Im Mai 2008 ist es endlich soweit: Klatschkolumnistin Carrie Bradshaw und ihre Schuhsammlung erobern die große Leinwand. Nach vier Jahren Abstinenz haben sich Sarah Jessica Parker, Kim Cattrall, Kristen Davis und Cynthia Nixon für den legendenumwobenen Sex And The City-Kinofilm wieder zusammengefunden. Allen, die bis dahin nicht warten können oder einfach einen wirklich guten Film sehen wollen, sei nun unbedingt Nadine Labakis feinfühliges Romantik-Drama „Caramel“ ans Herz gelegt. Dabei ist der libanesische Publikumsliebling mehr als nur ein Lückenfüller, in vielerlei Hinsicht steckt er sein New Yorker Pendant nämlich locker in die Tasche: Er macht genau so viel Spaß und bietet ebenso sympathische Figuren. Zusätzlich entpuppt er sich aber auch noch als echtes Kino mit starken Bildern und offenbart Tiefgang, ohne dass ihn dieser auch nur einen Tick weniger unterhaltsam machen würde. Ein Frauenfilm mit Schuhen und Anspruch – die perfekte Mischung, um Publikum und Kritik zu gefallen: So wurde „Caramel“ bei seiner Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes gefeiert, gewann den Publikumspreis in San Sebastian, brach in seiner Heimat Kassenrekorde und wurde schließlich zum offiziellen libanesischen Oscar-Beitrag gekürt.
Im Schönheitssalon der hübschen Layale (Regisseurin Nadine Labaki selbst) sind die meisten Erinnerungen an das titelgebende „Caramel“ eher schmerzhafter Natur. Wie im Nahen Osten durchaus übrig, wird die klebrig-süße Substanz nämlich auch hier zur Haarentfernung eingesetzt. Zwischen den Kunden bleibt den Friseurinnen stets genug Zeit für ein Pläuschchen. Zu erzählen haben sie mehr als genug, stehen sie doch alle gerade an einem amourösen Wendepunkt in ihrem Leben: Chefin Leyale möchte mit ihrem verheirateten Geliebten endlich mehr Zeit als immer nur eine Nacht verbringen. Dabei übersieht sie völlig den netten Polizisten, der ihr nicht nur dauernd Knöllchen aufdrückt, sondern auch den Hof macht. Auch die kecke Rima (Joanna Moukarzel) sucht noch nach einem Partner fürs Leben. Anstatt auf den gut gebauten Paketboten hat sie jedoch ein Auge auf eine Kundin mit pechschwarzen Haaren geworfen. Für die muslimische Nisrine (Yasmine Al Masri) scheint es besser zu laufen, immerhin wird sie bald ihren Traummann heiraten. Doch Nisrine ist dummerweise schon lange keine Jungfrau mehr, was sich in der Hochzeitsnacht als großes Problem herausstellen könnte. Jamale (Gisèle Aouad) ist die erste Kundin des Tages. Sie hat soviele Liftings hinter sich, dass es schwer fällt, ihr Alter zu schätzen. Seitdem ihr Mann sie verlassen hat, versucht sie, ihre frühere Modelkarriere wieder aufzuwärmen. Mit mäßigem Erfolg…
Im ersten Moment wirken die vier Storylines keinesfalls neu. Doch der Film findet für jede der Geschichten einen erfrischenden, spannenden Ansatz. Layale: Bekannt – der Kampf einer jungen Singlefrau um einen verheirateten Mann. Neu – weil eine unverheiratete Frau in Beirut nicht einfach mit einem Mann auf ein Hotelzimmer gehen kann, muss Layale trickreiche Mittel und Wege finden. Rima: Bekannt – Frau verliebt sich in Frau. Neu – ohne viele Worte erzählt Labaki die lesbische Liebesgeschichte nur mit Hilfe von großartig komponierten Bildern, stark und sinnlich. Nisrine: Bekannt – die Braut kriegt vor der Hochzeit kalte Füße. Neu – um ihre Jungfräulichkeit wiederherzustellen, checkt sich die Muslimin als Französin namens „Pompidou“ getarnt in eine Schönheitsklinik ein. Jamale: Bekannt – Frau hat eine Midlife-Crisis. Neu – um sich selbst etwas vorzulügen, träufelt Jamale roten Nagellack auf ihre weißte Jeans. Ein eindringlicheres Kinobild wurde für die Wechseljahre selten gefunden. Manches davon klingt sicherlich nach starkem Tobak. Doch der Film bewahrt sich durchweg eine kecke Leichtigkeit. Er greift auch schwierigere Themen an, ohne dabei je belehrend oder bedeutungsschwanger zu wirken.
Würden gewisse Vorurteile zutreffen, müsste „Caramel“ ziemlich mies aussehen. Immerhin haben bisher weder ein Libanese noch eine Frau einen Regie-Oscar einheimsen können. Doch genau wie der Film geschickt jedes Klischee in der Handlung umschifft, bestätigt er auch diese Vorurteile nicht. Stattdessen serviert er warme, ausdrucksstarke Aufnahmen einer aufregenden Metropole. Sowieso ist das Bild, das hier von Beirut gezeichnet wird, sehr überzeugend. Immer wieder wird am Rande der Erzählung subtil auf die politischen, gesellschaftlichen und religiösen Spaltungen der Stadt eingegangen: Nisrine und ihr Verlobter sitzen flirtend im Auto. Das gefällt dem vorbeikommenden Polizisten/Sittenwächter gar nicht und schon landen die beiden auf der Wache. Dieses geschickte Nebeneinander von romantischem Genrekino und hintergründigen Anspielungen auf reale Gegebenheiten ist schlicht faszinierend.
Fazit: „Caramel“ bringt die oft widersprüchlichen Qualitäten Anspruch und Unterhaltung reibungslos unter einen Hut. Nachdem das Hollywood-Frauenkino mit Filmen wie Georgia Rule, Von Frau zu Frau und Mad Money zuletzt ziemlich dahindümpelte, ist nun halt der Libanon eindrucksvoll in die Bresche gesprungen.