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    Congo river
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Congo river
    Von Carsten Baumgardt

    In seiner Dokumentation „Congo River“ unternimmt der belgische Filmemacher Thierry Michel eine Reise in das Herz des afrikanischen Kontinents, genauer gesagt in die heutige Demokratische Republik Kongo (früher: Belgisch-Kongo und Zaire), dem viertgrößten Staat Afrikas, der durch den jahrelangen Bürgerkrieg schwer gezeichnet ist und nach einer Zukunft sucht. Michel reflektiert während der sehenswerten knapp zwei Stunden Spielzeit die verschiedenen Facetten des Lebens, was sich für den Zuschauer langsam zu einem stimmigen Gesamtbild einer Gesellschaft verdichtet.

    Michel beginnt die Fahrt an der Mündung des Stromes und begibt sich auf eine für europäische Augen abenteuerliche Flussbarkasse, die sich auf der langen Reise als eigener, kleiner Mikrokosmos herauskristallisieren wird. Hier pulsiert das soziale Leben. Die Beschiffung des Flusses ist die einzig effektive Methode, dieses Land zu bereisen. Ganze Familien leben über Wochen mit ihren Vieh, Hab und Gut in einer dorfähnlichen Gemeinschaft zusammen. Einzig das Kommandodeck erstrahlt sauber gestrichen in Weiß und Blau, was nachhaltig dokumentiert, dass es durchaus Unterschiede gibt. Während das einfache Volk in alten religiösen Traditionen verwurzelt ist, hat der Commander der Barkasse einen ausgeprägten Realitäts- und Geschäftssinn. Bei der gefährlichen Schiffsreise auf dem tückischen, 4.374 Kilometer langen Kongo hilft nur ein kühler Kopf und exakte Planung - aber kein Zauberspruch. Ihm geht es verhältnismäßig gut, was nur von wenigen seiner rund 60 Millionen Landsleute behauptet werden kann. Der Kampf um das nackte Überleben stellt sich jeden Tag neu. Das hat zur Folge, dass niemand zimperlich ist. Das klassische Vieh wie Schweine, Hühner und Ziegen wird durch einheimische Tiere erweitert, da ist es normal, dass zum Beispiel auch geschlachtete Affen oder Kaimane angeboten werden.

    Michel („Zaire, Le Cycle Du Serpent“, 1998; „Mobutu, Roi Du Zaire“, 1999; „Iran, Veiled Appearances“, 2002), der sich in mehreren Dokumentationen bereits als Chronist in sozialen Brennpunkten Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas bewährt hat, macht es dem Zuschauer auf den ersten Blick nicht leicht. Aber das gehört zu seiner nüchternen, fordernden Herangehensweise. Der Belgier zeigt nur auf, was passiert, der Off-Kommentar fällt sehr spärlich aus, hält das Geschehen notdürftig zusammen. Doch nach einer Zeit wird die Methodik erkennbar. Der Betrachter muss aktiv mitarbeiten, sich selbst ein Bild des Kongo zusammensetzen, was sich als äußerst spannende Aufgabe herausstellt. Kleine dramaturgische Elemente wie das Auflaufen der Barkassen auf Sandbänke steigern das Interesse; das Profitstreben der Reedereien ist hier gnadenlos, aber auch menschlich nachvollziehbar. Dennoch kommen bei diesen abenteuerlich-haarsträubenden Reisen immer wieder Menschen zu Tode. Oft bleiben Schiffe über Monate stecken.

    Zwischendrin stellt Michel Bezüge zur Historie her, zu Forschern wie David Livingstone und Sir Henry Morton Stanley, zu den großen Königen der Kolonialzeit und den afrikanischen Führern Lumumba, Mobuto und Kabila. In Überblendungen aus alten und aktuellen Aufnahmen wird allmählich deutlich, dass das Land sich praktisch nicht entwickelt hat, es ist kein Fortschritt erkennbar. Der Kongo-Krieg (1996 bis 2002) hat das Land endgültig in die Knie gezwungen. Die Auseinandersetzungen des Militärs mit Mai-Mai-Kriegern reichen bis in die heutige Zeit. Frauen sind nach wie vor willkürlichen, brutalen Vergewaltigungen ausgesetzt, die sie schwer für ihr Leben zeichnen, größtenteils sogar zerstören. Im Oberlauf wird der Kongo über eine Strecke von 120 Kilometern unschiffbar – hier verlässt Regisseur Michel die Barkasse und führt die Reise auf dem Landwege weiter. Er zeigt die Anstrengungen ehrenamtlicher Arbeiter, die alte Eisenbahntrasse wieder in Stand zu setzen und schildert die Dominanz des Militärs, das für den letzten Rest Staat steht, der noch spürbar ist. Es regiert das Chaos, eine staatliche Ordnung ist nicht mehr präsent. Die beeindruckendsten, eindringlichsten und aussagekräftigsten Bilder gelingen dem Filmemacher in den Ruinen der Prachtbauten des früheren Diktators Mobuto. Hier offenbart sich eine untergegangene Kultur, die sinnbildlich für die heutige Demokratische Republik Kongo steht - ein vom Krieg zerstörtes, drangsaliertes Land, das trotzdem seinen Stolz und seine Hoffnung nicht verloren hat.

    Der Osten des Landes wird durch den rigorosen Kampf um die letzten verbliebenen Bodenschätze beherrscht. Kleinschürfer, auch viele Kinder, versuchen für Centbeträge pro Tag Kupfer mühsam per Hand abzubauen. Jeder will einfach nur zu überleben – die wichtigste Quelle des Lebens ist der Kongo, der den Rhythmus dieses Landes bestimmt, um den sich alles dreht. Die verschiedenen Etappen, die Michel bis zur Quelle des Flusses bestreitet, fügen sich immer dichter zusammen und erklären sich gegenseitig. Am Ende hat der Zuschauer ohne großartige Erläuterungen ein komplexes Bild des Kongo vor Augen und jede Menge Anregungen, über die es sich nachzudenken lohnt - über Probleme, die unserer Wohlstandsgesellschaft völlig fremd sind. „Congo River“ ist ein unbequemer, politischer Film, der seine Berechtigung im Kino hat. Die kluge Dramaturgie, die eindringlichen, schockierenden, wunderschönen, tieftraurigen und fröhlichen Bilder bleiben im Gedächtnis haften. Thierry Michel gelang eine anstrengende, aber letztendlich bewegende Dokumentation, die Missstände auf unaufdringliche Weise anprangert und einen weiten Blick über den Tellerrand hinaus gewährt.

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