Mit „96 Hours – Taken“ hat Liam Neeson den Trend losgetreten, dass plötzlich Charakterdarsteller, die eigentlich keinen Kampfsporthintergrund haben, als Actionstars auftrumpfen. Das wurde damals ziemlich gefeiert und Neeson dreht seitdem ähnliche Actionfilme am Fließband. Aber mal ehrlich: Richtig überzeugend sind die Choreografien bei Neesons Filmen nur selten. Viel der Dynamik entsteht durch Kameragewackel und vor allem teilweise absurd schnelle Schnittfolgen. Zum Glück machen es einige der „Nachahmer“ deutlich besser ...
... allen voran „Better Call Saul“-Star Bob Odenkirk in „Nobody“ sowie nun ganz aktuell Allison Janney in „Lou“ – und beide haben eine Sache gemeinsam: Daniel Bernhardt aus dem Umfeld der aktuell besten Hollywood-Action-Schmiede 87Eleven (u.a. verantwortlich für die „John Wick“-Filme). Auf den ersten Blick spielt Bernhardt in beiden Actionern nur eine kleine Nebenrolle, ist jeweils ein Scherge, der von den Hauptfiguren auseinandergenommen wird. Doch damit wird sein wahrer Wert für diese Filme versteckt.
Denn Bernhardt hat sowohl Odenkirk wie auch Janney über mehrere Monate intensiv trainiert und gemeinsam mit Stars sowie den jeweiligen Regisseur*innen auch die Kampfszenen choreografiert. Damit hat er großen Anteil daran, dass die Charakterstars so viele Fights selbst machen können, dass nicht so viel mit Doubles, verdeckenden Kameraeinstellungen und Schnitten gearbeitet werden muss wie eben bei den Liam-Neeson-Filmen.
Und vor allem ist es auch sein Verdienst, dass die Action am Ende so gut ausschaut. Bernhardt ist damit der wahre Star hinter „Nobody“ und „Lou“.
Daniel Bernhardt: Einer der unbesungenen Helden Hollywoods
Der in der Schweiz geborene Daniel Bernhardt gab sein Schauspieldebüt in „Bloodsport II“ und hatte danach immer wieder vor allem Rollen als Bösewicht-Handlanger oder Person, die aus anderen Gründen verprügelt werden muss – sehr häufig auch in B-Movies, wo er sich unter Fans schnell Legendenstatus erarbeite. Denn wenn Bernhardt auf dem TV-Schirm auftauchte, wusste man, dass die nun folgende Actionszene heraussticht.
Ein wichtiger Meilenstein in seiner Karriere war sicher sein Part als Agent in „The Matrix Reloaded“, seinem bis zu diesem Zeitpunkt größten Projekt. Bei diesem arbeitete er mit Chad Stahelski und David Leitch zusammen, die er bereits aus einigen B-Movies (wie der „Bloodsport“-Reihe) kannte und die bereits 1997 die Stuntfirma 87Eleven gründeten. Mit der liefern sie – mittlerweile nach einer Trennung der einstigen Geschäftspartner aufgeteilt auf zwei Firmen – nicht nur Hollywood zu, sondern inszenieren heute auch selbst Actionfilme, allen voran die „John Wick“-Reihe.
Bernhardt ist dabei immer wieder mittendrin – von „John Wick“, über „Atomic Blonde“ hin zu „Birds Of Prey“, wo das 87Eleven-Team die Action übernahm, ist er in kleinen Nebenrollen zu sehen. Er machte daneben auch Stunt-Arbeit bei Filmen wie „The First Avenger: Civil War“ oder „John Wick 2“.
Von Anfang an zeigte er dabei, dass er mehr als ein Mann ist, den man gut verprügeln kann, sondern brachte sich umfangreich in die Gestaltung von Actionszenen ein. Und seit 87Eleven sein Geschäftsgebiet erweiterte und nun modernste Einrichtungen für Training und Vorbereitung von Stars auf Produktionen anbietet, hat er auch hier ein Betätigungsfeld gefunden.
"Lou": Eine Konservendose macht den Film zu einem Muss für Actionfans
In „Lou“ kommt all das zusammen. Bernhardt hat Hauptdarstellerin Allison Janney erst über Monate trainiert. Mit dem Wissen daraus konnte er Regisseurin Anna Foerster und ihr Team bei der Gestaltung und Choreografie der Actionszenen unterstützen. Dabei kommen natürlich trotzdem Stunt-Doubles für besonders gefährliche Szenen zum Einsatz, aber unglaublich viel konnte die für „I, Tonya“ mit dem Oscar prämierte Janney selbst machen. Und Höhepunkt ist dabei der brutale Fight mit Bernhardt, bei dem dieser noch mal zeigt, wie gut er es aussehen lassen kann, wenn er verprügelt wird.
Bernhardt spielt einen von zwei Handlangern, denen die von Janney gespielte Lou in einer Hütte begegnet. Während sein Mitstreiter schnell erschossen wird, liefert sich der Schweizer mit der Hauptdarstellerin einen Kampf, der es in sich hat. Der ist unglaublich brutal, stark gefilmt und sehr spannend. Und es kommt eine Konservendose auf sehr unerwartete Weise zum Einsatz – allein diese Sequenz und der Einsatz der Dose macht „Lou“ in den Augen des Autors dieser Zeilen sehenswert.
"Lou" auf Netflix zeigt, warum Charakterstars in Actionrollen eine gute Idee sind
Dabei zeigt „Lou“ auch, warum es eine gute Idee ist, wenn auch Charakterschauspieler*innen solche Actionfilme drehen. So sehr der Autor dieser Zeilen Genre-Stars wie Scott Adkins feiert („One Shot“ ist einer der besten Actionfilme des Jahres!), profitiert „Lou“ ungemein von der dramatischen Kraft seiner Hauptdarstellerin. Allison Janney ist in diesem Film mal wieder richtig stark.
Auf die Netflix-Produktion aus der Schmiede von J.J. Abrams als Ganzes trifft das nur teilweise zu. „Lou“ ist über weite Phasen zu behäbig erzählt und zu lang, die Action-Highlights sind etwas zu rar gesät. Aber dank Janney und einer gelungenen Inszenierung des tristen, verregneten Wald-Schauplatzes durch Anna Foerster ist er für Genre-Fans sehenswert, sodass wir eine Empfehlung aussprechen.
Und wir sind bereits gespannt, wen Daniel Bernhardt demnächst vielleicht trainiert, sodass uns bald ein weiter Star überrascht wie schon Bob Odenkirk und Allison Janney...