Mein Konto
    18.15 Uhr ab Ostkreuz
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    18.15 Uhr ab Ostkreuz
    Von Christoph Petersen

    Anfang der 60er Jahre setzte Regisseur George Pollock mit einer Reihe von vier Miss-Marple-Filmen mit der unwiderstehlichen Margaret Rutherford in der Rolle der schrulligen alten Detektivin einen großen Erfolg nach dem anderen in Szene. Am bekanntesten ist aber wohl noch immer der erste Teil der Serie: „16.15 Uhr ab Paddington“. Diesen Krimi-Klassiker haben sich nun Regisseur Jörn Hartmann und sein Hauptdarsteller, der Travestiekünstler Ades Zabel, für ihre nicht minder schrullig-charmante – und ein bisschen schwule - Agatha-Christie-Parodie „18.15 Uhr ab Ostkreuz“ auserwählt. Wie bei ihrer ersten Zusammenarbeit, der Actionfilm-Veräppelung „Mutti – Der Film“, in dem unter anderen Das Schweigen der Laemmer und „Akte X“ auf die Schippe genommen wurden, lebt auch „18.15 Uhr ab Ostkreuz“ mindestens genauso sehr von Zabels urkomischen Schauspiel wie von den Parodie-Elementen selbst.

    Karin Höhne (Ades Zabel, „Fucking Different“), pensionierte Grundschul-Tuschlehrerin aus Berlin-Haselhorst, traut sich mal wieder zu einem Kaffeekränzchen zu ihrer besten Freundin Rosa Brathuhn (Andreja Schneider, Wie die Karnickel) in den Osten. Aber ihre Fahrt mit der S-Bahn nimmt eine unerwartet brutale Wendung: In einem vorbeifahrenden Zug sieht sie, wie eine junge Frau (Susanne Sachsse) von einem Axtmörder hinterrücks zerstückelt wird. Sofort geht die renitente alte Dame zur Polizei, um den Mord zu melden, doch weil keine Leichenteile oder Zeugen gefunden werden, glauben ihr weder Wachtmeister Hubert König (Peter Beck) noch der Londoner Austausch-Kommissar Rock Milchester (Dieter Bach). Deshalb beschließt Frau Höhne, die Ermittlungen selbst in die Hand zu nehmen.

    Erste Spuren führen Frau Höhne in den Frisiersalon des Wilmersdorfer Starcoiffeurs Horst Brüller (Pedro Sobisch), wo sie sich als neue Auszubildende zur Frisurfachgestalterin einschleicht. Schon bald zeigt sich, dass Frau Höhne den richtigen Riecher hatte: Der Schönheitschirurg Hektor Messerschmidt (Peter Ibrik) wird tot aufgefunden – ermordet mit einer vergifteten Perücke. Frau Höhne setzt ihre geheimen Ermittlungen fort und stößt dabei auf mehr als nur ein dunkles Geheimnis. Aber wer hat die Frau in der S-Bahn und den Schönheitschirurgen auf dem Gewissen: Die strenge Geschäftsführerin Gisela Drache (Bob Schneider), die Filmdiva Veranda Strunzig-Lopez (Andreja Schneider in einer Doppelrolle), der aalglatte Loverboy Bruno (Stefan Kuschner) oder vielleicht doch die haarspraysüchtige Friseuse Tausendschön Müller (Sandra S. Leonhard)…

    Die Parodie in „18.15 Uhr ab Ostkreuz“ funktioniert auf zwei Ebenen: Zum einen werden die typischen Miss-Marple-Geschichten persifliert, aber was noch einen viel größeren Raum einnimmt, sind die köstlichen Karikaturen. Die herkömmlichen Krimirollen in den sechziger Jahren, man erinnere sich nur an die Figuren der Edgar-Wallace-Verfilmungen, waren schon an sich überhöht dargestellt, aber Hartmanns Cast kann trotzdem noch einen drauf setzen. Allen voran Hauptdarsteller Ades Zabel, der der großen Margaret Rutherford in Sachen Schrulligkeit in nichts nachsteht und nebenbei auch noch in einer zweiten Rolle als anatolische „Sex statt Hirn“ – Auszubildende Hürryet Lachmann die meisten Lacher des Films für sich verbuchen kann. Dabei schreckt das Drehbuch angenehmerweise auch vor politisch unkorrekten Witzen nicht zurück: Kopftücher sind in unserem Salon nicht erlaubt. Multi-Kulti war früher, heute gilt Zero Tolerance!

    Die Story hält sich, zumindest was den groben Ablauf betrifft, nah am titelgebenden Original, nimmt sich aber auch die anderen drei Pollock-Filme „Mörder ahoi!“, „Der Wachsblumenstrauß“ und „Vier Frauen und ein Mord“ zur Brust. Dabei sorgen neben einer steten Übertreibung der Krimielemente Travestie-Einlagen, schnippische Dialoge und Ost-West-Humor für den nötigen Grad an trashiger Unterhaltung. Die Parodie nimmt auch nie soviel Platz ein, als dass die Krimigeschichte komplett verdrängt würde, man kann also bis zum Schluss lustig mitraten. Und die Auflösung selbst, die mit Geschlechtsumwandlungen, gegen Kamele eingetauschten Frauen und vielem mehr aufwartet, führt das typische Agatha-Christie-Krimiuniversum endgültig ad absurdum.

    Auch inszenatorisch hält sich Regisseur Hartmann an die Klassiker. Das bedeutet natürlich zunächst einmal, dass der Film in schwarz-weiß gedreht und mit der typischen Miss-Marple-Klimpermusik unterlegt wurde. Aber auch ansonsten kommen die Einstellungen, vor allem wenn Frau Höhne sich zu ihren nächtlichen Ermittlungstouren durch den Frisiersalon aufmacht, äußerst sixties-like daher. Nur beim ersten Mord fällt der Film ein wenig aus dem Rahmen, der erinnert in seiner reißerischen Aufmachung eher an einen Giallo á la Dario Argentos „Sleepless“ oder Mario Bavas „Blutige Seide“. „18.15 Uhr ab Ostkreuz“ kann nicht mit vielen lauten Lachern aufwarten, kann dafür aber mit einem großartig aufgelegten Ensemble überzeugen und so über die annähernd zwei Stunden fast durchgängig gut unterhalten.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top