„Athena“ beginnt mit einer Pressekonferenz vor einer aufgebrachten Menge. Ein Jugendlicher wurde brutal getötet, ein kursierendes Handy-Video zeigt, dass Männer in Polizeiuniformen die Tat begingen. Die Polizei verspricht, die Verantwortlichen zu finden, auch wenn sie aus den eigenen Reihen stammen. Abdel (Dali Benssalah), ein Bruder des Toten, versucht, die Menschen zur Vernunft zu bringen. Doch wie schon der Trailer zeigt, fliegt dann ein Molotowcocktail und die Lage eskaliert...
Geworfen wird dieser von Karim (Sami Slimane), einem weiteren Bruder des Toten, der sich sicher ist, dass die Täter nur offenbart werden, wenn man dieser Forderung mit Gewalt Nachdruck verleiht – und mit seiner riesigen Gang von Jugendlichen aus ihrem und weiteren Wohnblocks ist er fest entschlossen, genau das zu tun. Und so überfällt man gemeinsam im Anschluss an den Wurf der Brandflasche das Polizeirevier. Ganz dicht folgt die Handkamera dabei den Jugendlichen, wie sie die Station auseinandernehmen, um alles zu klauen, was sie brauchen – allen voran Waffen.
Dieser Auftakt ist der Wahnsinn
Wenn nach atemberaubenden, ohne sichtbaren Schnitt inszenierten gut zehn Auftaktminuten die Kids nicht nur die Station auseinandergenommen haben, sondern mit Fluchtfahrzeugen, darunter ein geklautes Polizeiauto, zurück in ihr Wohnviertel geflohen sind und der Filmtitel das erste Mal eingeblendet wird, dürfte der eine oder die andere erst einmal kurz durchatmen. Intensiver und besser beginnt 2022 wohl kaum ein Film – und „Athena“ ist hier ja erst am Anfang.
Denn die von Karim angeführten Jugendlichen haben den titelgebenden Athena-Wohnblock in einem Pariser Vorort in eine Festung verwandelt, um sich mit der Polizei einen Krieg zu liefern. Und den inszeniert Romain Gavras gekonnt. Immer wieder besteht „Athena“ aus langen Einstellungen ohne Schnitt. Diese sogenannten One-Shot-Sequenzen sind aber gerade keine Angeberei, sondern vermitteln perfekt einen Eindruck von der völlig unübersichtlichen und immer weiter eskalierenden Lage in den zwischen Tränengasgeschossen und vor allem den von den Jugendlichen eingesetzten Bengalos bald völlig vernebelten Gängen und Höfen...
5 Sterne für die Action-Inszenierung, Abzüge bei der Story
Die erste Hälfte des Films „gehört mit zum technisch beeindruckendsten und rundherum atemberaubendsten, was man in den letzten Jahren im Action-Genre gesehen hat“, schreibt unser Chefredakteur Christoph Petersen so auch in der FILMSTARTS-Kritik zu „Athena“, was der Autor dieser Zeilen nur unterschreiben kann. Allerdings gibt es daneben ein paar erzählerische Schwächen.
Abgesehen von den letzten fünf Minuten, die viele sicher auch für komplett unnötig halten werden, wirkt die Auseinandersetzung der Brüder – zu Rädelsführer Karim und dem zu Beginn der Polizei helfenden, um Deeskalation bemühten Abdel gesellt sich auch noch Drogendealer Moktar (Ouassini Embarek), der einfach nur seinen Stoff in Sicherheit wissen will – teilweise zu sehr erzwungen an, ist zu sehr Mittel zum Zweck für einige Kniffe und Wendungen. Trotzdem: Wer auf stark inszenierte Filme steht, muss „Athena“ schauen.
Ab dem heutigen 23. September 2022 habt ihr die Gelegenheit: „Athena“ steht nun nämlich exklusiv bei Streamingdienst Netflix zur Verfügung.