Einer der größten Namen aus dem deutschen Filmgeschehen feiert Geburtstag: Regisseur, Autor und Gelegenheitsschauspieler Werner Herzog. Der Filmemacher ist seit sechs Jahrzehnten im Geschäft und hat in dieser Zeit Dramen, Thriller, Horror und hoch informative, jedoch zumeist zermürbende Dokumentationen gestemmt. Aber ein Film ragt zuletzt dank seiner konfliktreichen, geradezu wahnsinnigen Produktionsgeschichte weit über Herzogs Bekanntheit hinaus.
Genau der läuft anlässlich Herzogs 80. Geburtstag im Free-TV: arte zeigt heute Abend ab 20.15 Uhr das epochale Abenteuer-Meisterwerk „Fitzcarraldo“. Im Anschluss, also ab 22.45 Uhr, zeigt arte zudem Herzogs Dokumentation „Flucht aus Laos“, die ebenfalls im tiefsten Dschungel spielt. In der Doku geht es um einen aus dem Schwarzwald stammenden Vietnamkriegs-Veteranen, der sich unter Herzogs Regie an Originalschauplätzen seinen Traumata stellt.
"Fitzcarraldo": Wahnsinn über Wahnsinn
Südamerika zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Brian Sweeney Fitzgerald (Klaus Kinski) ist ein hochtrabender Exzentriker, für den Scheitern keine Option darstellt. Der passionierte Opernfan will mitten im Urwald ein Opernhaus errichten. Da er allerdings bankrott ist, sucht er Unterstützung bei seiner Freundin: Bordellbesitzerin Molly (Claudia Cardinale). Auf ihr Anraten erwirbt der „Fitzcarraldo“ genannte Kauz scheinbar wertloses, quasi unzugängliches Gelände, auf dem sich jedoch Kautschukbäume befinden, die sich industriell ausbeuten ließen. Dazu muss Brian allerdings erst einmal dorthin gelangen. Also kauft er ein altes Dampfschiff, das Eingeborene per Muskelkraft über einen Berg schleppen müssen...
Eine irre Absicht führt zu einer irren Idee, für deren unwahrscheinliche Umsetzung eine andere irre Idee herhalten muss – und dann basiert das auch noch auf wahren Begebenheiten! Inspiriert wurde dieses durch und durch abstruse, zugleich monumentale Abenteuer nämlich von den Eskapaden des großkotzigen Kautschukunternehmers Carlos Fermín Fitzcarrald. Wobei sich Herzog nicht nur die ihm selbst bei Dokumentationen nicht fremden, künstlerischen Freiheiten genommen hat – er hat das Originalgeschehen in mancherlei Hinsicht sogar an Wahnwitz überboten!
Denn während Fitzcarrald den Auftrag gab, sein Dampfschiff in Teilen von A nach B zu transportieren, wird Fitzgeralds tonnenschweres Schiff am Stück durch den Dschungel geschleppt. Das gilt für die Fiktion des Films, als auch zu weiten Teilen für die Realität der Dreharbeiten. Herzog sah das sowohl für die Bildgewalt als unerlässlich an, als auch dafür, die Erschöpfung und den Wahnsinn in den Gesichtern der Figuren einzufangen.
Im Fahrwasser des Remakes: Einer der größten Kriegsklassiker aller Zeiten bekommt ultimative Heimkino-Edition – mit mehreren Fassungen!Ursprünglich sollte dies mit „Spiel mir das Lied vom Tod“-Mime Jason Robards in der Hauptrolle geschehen – aber nach sechs Drehwochen wurde er krank und musste durch Klaus Kinski ersetzt werden. Das potenzierte sowohl die Intensität als auch die Passion des Films – und den Wahnsinn. Schließlich hatten Kinski und Herzog zu diesem Zeitpunkt bereits eine etablierte, künstlerisch sehr fruchtbare, jedoch menschlich auch stark angespannte Beziehung zueinander. Ein Pulverfass, sozusagen. Und der Dschungeldreh glich einer Fackel, die mit Wucht dort hineingeworfen wurde.
Sei es durch Clips vom Behind-the-Scenes-Material, die deutsche und auch internationale Medien bei jeder sich anbietenden Gelegenheit rausholen, Parodien darauf, oder Parodien der Parodien: Klaus Kinskis Wutausbrüche während der „Fitzcarraldo“-Dreharbeiten sind deutsches (Pop-)Kulturgut und filmisches Allgemeinwissen geworden. Dermaßen, dass Kinskis Gemecker wohl nunmehr berühmter ist als der Film selbst.
Mordlust und Abenteuergrauen
Allerdings hat es „Fitzcarraldo“ verdient, auch unabhängig von Kinskis Cholerik betrachtet zu werden. Ganz gleich, wie denkwürdig es ist, dass ein Statist, der zugleich ein lokales Stammesoberhaupt war, im Zuge eines Kinski-Wutausbruchs auf Herzog zuging, um ihm anzubieten, Kinski einfach umzubringen. Ein Angebot, das Herzog nach eigenen Aussagen beinahe angenommen hätte. Zum Glück nur „beinahe“. Denn allen Parallelen zur Realität zum Trotz: Herzog hielt nicht einfach Kinskis reale Grantigkeit dokumentarisch fest. Im fertigen Film ist eine soghafte, komplexe und mitreißende Performance zu erleben.
Diese entfaltet eine hypnotische Wirkung und gesteht dem Titelhelden bei aller schnaubenden Megalomanie verletzliche Facetten zu. Mehr noch als durch Kinski, entfaltet „Fitzcarraldo“ aber durch Herzogs visuelle Erzählweise seine umwerfende Wirkung: Bilder wiegen hier tausendfach mehr als Worte. Etwa wenn die Eingeborenen den Titelhelden in den unterschiedlichsten Momenten anstarren und vorerst die Frage im Raum steht, ob sie ihn bewundern oder verurteilen. Oder in den fabelhaften, bildgewaltigen Augenblicken, wenn im tiefsten Dschungel das Unmögliche gewagt wird.
Schlussendlich werden in Herzogs Händen bombastische Actionmomente zu opernhaftem, tragisch-beklemmendem Schrecken – sie behalten also ihren vehementen Nervenkitzel bei, er äußert sich bloß unerwartet. Zumindest an Genremaßstäben gemessen. Für Herzog ist es derweil typisch, aus einem erstaunlichen, aufregenden Augenblick jegliches Element der Furcht, Sorge und Tragik zu kitzeln. In „Fitzcarraldo“ reibt sich dies wundervoll mit Kinskis furchtloser Performance und dem Hauch der surrealen Mystik, der dieser Geschichte anhaftet. Es lässt sich streiten, ob dies Herzogs Bester ist. Aber es ist der beste Herzog, um in seine Welt einzusteigen. Oder um sie an seinem Geburtstag zu zelebrieren.
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