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    Micha denkt groß
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Micha denkt groß

    Impro-Komödie mit gewichtigem Thema und flüchtigem Fokus

    Von Lutz Granert

    Etwa 130 Liter Trinkwasser pro Tag verbrauchen Deutsche im Schnitt. Natürlich nicht nur zum Trinken, auch fürs Duschen, Kochen, Putzen, den Toilettengang oder das Wäschewaschen wird die lebenswichtige Ressource genutzt. Dazu gesellt sich eine zweite, beängstigende Zahl, die vom GeoForschungsZentrum (GFZ) ermittelt wurde: Aufgrund sinkender Bodenfeuchte, schwindendem Grundwasser, abgeschmolzener Gletschern und gesunkenem Wasserspiegel verliert Deutschland 760 Millionen Tonnen Trinkwasser pro Jahr. Derzeit verfügen selbst die niederschlagsärmsten Regionen Deutschlands noch über ausreichend Trinkwasser. Aber wie lange noch, zumal wenn die landwirtschaftliche Bewässerung noch weiter zunimmt?

    Die Komödie „Micha denkt groß“ von Lars Jessen und Jan Georg Schütte ist daher als durchaus realitätsnahe Dystopie zu verstehen. Wie bei dem ebenfalls in Zusammenarbeit mit ARD Degeto produzierten Road-Movie „Für immer Sommer 90“ setzte das Filmemacher-Duo dabei auf die Improvisationskünste ihres ebenso spielfreudigen wie prominenten Ensembles: Vor dem Dreh gab es lediglich einen minimalen Drehbuch-Entwurf mit wichtigen Handlungspunkten, der Rest wurde spontan beim Spielen entwickelt. Aber so gerät der ohnehin nur grob entwickelte Plot parallel zur zunehmenden Resignation der Figuren immer mehr aus dem Fokus.

    Pandora Filmverleih
    Der ehemalige Software-Entwickler Micha (Charly Hübner) hat große Pläne für sein kleines Heimatdorf.

    Micha (Charly Hübner) hat es mit der Entwicklung von Videospielen zu Reichtum gebracht – und plant nun seinen nächsten Coup: In seinem Heimatdorf Klein-Schappleben in Sachsen-Anhalt will er auf dem Grundstück der verfallenen Herberge seiner Eltern ein Luxus-Hotel mit Wellness-Oase für gestresste Großstädter*innen errichten. Während die Nachbarn Schlüter (Jan Georg Schütte) und Köppe (Peter Kurth) Michas große Pläne eher belächeln, glaubt nur seine Jugendfreundin Tina (Jördis Triebel) wirklich an das Projekt. Das einzige Problem: Das Grundwasser des Ortes ist versiegt – und die Kommunalpolitik scheint mit der Situation überfordert. Micha versucht seine Nachbarn deshalb vom gemeinschaftlichen Bau eines tieferen Brunnens zu überzeugen – doch die haben andere Pläne…

    Durch die Improvisation der Darsteller*innen wolle man, so ist es auf der Homepage der beteiligten Produktionsfirma ARD Degeto zu lesen, „die aktuelle gesellschaftliche Stimmung authentisch und lebensnah aufgreifen“. Aber dieses ambitionierte Konzept geht beim auf Effizienz getrimmten Dreh-Konzept von „Micha denkt groß“, der an nur sechs Drehtagen mit sechs zeitgleich laufenden Kameras entstanden ist, nur teilweise auf. Denn die Figuren verdichten sich am Ende aller improvisatorischen Freiheit zum Trotz doch nur zu – wenn auch durchaus pointiert überzeichneten – Stereotypen.

    Charly Hübner hat die Sympathien einmal mehr sicher auf seiner Seite

    Charly Hübner, der mit seinem Regisseur Lars Jessen zuletzt auch schon die Hit-Romanverfilmung „Mittagsstunde“ umsetzte, verkörpert das Klischee eines reichlich weltfremden, neoliberalen Entrepreneurs, der bevorzugt in Nerd-Shirts seiner Games-Erfolge durch den Ort schlurft. Mit Berliner Mundart und gelegentlichen Anglizismen probiert er sich am Beschwören des (nicht vorhandenen) Gemeinschaftsgefühls, um Investor*innen für das Brunnenbauprojekt zu finden. Dabei wird er mit seinem trockenen Humor und seiner unbeholfenen-linkischen Art schnell zum Sympathieträger.

    Das kann man von den anderen Figuren allerdings nicht behaupten. Annett Sawallisch legt ihre ideenlose Lokalpolitikerin Moni mit Perlenkette und spannendem Kostüm als etwas plumpe Angela Merkel-Parodie an, wobei ihr sogar ein eher wenig überzeugendes „Wir schaffen das“ über die Lippen kommt. Ulrich Brandhoff verkörpert den ständig alle belehrenden Bio-Bauern Jonas ebenso grell und bemüht wie Co-Regisseur Jan Georg Schütte den Verschwörungstheoretiker Schlüter, der für eine dreistellige Zahl von Abonnent*innen seines Online-Channels stundenlang über Politikversagen und Corona-Lügen schwadroniert.

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    Ohne die Zustimmung der Nachbar*innen geht beim angestrebten Brunnenbau gar nichts.

    Schlüters Besserwisserei wiederum macht vor allem beim alteingesessenen Milchbauern Köppe Eindruck, den Peter Kurth („Zwei zu eins“) mit seiner typischen Brummbär-Attitüde vergleichsweise geerdet anlegt. Peter Kurth und Jördis Triebel („Irgendwann werden wir uns alles erzählen“) als pragmatische Physiotherapeutin wirken als einzige Charaktere halbwegs authentisch. Im Mikrokosmos des Dorfes wird zwar das gesamte politische Parteienspektrum abgebildet, aber abseits der satirischen Zuspitzungen mangelt es an der Lebensnähe der Figuren.

    Dass der Plot von „Micha denkt groß“ etwas arg dünn geraten ist, offenbaren auch mehrere unvermittelte Zeitsprünge. Hat der Berliner Unternehmer eben noch versucht, seine Nachbarn beim Hausbesuch von einem Bohr-Investment zu überzeugen, sind plötzlich schon mehrere Wochen ohne spürbare Entwicklungen vergangen. Und aus einem zugespitzten Duell, bei dem sich zwei zunehmend unversöhnlich gegenüberstehende Parteien wortwörtlich gegenseitig das Wasser abgraben, ergibt sich auch Monate später keine wirkliche Pointe oder Wendung. Klar, beim Problem des Klimawandels gibt es keine unmittelbare oder einfache Lösung – etwas mehr als pure Resignation darf man von einem Film, der eine (wenn auch durchaus realistische) Fiktion entwirft, aber schon aus rein dramaturgischen Gründen erwarten.

    Fazit: Das spielfreudige Ensemble der thematisch brisanten Improvisations-Komödie „Micha denkt groß“ (über-)zeichnet zwar durchaus witzig nahezu alle gängigen Politik-Stereotypen, aber der ohnehin nur grob skizzierte Plot verläuft letztlich im Sand.

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