+++ Meinung +++
Über zwei Jahre sind mittlerweile vergangen, seit „365 Days“ zu einem der größten Hits der Netflix-Geschichte avancierte. Die Fachpresse ließ zwar kaum ein gutes Haar an dem polnischen Liebes-Thriller mit Porno-Anleihen (bei Rotten Tomatoes hat der Film bemerkenswerte 0 Prozent positiver Kritiken), doch die Abrufzahlen stimmten – und so wunderte es auch kaum jemanden, dass der Streaming-Riese kurz darauf auch nicht nur eine, sondern gleich zwei Fortsetzungen in Auftrag gab. Immerhin liegt dem Ganzen ja auch nicht bloß ein Roman, sondern gleich eine ganze Buchreihe zugrunde. Dass die am Ende eigentlich kaum was zu erzählen hat, wird da schnell mal zur Nebensache.
Doch der Erfolg gibt dem bedenklich-toxischen Liebesspiel recht: Auch das seit wenigen Tagen verfügbare Finale der Erotik-Trilogie „365 Days 3: Noch ein Tag“ eroberte erwartungsgemäß auf Anhieb die Spitze der Netflix-Charts und verhalf im selben Atemzug auch dem Vorgänger zum Top-10-Comeback. Es scheint also tatsächlich ein Publikum dafür zu geben, für diese Darstellung bedenklicher Rollenbilder, inszeniert wie ein Hochglanz-Musikvideo, stümperhaft erzählt und gespielt wie ein C-Porno. Ja, tatsächlich haben diese „365 Days“-Filme mehr mit einem Sexfilm als mit einem Spielfilm gemein – nur dass es am Ende eben genau das nicht zu sehen gibt, was man von einem Porno eben erwartet.
365 Days 3: Noch ein TagWährend sich offenbar also viele Netflix-User über die Rückkehr von Massimo (Michele Morrone) und Laura (Anna Maria Sieklucka) zu freuen scheinen, verstehe ich spätestens nach Teil 3 umso besser, warum Netflix gerade zum ersten Mal in der Geschichte einen Rückgang an Abonnent*innen zu verbuchen hat. Wer tatsächlich prickelnde Erotik und vielleicht auch noch eine packende Geschichte mit ausgearbeiteten Figuren sucht, findet hier jedenfalls keines von beidem. Dabei zeigten in den vergangenen Jahren gleich mehrere Filme, dass beides durchaus miteinander vereinbar ist – neben Paul Verhoevens „Benedetta“ gelang das vor allem auch dem dänischen Oscar-Anwärter von 2019, „Königin“.
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"Königin": Großes Charakterkino trotz Porno-Plot
Die drei „365 Days“-Filme sind nicht nur völlig lieblos umgesetzt (wie auch dieser herrlich amüsante Fehler in Teil 2 unterstreicht) sowie völlig frei von inhaltlicher wie auch sexueller Spannung, sondern obendrein auch ein geradezu ekelhaftes und äußerst bedenklich stimmendes Stück Erotik-Thriller-Kino, in dem die Erotik ebenso zu wünschen übrig lässt wie der Thrill. „Königin“ vereint beides bravourös – und das, obwohl der Plot an ein weitverbreitetes Porno-Genre erinnert.
In „Königin“ erzählt Regisseurin und Drehbuchautorin May el-Toukhy nämlich von einer verbotenen Liebe zwischen Anne (Trine Dyrholm, „Who Am I“) und ihrem Stiefsohn Gustav (Gustav Lindh, „The Northman“) und bedient damit immerhin eine der laut Pornhub-Statistik beliebtesten Sex-Fantasien.
Dass „Königin“ am Ende aber so viel mehr als bloß die Oscarversion eines schmutzigen Sexclips ist, liegt vor allem an Filmemacherin el-Toukhy, die in erster Linie ein Charakterdrama erzählt, eine Geschichte zweier Menschen, deren Ängste und Hoffnungen, Wünsche und Bedürfnisse immer nachvollziehbar sind und zu einem erbitterten Kampf, vor allem in ihnen selbst, führen. Und egal ob nun Spannung, Drama oder Erotik: All das funktioniert erst dann, wenn die Geschichte und ihre Figuren glaubhaft sind und so zum Mitfiebern einladen.
Wenn ihr Lust auf eindringliches, gegen Ende gar schwer verdauliches Erotikkino habt, das sich neben tatsächlich nachvollziehbaren, nachfühlbaren prickelnden Momenten vor allem einem Tabuthema ganz ohne erhobenem Zeigefinger nähert, ist „Königin“ genau euer Film. Wenn ihr einen Porno sehen wollt, guckt einen Porno. „365 Days 1, 2 & 3“ hingegen lohnen sich nicht, ganz egal, wie man es dreht und wendet.
KöniginDies ist eine Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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