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    Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt
    Von Carsten Baumgardt

    Ende der Siebzigerjahre avancierte Jacques Mesrine zum Staatsfeind Nummer eins in Frankreich und Kanada. Doch was trieb den Gewaltverbrecher, der sich auf das Ausrauben von Banken und Entführungen spezialisierte, an? War er tatsächlich ein moderner Robin Hood? Oder einfach eine von den Medien verklärte Drecksau, die sich mehr um ihr öffentliches Image scherte, als um die armen Seelen ihrer Opfer? Jean-Francois Richet geht dieser französischen Legende in seinem ambitioniert-packenden Crime-Biopic „Public Enemy No. 1“ nach. Das vierstündige Werk kommt als Zweiteiler in die Kinos. Den Anfang macht „Mordinstinkt“, einen Monat später folgt dann die Fortsetzung Todestrieb.

    1959: Heißsporn Jacques Mesrine (Vincent Cassel) kehrt der französischen Armee nach einem Einsatz im Algerien-Krieg den Rücken. Einerseits ist er enttäuscht von der Gewalt gegen Unschuldige, vielmehr nervt ihn allerdings, Befehlen von seiner Meinung nach unfähigen Vorgesetzten ausgeliefert zu sein. Er steigt ins kriminelle Milieu ein und erweist sich schnell als überaus talentierter Gangster. Mesrine wird zur rechten Hand des Pariser Unterweltbosses Guido (Gerard Depardieu). Der erste Mord lässt nicht lange auf sich warten. Mesrine flüchtet nach Spanien. Dort lernt er Sofia (Elena Anaya) kennen. Das Paar heiratet und bekommt drei Kinder. Doch das bremst Mesrines kriminelle Energie keineswegs, nach einem Banküberall wandert er für 18 Monate in den Knast. So ist die Ehe mit der Spanierin bald Geschichte. Mit der wilden Femme Fatale Jeanne Schneider (Cécile De France) findet Mesrine schnell Ersatz. Gemeinsam begeht das kongeniale Duo wahnwitzige Beutezüge. Als das Pflaster in Frankreich zu heiß wird, setzt sich das Gangster-Paar nach Kanada ab. Hier trifft Mesrine auf Jean-Paul Mercier (Roy Dupuis), der für die Befreiungsfront Quebecs kämpft. Weiterer Ärger ist vorprogrammiert…

    „Ich bin ein Feind der Banken, aber kein Feind der Bürger“ – Jacques Mesrine

    In seiner 1977 im Hochsicherheitsgefängnis La Santé in Paris geschriebenen Biographie „L’instinct de Mort“ (dt.: „Der Todestrieb“) bekannte sich Jacques Mesrine (1936-1979) freimütig dazu, mindestens 40 Schwerverbrechen begangen zu haben – von Mord über Banküberfälle bis hin zu spektakulären Entführungen. Er gilt als einer der charismatischsten Kriminellen Frankreichs, als Ausbrecherkönig, als „Mann mit den tausend Gesichtern“. Diesen Ruf erwarb er sich durch seine phantasievollen und vor allem effektiven Verkleidungen, mit denen er die Polizei provozierte und vorführte. Sein Bild in der Öffentlichkeit, das eines Gentleman-Gangsters, der nur die Reichen ausraubt, ging in der Endphase seines Lebens, als Mesrine immer brutalere Verbrechen beging, den Bach runter. Am 2. November 1979 stoppte ein 80-köpfiges (!) Sonderkommando der französischen Polizei Mesrine und seine Freundin Sylvie Jeanjacquot (Ludivine Sagnier) in Paris. Eine Armada von Scharfschützen stellte den meistgesuchten Mann dieser Zeit in seinem Auto vor einer Ampel und richtete ihn mit 19 Schüssen aus einem Lkw heraus förmlich hin.

    Filmstarts.de-Starporträt: Vincent Cassel

    Dieser Geschichte, die bereits 1984 von André Génobès mit mäßigem Erfolg verfilmt wurde, begegnet Regisseur Jean-Francois Richet (Das Ende, „De L’Amour“) mit akribischem Eifer. Im Gegensatz zur thematisch verwandten Bernd-Eichinger-Produktion Der Baader Meinhof Komplex wählt Richet nicht den Ansatz des in Deutschland berühmt-berüchtigten Amphibienfilms, bei dem Großprojekte zugleich für die große Leinwand als auch (zumeist in einer längeren Version) für den kleinen Fernsehschirm produziert werden. „Public Enemy No. 1“ ist Kino pur und - der Komplexität der Vorlage angemessen – trotz der Vermarktungsproblematik in einen Zweiteiler verpackt. So bleibt viel Zeit, sich dem Protagonisten zu nähern, ohne mit Hast durch die historischen Stationen zu galoppieren, wie dies Uli Edel in „Der Baader Meinhof Komplex“ tat.

