Mit der „FILMSTARTS-Perle“ gibt euch jeweils am Sonntag ein FILMSTARTS-Redakteur eine ganz persönliche Film-Empfehlung. Das können übersehene, unbekannte oder unterschätzte Werke genauso sein wie Lieblingsfilme und Guilty Pleasures. In jedem Fall sind es ganz besondere Filme, die das Ansehen und das Wiedersehen lohnen.
Von Carsten Baumgardt
Bei der gemeinsamen Entscheidung, eine neue FILMSTARTS-Rubrik mit dem Titel „Perle der Woche“ einzuführen, war schnell klar: Es sollte keine reine Filmkritik, sondern eine sehr persönliche Betrachtung zu Filmen sein, die wir unseren Lesern so unbedingt ans Herz legen wollen. Während Andreas Staben mit Steven Spielbergs „E.T. - Der Außerirdische“ seinen absoluten Nummer-eins-a-plus-Lieblingsfilm ever auswählte und Björn Becher in Ausgabe zwei der „Perle der Woche“ mit dem Steven-Seagal-Reißer „Nico“ einen unterschätzten Action-Klopper in den Ehrenstatus hob, probiere ich es mit einem dritten Ansatz. Meine Theorie: Richard C. Sarafians legendärer „Fluchtpunkt San Francisco“ (Original: „Vanishing Point“) ist einer der Kultfilme, über die jeder spricht, der etwas auf das Siebzigerjahre-Kino hält, den aber von der jüngeren Generation weit weniger Menschen gesehen haben als allgemein behauptet wird. Deswegen appelliere ich nachhaltig an unsere Leser, diese eventuelle Wissenslücke alsbald zu schließen. Denn Sarafians ultra-lässiges Road Movie rockt dermaßen, dass es Einzug in meine All-Time-Top-20 gefunden hat. Aber, um auf meine Theorie zurück zu kommen: Auch ich habe „Fluchtpunkt San Francisco“ das erste Mal vor rund einem Jahr gesehen.
Das Kino der Siebziger
Müsste ich mich spontan entscheiden, welche Filmepoche ich persönlich am spannendsten finde, fiele meine Wahl auf die Siebzigerjahre. Nicht, weil ich 1972 geboren bin. Bewusst erleben konnte ich das Kino dieser Zeit sowieso erst seit Ende 1977, wo ich mit Disneys zauberhaftem „Bernard und Bianca“ meine erste Kinovorstellung besucht habe. Weniger kindgerechte Stoffe wie „Das Boot“, „Rambo“ oder Actionfilme der Sechziger- und Siebzigerjahre folgten erst zu Beginn der neuen Dekade. Denn richtig aufgewachsen bin ich logischerweise mit dem Kino der Achtziger, das bekanntlich seinen so ganz eigenen Charme hatte, um es höflich zu formulieren. Natürlich gibt es in diesem Jahrzehnt genügend herausragende Filme, aber die Rauheit und Ungeschliffenheit der Siebziger war der Dekade abhandengekommen. Ich habe mich über die Jahre den Siebzigern - aus allen erdenklichen Richtungen - genähert… und dieser Prozess ist natürlich noch nicht abgeschlossen. Einer der stilbildenden Filme dieser Zeit ist für mich William Friedkins grandioser Cop-Thriller „French Connection“ mit Gene Hackman und Roy Scheider – den ich wieder und wieder auf Video schaute und der auch heute noch in meiner All-Time-Top-10 steht. Amerikanisches Genrekino, Horror, europäisches Autorenkino, der Neue Deutsche Film – die Siebziger sind ein Füllhorn an Entdeckenswertem - immer noch.
Wer sich dem Geist der Siebzigerjahre nähern will, ist mit „Fluchtpunkt San Francisco“ gleich im Epizentrum des Jahrzehnts gelandet. Der Film spiegelt den Zeitgeist der frühen Siebziger brillant wider. Nicht umsonst zählt das Werk zu den Lieblingsfilmen von Quentin Tarantino, der „Fluchtpunkt San Francisco“ in seiner Grindhouse-Hommage „Death Proof“ ausgiebig zitiert. Die USA taumelt in eine Bewusstseinskrise. Die Ideale der Hippies sind längst verraten, der Vietnam-Krieg tobt unvermindert und das Misstrauen gegen den Staat nähert sich seinem Höhepunkt. In dieses Klima der nationalen Verunsicherung und Desorientierung platziert Regisseur Richard C. Sarafian einen Kultfilm, der die Befindlichkeiten der Gegenkultur in einer minimalistischen Story destilliert und dennoch atmosphärisch mitreißend zelebriert.
Barry Newman und eine leicht beschürzte Unterstützerin.
Two nasti Nazi cars are close behind the beautiful lone driver
Die Geschichte dreht sich um den ehemaligen Profirennfahrer und Ex-Cop Kowalski (Barry Newman), der sein Geld mit der Überführung von Autos verdient. Sein neuester Auftrag soll den Outlaw von Denver nach San Francisco führen. Allerdings bleiben Kowalski nur 15 Stunden Zeit, um einen 400 PS-starken, weißen Dodge Challenger R/T in Kalifornien abzuliefern. Um das Unmögliche möglich zu machen, schmeißt unser Protagonist Amphetamine als wären dies Smarties - um wach zu bleiben, versteht sich. Und er tritt das Gaspedal durch - bis zum Anschlag. Mit der Folge, dass er schnell eine ganze Prozession von Gesetzeshütern anführt. Kowalskis Geschichte macht die Runde, sein aussichtsloser Kampf gegen das korrupte Gesetz entwickelt sich zu einer Abrechnung mit dem System. Er erwirbt sich eine Fanschar, die sich aus der US-amerikanischen Gegenkultur rekrutiert.
