Clown und Yakuza: Takeshi Kitano macht für Amazon beides!
Von Björn BecherDiese Kritik zu Takeshi Kitanos „Broken Rage“ beginnt mit einer wichtigen Warnung. Denn schon das Verraten des Genres ist ein Spoiler. Wer sich bereits mit dem Film befasst hat, wird den besonderen Twist kennen und kann daher ohne Gefahr weiterlesen. Wer sich hingegen einfach nur schnell informieren will, bevor er den Stream bei Amazon Prime Video einschaltet, dem wünschen wir jetzt einfach allerbeste Unterhaltung! Man sollte an den Film jedenfalls so ahnungslos wie möglich herangehen (und dementsprechend um diese Rezension vorerst einen Bogen machen).
Dass wir ausgerechnet um das Genre bislang noch so ein Geheimnis machen, kommt bei Kitano nicht von ungefähr. Der als Schauspieler auch unter dem Künstlernamen Beat Takeshi agierende Tausendsassa pendelt schließlich zwischen zwei Welten. Im Kino kennt man ihn nicht nur, aber vor allem für seine harten, lakonischen Yakuza-Thriller-Dramen wie „Sonatine“ oder „Hana-Bi“. Im japanischen TV ist er dagegen einer der größten Quatschköpfe, ein gerne absurd chargierender Unterhalter und Showmaster, dessen bekannteste Sendung „Takeshi's Castle“ auch in Deutschland Kult geworden ist.
Was macht dieser Takeshi Kitano also, wenn ihm Amazon Prime Video nach der Neuauflage seiner TV-Spielshow „Takeshi's Castle“ plötzlich freie Hand für ein weiteres Projekt gibt? Ist Streaming nun näher am Kino oder am TV? Macht Kitano also Yakuza oder Quatsch? Die einfache Antwort: Kitano macht beides – und so ist der inklusive Abspann gerade mal etwas über eine Stunde lange „Broken Rage“ halb Yakuza-Thriller und halb Comedy-Gaga-Show.
In einem Café bekommt der Killer Mr. Mouse (Takeshi Kitano als Beat Takeshi) regelmäßig Umschläge mit Mordaufträgen, die dort von einem mysteriösen Hintermann namens M deponiert wurden. Nach seinem jüngsten Job erwarten ihr dort allerdings plötzlich zwei Cops (Tadanobu Asano & Nao Ohmori). Die Ermittler sind aber weder an Mouse noch an M interessiert. Im Gegenzug für völlige Straffreiheit soll der Killer stattdessen den Drogenring eines mächtigen Bosses (Shido Nakamura) infiltrieren. Und das gestaltet sich alles erstaunlich einfach...
Diese recht simple Geschichte zeigt uns Takeshi Kitano gleich zweimal in voller Länge. Einmal als reduzierter Yakuza-Thriller, wie ihn seine Kino-Fans lieben. Knallhart und ohne mit der Wimper zu zucken, schaltet Mouse hier seine Opfer aus. Dieselbe Story gibt es aber anschließend als „Spin-off“ noch mal, und zwar als Slapstick-Komödie. In dieser wird der Auftragsmörder nicht nur deutlich schlechter bezahlt, sondern agiert auch deutlich weniger effektiv – und das nicht nur, weil er öfter über die eigenen Füße stolpert als der betrunkene Butler in „Dinner For One“.
Die Wiederholung ermöglicht es Kitano, mit dem Publikum zu spielen. Schließlich wissen wir aus dem ersten Durchlauf, was als Nächstes passieren wird, oder wir glauben es zumindest. Denn immer wieder werden die vermeintlich bekannte Szenen mit einer komischen Wendung versehen oder sogar völlig auf den Kopf gestellt. Doch nicht nur die mit Cameo-Auftritten bekannter japanischer TV-Comedians gespickte zweite Hälfte ist höchst unterhaltsam. Schließlich ist Kitano auch bei seinen harten Thrillern für eine gewisse Lakonie bekannt. So sorgt es schon in der ersten Hälfte für Lacher, wie stoisch Mouse seine Aufträge erledigt oder wie leicht es ihm fällt, dank seiner „Moves“ zum Bodyguard des Drogenbosses aufzusteigen.
Schon in zwei früheren selbstreferenziellen Werken, dem eher düsteren „Takeshis’“ von 2005 und dem eher komischen „Glory To The Filmmaker!“ von 2007, hat sich Takeshi Kitano mit sich selbst und seinem Schaffen auseinandergesetzt. „Broken Rage“ wirkt nun wie die Fortführung dieser Werke, in denen sich Kitano auch damit beschäftigt, was seine unterschiedlichen Fans von ihm sehen wollen: die einen den Clown, die anderen den harten Gangster. In eingeschobenen Meta-Chat-Verläufen, die die eigentliche Handlung kurz unterbrechen, um den ansonsten zu kurzen Film auf die von Amazon eingeforderte Minimallänge zu strecken, adressiert Kitano sogar ganz direkt, dass er das Dilemma seiner zwei Fangruppen einfach auflöst, in dem er beides auf einmal macht.
„Takeshis’“ und „Glory To The Filmmaker!“ ist allerdings eine gewisse Sperrigkeit gemein, weil sie sich mit vielen Insider-Verweisen eigentlich ausschließlich an Kitano-Hardcore-Fans richteten. „Broken Rage“ ist hingegen auch ideal für alle, die durch Amazon Prime Video erstmals einen Zugang zu dem japanischen Künstler finden oder bislang nur wenig aus seinem Schaffen kennen. Sicher werden sich auch da viele wundern, was zum Teufel sie da gerade sehen. Aber dafür kriegen sie eine unglaublich unterhaltsame Streaming-Stunde geboten. Dabei erweist es sich als Vorteil, dass Kitano in der zweiten Hälfte so viel auf Slapstick setzt – schließlich ist das die internationalste Form des Humors, die auch über Kultur- und Sprachgrenzen hinweg funktioniert.
Fazit: „Broken Rage“ ist ein absurder und wahnwitziger Spaß, bei dem sich viele Zuschauende fragen werden, ob Kitano sie (oder zumindest seine Geldgeber) gerade verarscht. Mit der exklusiven Auswertung auf Amazon Prime Video läuft die Mischung aus Yakuza-Thriller und Slapstick-Humor aber definitiv am falschen Ort. Denn beim gemeinsamen Kinoerlebnis besteht die Chance, sich vom Lachen der Übrigen anstecken zu lassen (so wie bei der Premiere beim Filmfest in Venedig, wo danach die Erzählungen die Runde machten, dass sich so manch einer vor Lachen in die Hosen gemacht hätte). Allein auf der Couch fragt man sich hingegen womöglich, wie oft es noch witzig sein soll, dass Protagonist Maus über die eigenen Füße fliegt.
P.S.: Aufmerksame Zuschauer*innen werden in beiden Versionen der Geschichte einen bewusst platzierten Rechenfehler entdecken – ein weiterer kleiner Trick, der einen zusätzlichen neuen Blick auf die Geschehnisse ermöglicht.
Wir haben „Broken Rage“ beim Filmfest Venedig gesehen, wo er auch seine Weltpremiere gefeiert hat.