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    Rivals - Zwei Brüder
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Rivals - Zwei Brüder
    Von Robert Cherkowski

    Oh Frankreich, dein Genrekino! Ehrfürchtig wärmt sich die cinephile Welt die Hände am filmischen Feuer, in dem die „Grande Nation" ihre heißen Eisen schmiedet. Die Stars und Regisseure lieben die Materie, das Publikum liebt ihre Produktionen und vergöttert seine Stars. Hier gibt es keine Scheuklappen und keine elitäre Arthouse-Subkultur. Schon die Sperrspitze der „Nouvelle Vague" verbeugte sich in ihren Klassikern vor den amerikanischen Räuberpistolen der 40er und 50er Jahre, indem sie die Grundmotive des Crime-Pulps als Rahmen für ihre erzählerischen Experimente benutzten. „Außer Atem", „Schießen Sie auf den Pianisten" oder „Der eiskalte Engel" - aus der Ferne konnte man immer noch Cagney, Bogart, Walsh und Hawks ausmachen. Hehre Filmkunst durfte endlich Laune machen und Trash durfte endlich Kunst sein. Auch wenn nicht jeder Schuss aus La France ins Schwarze trifft, hat der französische Kriminalfilm eine Tradition, die Jahr für Jahr echte Genre-Perlen hervorbringt. Jacques Maillots „Rivals" – im Original „Les liens du sang" = „blutsverwandt" – ist eine davon.

    Während Gabriel (François Cluzet) sich mit Gangstergeschäften durchschlägt, dient sein Bruder François (Guillaume Canet) dem Staat als Polizist. Klar, dass sie sich dabei irgendwann gegenseitig auf die Füße treten. Nach ein paar Jahren Knast kehrt Gabriel heim und will es nun auf Bitten seines Bruders, dem er die Verhaftung nie krumm genommen hat, auf legalen Wegen versuchen. Dieser hat ohnehin schon genug am Hals, hat er doch die Frau eines Gangsters geheiratet, den er einst hinter Gitter brachte und dessen Racheschwüre ihm den Schlaf rauben. Vorerst lebt die wiedervereinte Familie ein harmonisches Leben – als Gabriel jedoch nach zahlreichen Rückschlägen und Demütigungen wieder im kriminellen Milieu ankommt, verhärten sich die Fronten zwischen den Brüdern endgültig und mit fatalen Konsequenzen...

    Bis es zu jener dramatischen Zuspitzung kommt, wie man sie von Anfang an erwartet, lassen Maillot und seine drei Autoren jedoch erstaunlich viel Zeit verstreichen. Einem auf Action und Zuspitzung gepolten Publikum mag diese demonstrative Langsamkeit fast als Provokation gelten, doch kommt dem Film die Ruhe, mit die Handlung angestoßen wird, nur zugute. Schnell wird klar, dass dies kein fiebriger, von Gewalt und Action angepeitschter Reißer wird. „Rivals" glänzt mit unerwarteter Zärtlichkeit und einem klaren Verständnis für die Befindlichkeiten der Protagonisten, die zwar knallhart zu Werke gehen, eigentlich aber verletzliche Melancholiker sind, die mit ihren Tragödien und Sehnsüchten ins Reine kommen wollen. Weder hetzt Maillot sie dabei von einer Handlungsstation zur nächsten, noch rückt er ihnen inszenatorisch allzu dicht auf den Leib. Auch aus gesunder Distanz sind diese tragischen Gestalten gut zu erkennen – wie sie sich bewegen, wie sie sprechen, wie sie interagieren, all das beinhaltet, wer Gabriel und François sind.

    Vor allem aber nimmt sich Maillot Zeit, ihnen in die Augen zu sehen. Diese unsentimental-eindringlichen Portraits verletzter, selbstzerstörerischer Männlichkeit erinnern beizeiten an die Antihelden aus den Filmen Jacques Audiards. Ähnlich wie in dessen Meisterwerken „Der wilde Schlag meines Herzens" oder „Ein Prophet" schieben sich auch hier keine eitle Inszenierungswut und kein Overacting vor den Inhalt. Maillot handelt mit Figuren, wie sie nur französische Darsteller so unverkrampft, leicht verquer und sympathisch-kauzig zum Besten geben können: immer sehen sie ein wenig zerknittert und verschlafen aus, selten entsprechen sie Stereotypen – und vom Hollywood-Rauchverbot haben sie ohnehin noch nie gehört. Mit seinem sensiblen Jungengesicht begeistert Guillaume Canet in der Rolle des François, der den Dramen hilflos gegenübersteht und den Ereignissen stets hinterher zu hinken scheint.

    An seiner Seite: der großartige François Cluzet als Gabriel, der das Kunststück vollbringt, die fieseste Vokuhila-Schnäuzer-Kombi diesseits von Wolfgang Petry spazieren zu tragen, ohne dabei lächerlich zu wirken. Gleichzeitig ist sein Gabriel eine zutiefst tragische Figur, wird ihm doch jeder Versuch, sich von seinen Sünden reinzuwaschen, von den grausamen Göttern nur mit weiteren Heimsuchungen quittiert. Die Frauenrollen sind nicht weniger ausdifferenziert: Clotilde Hesme als ehemaliges Gangsterliebchen, das sich zunächst nur zaghaft auf die Avancen des Polizisten Francois einlässt, Marie Denarnaud als Gabriels blauäugig-naive, aber keineswegs dumme Freundin oder Carole Franck als seine zur Prostituierte verkommene Ex. Wären doch nur alle Frauenrollen im Thriller- und Gangsterfilm mit so viel Liebe zum Detail geschrieben und gespielt!

    Bei all den Qualitäten, die „Rivals" in sich vereint – behutsame Erzählung, formale Kompetenz und hervorragendes Ensemble – fällt es kaum ins Gewicht, dass hier lediglich hinlänglich bekannte Genre- und Handlungsbausteine aus der alten Bruderzwist-Kiste variiert werden. Dezent schnürt Maillot bereits in der ruhigen ersten Stunde Schlingen um die Hälse seiner Figuren, die er später ruckartig zuziehen wird. Und wenn es später dann mal scheppert, ist die Gewalt immer klar motiviert und auf den Punkt inszeniert, fernab von selbstzweckhaften Action-Exzessen. Wie selbstbewusst Maillot mit der Schwere einer griechischen Tragödie und der Leichtigkeit eines französischen Chansons ein ebenso bescheidenes wie stilsicheres Highlight aus der Hüfte gefeuert hat – das verdient Applaus. Oh Frankreich, dein Genrekino!

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