Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,0
solide
The Old Woman With The Knife

Mord, Melancholie und eine verpasste Chance

Von Björn Becher

Nicht nur in der „Expendables“-Reihe und gefühlt allen Filmen mit Liam Neeson stehen gealterte Actionhelden im Zentrum, auch in „John Wick“, „Knox Goes Away“ und „Nobody“ geht es um Auftragskiller, die ihren Job eigentlich schon längst an den Nagel gehängt haben und sich trotzdem plötzlich wieder mit (meist jüngeren) Widersachern messen müssen. Aber die konkrete Power-Fantasy, dass sich der unaufhaltsame körperliche Verfall nur mit Erfahrung (mehr als) wettmachen lässt, war bisher meist eine spezifisch männliche. Die südkoreanische Autorin Gu Byeong-mo hat in ihrem 2013 veröffentlichten und seit 2022 auch international erhältlichen Roman „The Old Woman With The Knife“ allerdings eine Frau in den Mittelpunkt gestellt, die eigentlich reif für die Rente ist und trotzdem noch Auftragsmorde verübt.

Ihre 65-jährige Protagonistin leidet zwar unter den körperlichen Einschränkungen, die das Alter mit sich bringt, läuft aber trotzdem zur Hochform auf, als sie sich plötzlich mit einem jungen Konkurrenten konfrontiert sieht, der ihr nicht nur den Rang abzulaufen droht, sondern es aus nicht ganz offensichtlichen Gründen auch auf sie persönlich abgesehen hat. Der unter anderem für den Horrorfilm „Memento Mori“ bekannte Regisseur Kyu-dong Min setzt in seiner Verfilmung ganz auf die Faszination seiner Protagonistin und seiner Hauptdarstellerin. Leise Melancholie trifft in dem Action-Drama auf urplötzliche Ausbrüche exzessiver Gewalt. Allerdings bremst der Film seine eigentliche Story mit zu zahlreichen Rückblenden sowie einer unnötigen Distanz zu den Figuren immer wieder aus.

Trotz ihres Alters kann Hornclaw (Hye-yeong Lee) noch immer eine Menge einstecken, selbst wenn es nicht mehr ganz so leicht fällt wie früher. SooFilm
Trotz ihres Alters kann Hornclaw (Hye-yeong Lee) noch immer eine Menge einstecken, selbst wenn es nicht mehr ganz so leicht fällt wie früher.

Ihren Job bezeichnet Hornclaw (Hye-yeong Lee) euphemistisch als „Beseitigen von Ungeziefer“. Seit fast 40 Jahren tötet sie ausschließlich „böse“ Menschen, die ihr von einer mysteriösen Agentur zur Eliminierung zugewiesen werden. Neuerdings beschleicht sie jedoch der Verdacht, dass der Agenturboss einige Zielpersonen, die den Tod eigentlich verdient hätten, lieber verschont, um stattdessen Jobs anzunehmen, die mehr Geld einbringen. Neben ihrem fortschreitenden Alter sorgt sich die erfahrene Killerin vor allem um den neuesten Killer-Zugang:

Der junge Bullfight (Sung-cheol Kim) hat nicht nur eine psychopathische Lust am Töten, die ihn unberechenbar macht, er zeigt auch ein auffälliges Interesse am Treiben seiner erfahrenen Kollegin. Als Hornclaw beginnt, für sie bislang unbekannte Gefühle der Empathie für einen alten Hund sowie die Familie des Tierarztes Dr. Kang (Woo-jin Yeon) zu entwickeln, offenbart sie eine Schwachstelle, die Bullfight zu nutzen weiß. Denn der verfolgt einen ganz eigenen Plan...

Eine Auftragskillerin kurz vor der Rente

Mit der bereits im Titel herausgestellten „Old Woman“ wird gekonnt mit den traditionellen Rollenbildern des Actionkinos gebrochen. Dieser frische Blickwinkel ist es, der Kyu-dong Mins Action-Drama zu Beginn so interessant macht. Da schadet es kaum, dass daneben doch zahlreich und ausgiebig Genre-Klischees aufgefahren werden: Natürlich lebt die Protagonistin in völliger Abgeschiedenheit und Isolation – erst ein sie an sich selbst erinnernder Straßenhund durchbricht die harte Schale. Und die mysteriöse Killer-Organisation hat sich – in allerlei Abwandlungen – natürlich auch längst als Go-to-Genre-Trope etabliert.