„There goes the Challenger. Being chased by the blue blue meanies on wheels. The vicious traffic squad cars are after our lone driver. The last American hero. The electric centaur, the demi god. The super driver of the golden west. Two nasty Nazi cars are close behind the beautiful lone driver. The police number are getting closer, closer. Closer to our soul hero, in his soul mobile. Yeah baby, they're about to strike. They're gonna get him, smash him. Rape the last beautiful free soul on this planet." Mit diesen Worten huldigt der blinde Radio-DJ Super Soul (Cleavon Little) unserem „Last American Hero“ in einer seiner Sendungen. Das erste Mal in Berührung gekommen bin ich mit den Zeilen zu Zeiten von Guns N‘ Roses, meiner Lieblingsband der ausgehenden Achtziger bis Mitte der Neunzigerjahre. Im Song „Breakdown“ aus dem visionären Album „Use Your Illusion 2“ werden diese Rhymes verarbeitet. Hier bezieht Regisseur Sarafian glasklar Stellung im Lager des Anti-Establishments, was er in der Szene zementiert, in der er den schwarzen Aufständischen von der Polizei abführen lässt. Überhaupt lädt der Filmemacher seinen Höllenritt mit einem Maximum an politischem Subtext auf und rebelliert gegen alles, was auch nur ein bisschen nach Staatsmacht riecht. Mit seiner politischen Intention hält Sarafian nicht hinter dem Berg, offen stellt er sich gegen die Allmacht des Gesetzes und lässt seinen Antihelden den uramerikanischen Drang nach Freiheit exzessiv ausleben und so gegen Rassismus und Gewalt Position beziehen. Love, Peace, Happiness und ein eiserner Gasfuß!
Richard C. Sarafians beißend-zynische Kritik am US-System
Dramaturgisch bewegt sich „Fluchtpunkt San Francisco“ aber nicht nur vorwärts, in kurzen, sehr geschickt installierten Rückblenden erzählt Regisseur Sarafian Kowalskis gescheitertes Leben... von seiner Zeit in Vietnam, der unehrenhaften Entlassung aus dem Polizeidienst und seiner draufgängerischen Karriere als Rennfahrer. Nirgendwo hat er ein Zuhause gefunden. Richtig frei fühlt er sich nur hinter dem Steuer. Auf seiner Flucht vor Gesetz und Ordnung macht Kowalski hier und da Station, lässt sich von den Mitgliedern der Gegenkultur immer wieder aus der Klemme helfen und steuert seinem unausweichlichen Ziel unbeirrt entgegen. Dieser Fatalismus, mit dem er sich seinem Schicksal zuwendet, ist beißend-zynische Kritik am US-amerikanischen System der frühen Siebziger.
Doch dieses Abfeiern der wüsten politischen Note markiert für mich nur einen Teil des Meisterwerks – quasi den Unterbau. Da ist zum Beispiel noch der äußerst wortkarge Barry Newman („Daylight“, „Bowfingers große Nummer“, „Petrocelli“), der zwar kaum drei Worte mit seinen Mitmenschen wechselt, aber dies mit so unbändiger Coolness durchzieht, dass er sich meine Sympathien dennoch mühelos erspielt.
Ein Meilenstein der Gegenkultur
Der zweite Hauptdarsteller ist kein menschlicher. Der legendäre Dodge Challenger R/T ist streng genommen ein eigener Charakter. Obwohl mich eine Faszination für Autos lediglich zu Kindheitstagen umgetrieben hat, übt dieses kultige Gefährt eine ungeheure Anziehungskraft aus. Der markante Bolide schneidet sich durch die betörend-schöne Ödnis des amerikanischen Westens, hinterlässt eine Spur der Verwüstung und ist einfach nicht zu stoppen. Die Freiheit scheint grenzenlos, diesen Drang danach fordert „Fluchtpunkt San Francisco“ mit jedem Meter Film ein. Doch das offizielle Amerika versucht dieses Ausleben der eigenen Persönlichkeit zu verhindern – um jeden Preis. Und ja, ich gebe zu: Natürlich ist Sarafians Film romantisierend, Partei nehmend, unfair und überzogen, aber dabei so poetisch und schlicht mitreißend – großes Kino darf sich diese Freiheit herausnehmen. Und so zählt „Fluchtpunkt San Francisco" nach Dennis Hoppers „Easy Rider“ zu den einflussreichsten Road Movies der Geschichte – selbst wenn Richard C. Sarafians fantastisch photographierte und von einem berauschenden Progrock-Soundtrack getragene Post-Hippie-Meditation mittlerweile ein wenig in Vergessenheit geraten ist, was ich mit dieser Ode an einen Kultfilm ändern möchte.
Und die Chance auf den Genuss des Films haben nicht mehr nur die Arthousekinogänger in den Großstädten, „Fluchtpunkt San Francisco“ ist mittlerweile auch auf Blu-ray erhältlich und bei einem großen Online-Medienversand für derzeit 8,97 Euro käuflich zu erstehen. Ich habe jedenfalls die Chance wahrgenommen und meine DVD in die zweite Regalreihe verbannt, um der Blu-ray Platz zu machen.
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