Eigentlich hätte Rock-/Folklegende Neil Young seine Konzertdokumentation „Neil Young: A Heart Of Gold“ auch selbst inszenieren können – immerhin hat er mit Konzertfilmen wie „Freedom“, „Year Of The Horse“ oder „Silver And Gold“ und sogar Spielfilmen (u. a. „Made In Heaven“, „68“, „Love At Large“) schon beachtliche Erfolge als Filmemacher feiern können. Dennoch hat er sich bei der Regie zu seinem neuen Film rund um seine zwei Auftritte im legendären Ryman Auditorium in Nashville für Jonathan Demme entschieden. Wie sich nun im Nachhinein herausgestellt hat, eine hervorragende Wahl. Demme, der neben seinen Fiction-Filmen wie Das Schweigen der Lämmer, „Philadelphia“ (für den Young den gleichnamigen, oscarnominierten Titelsong komponierte) oder zuletzt Der Manchurian Kandidat auch viele Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Musikern (am bekanntesten: „Stop Making Sense“ mit den Talking Heads) und anderen Künstlern gesammelt hat, versteht sich nämlich gleichermaßen darauf, sich in Youngs emotionale und hochpolitische Stücke hineinzufühlen und zugleich auch mit einem sehr angenehmen visuellen Stil abseits des MTV-Stresses zu überzeugen.
Nach gerade einmal zehn Minuten, in denen man kurze Interviews mit Youngs Musiker-Kollegen auf dem Weg zum Ryman Auditorium zu sehen bekommt, beginnt auch schon das Konzert. Zu hören gibt es neben Klassikern aus den Alben „Harvest“ und „Harvest Moon“ vor allem Stücke aus Youngs vorletzter Scheibe „Prairie Wind“, die er erst kurz vor dem Auftritt fertig stellte. Und da Young kein Songwriter ist, der nur mit seiner Gitarre bewaffnet auf einem Hocker einsam auf der Bühne kauert, hat er sich für seinen Auftritt die Unterstützung einer ganzen Armada von Freunden, Weggefährten und Profimusikern gesichert, um das Konzert möglichst ansprechend zu gestalten. So sind neben seiner Ehefrau Pegi auch solche Country-Größen wie Emmylou Harris, Ben Keith oder Karl T. Himmel auf der Bühne anzutreffen. Dazu kommen dann noch die A-Cappella-Truppe „Fisk University Jubilee Singers“ und die Studiomusiker-Band „The Nashville String Machine“, die Youngs Konzert endgültig zu einem echten Happening werden lassen. Zusammen mit den kleinen optischen Leckerbissen von Manuel Cuevas (Kostüme) und Michael Zansky (Ausstattung) kann „Heart Of Gold“ den Zuschauer so auch ohne aufwendige Pyroeffekte oder ausgefeilte Hüpfchoreographien beeindrucken.
Über die klassischen Stücke wie das titelgebende „Heart Of Gold“ muss wohl nicht mehr allzu viel gesagt werden – jeder kennt sie aus dem Radio und jeder weiß, ob er mit diesen gefühlvoll-rockigen Songs mit Country-Einschlag etwas anfangen kann oder eben auch nicht. Anders verhält es sich mit den neueren Stücken aus dem Album „Prairie Wind“, die nicht mehr so eingängig und überbordend emotional daherkommen, sondern stattdessen durch ihre unglaubliche thematische Tiefe überzeugen. Nach dem 11. September hat sich Neil Young, der seit jeher in seinen Liedern auch hochbrisante Eisen angefasst hat, zu einem noch politischeren Texter gewandelt.
Der vorläufige Höhepunkt dieser Politisierung wurde zwar erst mit seinem letzten Album „Living With War“ erreicht, in dem er die Meinung vertritt, dass wenn Clinton für einfaches Fremdgehen schon eine öffentliche Anklage über sich ergehen lassen musste, dann müsste Bush für seine Lügen rund um Massenvernichtungswaffen und Irak-Krieg erst recht an den Pranger gestellt werden („Impeach The President“), aber auch in „Prairie Wind“ sind schon genügend Ansätze dieser Entwicklung zu entdecken: So ist es zum Beispiel ebenso komisch wie bewundernswert, wenn er in einem Countrysong ausgerechnet Chris Rock zitiert: „Immer wenn ich an den 11. September denke, muss ich an ein Zitat von Chris Rock denken: 'Schickt keine Kerzen mehr'!“ Schade ist nur, dass Young trotz Cowboyhut kein echter Südstaatler ist und Bush so die Breitseite nicht aus seiner Heimatgegend, sondern leider nur aus dem eh schon verhasst liberalen Kanada entgegenschlägt.
Aber natürlich gehört zu einem gelungenen Konzertfilm nicht nur eine gute Show und interessante Musik, sondern auch noch eine passende Inszenierung. Und eine solche liefert Demme in „Neil Young: Heart Of Gold“ einmal mehr zweifelsfrei ab. Ohne jede unnötige Ungeduld, ohne den schadhaften Drang, unbedingt durch falsche Schnitte ein höheres Tempo erzeugen zu müssen, bastelt er mit seinen Kameras jedem einzelnen Song ein passendes Denkmal und versorgt den Zuschauer dabei zugleich auch mit nahezu monumentalen Kinobildern, die mit einer Dokumentation im herkömmlichen Sinne nicht mehr das Geringste gemein zu haben scheinen. So sind Neil Young und Jonathan Demme mit „Heart Of Gold“ musikalisch komplexe und visuell aufregende Aufnahmen und der wahrscheinlich beste Konzertfilm seit vielen Jahren gelungen. Für Young-Fans ja sowieso ein Muss, ist „Heart Of Gold“ auch für alle, die rockigem Country gegenüber zumindest nicht komplett abgeneigt sind, auf jeden Fall eine Entdeckung wert, die man Dank der großartig komponierten Bilder aber unbedingt im Kino machen sollte.