    „Keiner tötet mich ohne mein Einverständnis.“ – Jacques Mesrine

    Gleich im elektrisierenden Prolog zeigen Richet und sein Kameramann Robert Gantz (Das Ende, Mindhunters) mit eleganten Splitscreen-Kompositionen, dass sie Kino und kein Fernsehen im Kopf haben. Im Gegensatz zum herkömmlichen Einsatz dieser Technik wird hier nicht einfach nur eine Szene aus unterschiedlichen Perspektiven präsentiert, stattdessen sind unterschiedliche Takes zu sehen. In diesen tut Mesrine zwar dasselbe, Rauchen zum Beispiel, aber eben doch immer ein wenig anders. Das unterstreicht eine Texteinblendung, die Richet seinem Film voranstellt und mit der er zum Ausdruck bringt, dass sein Werk nur eine von vielen Möglichkeiten ist, sich der Person Mesrine zu nähern. Diesen auffälligen Stil, der an moderne Actionfilme erinnert, greift der Regisseur erst wieder im zweiten Teil auf. „Mordinstinkt" erinnert nach der Eröffnung mit seinen klar komponierten Einstellungen eher an klassisches Mafiakino à la Der Pate.

    Das Herzstück von „Public Enemy No. 1“ bleibt aber die Charakterzeichnung. Richet geht behutsam vor und nutzt die epische Breite seiner vierstündigen Spielzeit, um ein differenziertes Bild des hochgradig ambivalenten Jacques Mesrine zu zeichnen. Weder verherrlicht er den Gangster, noch prangert er ihn als Inkarnation des Teufels an. Stattdessen überlässt Richet dem Publikum eine Einordnung der Taten. Trotzdem weist der Film die entsprechende Härte auf, die für ein solches Thema notwendig ist. Die Actionszene sind rasant und energiegeladen, aber nicht dominant.

    Für dieses Prestigeprojekt hat sich die Elite der französischen Schauspielgilde zusammengetan. Topstar Vincent Cassel (Tödliche Versprechen, Die purpurnen Flüsse, Hass – La Haine) ist mit seinem Talent und Charisma für die Porträtierung des Jacques Mesrine wie geschaffen und ideal besetzt. Im ersten Teil „Mordinstinkt“ steht Mesrines Aufstieg zum Großverbrecher im Zentrum – wie aus dem Mann, der die Folterungen der französischen Armee in Algerien verabscheute, ein intelligenter, aber brutaler Gangster wurde, der zwar zu seinem Wort stand, sich von Gesetzesseite bei seinen Aktivitäten jedoch unter keinen Umständen aufhalten ließ. Eine besondere Freude ist das Wiedersehen mit Urgestein Gerard Depardieu (Green Card, 1492, Babylon A.D.), der endlich mal wieder einen gewichtigen Part übernehmen darf und als Pariser Unterweltchef seine Präsenz voll ausspielt. Cécile De France (L’Auberge Espagnole, High Tension, Chanson D’Amour) gibt Mesrines Alter Ego Jeanne Schneider fast schon ikonenhaft stilisiert. Sie beschränkt sich zumeist darauf, Cassels Spiel zu ergänzen. Richet inszeniert beide als französische Version von Bonnie And Clyde, was er mit einem direkten Zitat auf der Leinwand unterstreicht. Auch wenn Roy Dupuis („Die Invasion der Barbaren“, „Sceamers“) erst in der Übersee-Phase von „Mordinstinkt“ auftaucht, glänzt der Kanadier mit einem kernigen Auftritt als Mesrines kompromissloser Partner in Crime.

    „Draußen (aus dem Gefängnis) oder tot.“ – Jacques Mesrine

    Fazit: Jean-Francois Richet balanciert sein Mesrine-Biopic in ruhigen Bildern sorgsam zwischen Genre- und Arthouse-Kino. Diese beiden Herangehensweisen an das Medium behindern sich dabei überraschend selten. Wo der Weg des kriminellen Popstars hinführt, enthüllt der zweite Teil Public Enemy No. 1 - Todestrieb. „Mordinstinkt“, dessen Handlung 1973 endet, entlässt den Zuschauer mit einem Cliffhanger…

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