Ernüchterung ein. Eastwoods ambitioniertes Kriegsdrama war dramaturgisch nur Mittelmaß. Mit dem zweiten Teil „Letters From Iwo Jima“, der die japanische Sicht auf die Ereignisse vorstellt, legt Eastwood nach dem hervorragenden Drehbuch von Iris Yamashita jetzt allerdings einen Film vor, bei dem das künstlerische Konzept und dessen emotionale Dimension hundertprozentig zusammengehen.
Wie auch „Flags Of Our Fathers“ beruht „Letters From Iwo Jima“ auf schriftlichen Zeugnissen. Während von Clint Eastwood als Grundlage für den Film über die amerikanische Perspektive, deren Dreh- und Angelpunkt Joe Rosenthals Pulitzer-Preis prämiertes Foto war, der Roman von John Bradleys Sohn James benutzt wurde, stützt sich „Letters From Iwo Jima“ auf die Jahrzehnte nach der Schlacht gefundenen Briefe der japanischen Soldaten. Das Kunststück, das dem Regisseur im ersten Teil gelang, war, die Geschichte in nicht chronologischer Reihenfolge zu erzählen und die Geschehnisse nur Schicht um Schicht freizulegen. In seinem neuen Film geht Eastwood sehr viel gradliniger vor: Abgesehen von einigen kurzen Rückblenden ist der Schauplatz des Films die lediglich 21 Quadratkilometer große pazifische Vulkan-Insel Iwo Jima, die sich gut 1000 Kilometer südlich von Tokio befindet. Beispielhaft stellt Eastwood das Schicksal einiger Soldaten vor. Alle ahnen, dass es sich bei der Verteidigung der Insel um ein Selbstmordkommando handelt. Darunter sind Saigo (Kazunari Ninomiya), ein junger Bäcker, der unbedingt überleben will, Baron Nishi (Tsuyoshi Ihara), siegreicher Reiter der letzten olympischen Spiele, der Idealist Shimizu (Ryo Kase) und der überzeugte Soldat Ito (Shidou Nakamura). Das Oberkommando auf der Insel hat Generalleutnant Tadamichi Kurubayashi (Ken Wantabe, Last Samurai, Die Geisha) – ein großer Taktiker, der die amerikanische Kriegsstrategie sehr gut kennt.
„We are soldiers but we dig all the day”
Das erste Drittel des Films stellt die Figuren vor und macht mit den unwirklichen Gegebenheiten der Insel vertraut. Unzureichend versorgt mit Nahrung, Wasser, Waffen und Werkzeugen, erzählt Eastwood von den qualvollen Anstrengungen aber auch vom eisernen Willen und der Opferbereitschaft der Soldaten, die nach Plan ihres Kommandanten Tadamichi Kurubayashi tiefe Gänge in das Vulkangestein der Insel treiben, anstatt sich in Schützengräben auf die Verteidigung der Küsten zu konzentrieren. Aufgrund dieser neuartigen Kriegstaktik wurde aus dem erwarteten schnellen Sieg der Amerikaner ein blutiger Kampf, der 40 Tage dauerte und 7000 amerikanischen Soldaten das Leben kostete. Von den über 21 000 japanischen Soldaten auf der Insel starben fast alle.
Um die Geschehnisse auf Iwo Jima darzustellen, findet Altmeister Clint Eastwood (Million Dollar Baby, Mystic River) beeindruckende Bilder. Ähnlich, wie man es schon in „Flags Of Our Fathers“ gesehen hat, sind die Farben wieder ausgewaschen, so dass das Ganze mehr Ähnlichkeit mit einem Schwarz-Weiß-Film hat. Für seine Kameraarbeit wurde Tom Stern (The Last Kiss, Der Exorzismus von Emily Rose), der schon für den Vorgänger eine beeindruckende Bildsprache fand, mit dem Chicago Film Critics Association Award ausgezeichnet.
„Ich halte es für wichtig, dass die Zuschauer – nicht nur in Japan, sondern überall – erfahren, was für Menschen das waren.“ (Clint Eastwood über seinen Film)
Obwohl, oder vielleicht sogar gerade weil das Ende bekannt ist, bleibt der Film über seine ganzen 142 Minuten spannend und hoch dramatisch. Man lernt die Figuren immer besser kennen und nimmt Anteil an ihrem aussichtslosen Schicksal. So sehr sich die Amerikaner von den Japanern kulturell unterscheiden wie man im Zwillingsfilm sehen konnte, so ähnlich sind sie ihnen in anderen Dingen. Wenn man bei „Flags Of Our Fathers“ einen roten Faden benennen will, dann ist es sicher Reflektion über Wahrheit und Lüge – in „Letters From Iwo Jima“ ist es die Auseinandersetzung mit dem Fremden und dem Bekannten. Es gibt in dem Film immer wieder Stellen der Annährung, Momente, die deutlich machen, dass es durchaus Berührungspunkte zwischen den Kriegsparteien gibt. Der Kommandant der Japaner liebt Amerika. Voll Stolz trägt er immer noch die Pistole, die ihm bei einem Amerikabesuch geschenkt wurde. Auch die Soldaten unterscheiden sich in ihrer Todesangst nicht voneinander, genauso wie in ihrer Grausamkeit gegenüber dem Gegner. Ein emotionaler Höhepunkt des Films ist die Szene, in der der verwundete GI Sam (Lucas Elliott) bei den Japanern in Gefangenschaft gerät. Als ein Soldat den Verletzten töten will, interveniert Generalleutnant Tadamichi Kurubayash und lässt ihn pflegen. Dabei tauchen für beide Seiten mehr Gemeinsamkeiten auf als man es sich hatte vorstellen können. Doch genauso wie manche Szenen des Films die Gemeinsamkeiten herausstellen, machen andere die unglaubliche Distanz zwischen den Kulturen deutlich. Vor allem die Sequenzen, in denen die Offiziere samt ihren Untergebenen gegen den Willen ihres Kommandanten Seppuku (die ritualisierte Form der Selbsttötung) begehen, lassen den Zuschauer schaudern.
Die Geschichte wird – laut einem Sprichwort – von Siegern geschrieben. Umso wichtiger, dass Eastwood und sein Team die Geschichte der Sieger relativieren und auch den Unterlegenden ein Stimme verschafft. Wie auch in „Flags Of Our Fathers“, in dem er Schicht um Schicht die amerikanische Wahrheit abträgt und die aktuell salonfähige Kriegspropaganda seines Heimatlandes anprangert, dekonstruiert er auch in seinem neuen Film die Idee des Heldentums – nur wesentlich mitreißender. „Letters From Iwo Jima“ ist für vier Oscars nominiert. Außerdem wurde Eastwood für das Doppelprojekt „Flags of Our Fathers“ und „Letters From Iwo Jima“ mit dem Friedenspreis „Cinema for Peace Award“ ausgezeichnet. Die Filme werden sich ihren Platz in der Hall Of Fame des Antikriegfilms erobern.