Diese Prämisse wird immer wieder für gute Actionszenen genutzt, auch wenn gerade in diesen die Besonderheit der Hauptfigur enttäuschend selten zum Tragen kommt. Natürlich führt ihr Alter dazu, dass sie unterschätzt wird oder unter dem Radar bleibt, doch am Ende ist sie vor allem eine Kampfmaschine auf den Spuren von John Wick und Co., die es mit jeder noch so improvisierten Waffe versteht, ihr Gegenüber auszuschalten. Die anfänglich noch punktuell gesetzten Kills gipfeln dabei in einem rasanten Finale, in dem sich Hornclaw gleich zwei Mal an unterschiedlichen Schauplätzen durch eine vermeintliche Übermacht metzeln muss.

Ein Erinnerungsmosaik offenbart die ganze Story

Bei der in einem Club startenden ersten Konfrontation nimmt sie sogar bewusst in Kauf, dass sie eigentlich chancenlos ist. Dass sich gerade diese Unterlegenheit aber als Teil eines ausgeklügelten Plans entpuppt, strapaziert den Anspruch auf Logik schon stark. Aber das könnte man im Unterhaltungskino durchaus bereitwillig akzeptieren, wenn die Erzählung selbst nur spannend genug wäre. Aber gerade das gelingt in „The Old Woman With The Knife“ zwar partiell, nur eben nicht durchweg.

Nicht immer gelingt es Regisseur Kyu-dong Min die Thriller- und Action-Elemente mit der melancholischen Erzählung über das Leben von Hornclaw und schließlich auch von Bullfight zu verbinden. Dass beide eine gemeinsame Vergangenheit haben, deutet sich früh an. Nach und nach setzt sich die Vorgeschichte aus Rückblenden zusammen. Doch die Erinnerungen sind subjektiv und stellen sich als nicht ganz vollständig heraus. So braucht es weitere Rückblenden, um das Erinnerungsmosaik zu vervollständigen. Dieser auf ein sich langsam ergebendes Gesamtbild fokussierte Ansatz ist aber viel zu kompliziert für die eigentlich doch recht simple und früh auf der Hand liegende Auflösung.

Tempoverlust und eine Heldin, die auf Distanz bleibt

Die eigentliche Handlung wird immer wieder durch diese Rückblenden ausgebremst – und dafür tragen sie zu wenig zur Figurenentwicklung bei. Obwohl das Action-Drama mit einem im Jahr 1975 spielenden Prolog direkt mit einer dramatischen Vorgeschichte für Hornclaw einsteigt, die später durch die Erzählung ihrer allerersten Tötung noch intensiviert wird, bleibt die Figur seltsam kalt und distanziert. Ihre emotionale Tiefe wird trotz dieser Momente nicht wirklich entwickelt, was es erschwert, eine Verbindung aufzubauen. Wenn sie am Ende dann ihr altes Leben riskiert, um ein junges zu retten, bleibt es deshalb bei einer Bewunderung für handwerklich ordentlich gemachte Action und harte Kills. So richtig in das Geschehen involviert fühlt man sich allerdings nicht.

Fazit: „The Old Woman With The Knife“ beginnt mit einer faszinierenden Prämisse und bietet einige eindrucksvolle Actionszenen, verliert sich aber zu oft in überladenen Rückblenden und einer emotional distanzierten Erzählweise. Hye-yeong Lee überzeugt in der Hauptrolle, doch die Verbindung zwischen ihrer Figur und dem Publikum bleibt brüchig. Trotz starker Momente entfaltet die trotzdem sehenswerte Rentnerinnern-Variante von „John Wick“ so nicht ihr volles Potenzial.

Wir haben „The Old Woman With The Knife“ im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen, wo er in der Reihe Berlinale Special seine Weltpremiere feierte.

Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
Das könnte dich auch interessieren