Es gibt unglaublich viele homoerotische Momente in „Top Gun“. Da sind die zahlreichen kameradschaftlichen Momente in der Umkleidekabine zwischen Maverick (Tom Cruise), Iceman (Val Kilmer) und Co. und vor allem das legendäre Beachvolleyballspiel. In dem präsentieren die Navy-Piloten ihre Muskeln und obwohl es an einem öffentlichen Strand stattfindet, sind auch im Publikum nur Männer, die bewundernd zuschauen. Dass dazu der Song „Playing With The Boys“ läuft, ist nur noch die Kirsche auf der Torte.
Bei vielen Dialogen muss man sich zudem fragen, ob Regisseur Tony Scott und die Autoren Jim Cash und Jack Epps Jr. sie nicht bewusst zweideutig angelegt haben. Wir meinen Passagen wie „I want somebody’s butt, I want it now!“ oder der Dialog „This gives me a hard-on! - Don’t tease me!“, bei dem in der deutschen Synchro die Doppeldeutigkeit übrigens komplett gestrichen wurde.
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Und dann ist da noch die heterosexuelle Liebesgeschichte zwischen Maverick und Charlie (Kelly McGillis), die von Regisseur Scott nicht nur recht schnell und quasi in einem großen Block abgehandelt, sondern bei der McGillis auch zeitweise in Männer-Klamotten gesteckt wird. Kult-Regisseur Quentin Tarantino griff dies in dem sonst nicht weiter erwähnenswerten Film „Sleep With Me“ in einem längst berühmten Monolog auf (bei dem er das berühmte Originalzitat „You can be my wingman anytime!“ zwar abwandelt, aber sonst lauter treffende Beobachtungen macht):
Die Diskussion über den homoerotischen Unterton von „Top Gun“ ist dabei keine neue und wurde auch nicht erst durch Quentin Tarantino entfacht. Der Regisseur bezieht sich in seinem Monolog vielmehr unter anderem auf die von ihm verehrte Filmkritikerin Pauline Kael, die bereits zum Start von „Top Gun“ in ihrer Kritik für den New Yorker das Militär-Action-Drama als „glänzenden, homoerotischen Werbespot“ bezeichnete und bei Weitem nicht die einzige Person zu jener Zeit war, der das auffiel.
„Top Gun“ wurde so auch direkt zum Gay-Kultfilm und in der Community gefeiert. Doch war das nun gewollt?
Vorlage für "Top Gun" waren auch homoerotische Nacktbilder
Hollywood-Erfolgsproduzent Jerry Bruckheimer streitet ab, dass bewusst homoerotische Subtexte gesetzt wurden. Auch Autor Jack Epps Jr. gab zu Protokoll, dass er sofort verstehe, wie man auf die Idee komme, dass die Dialoge doppeldeutig sein sollen, es ihm beim Schreiben aber nie in den Sinn kam. Doch dem 2012 verstorbenen Regisseur Tony Scott war sehr bewusst, was er da macht. Denn er holte sich seine Inspiration direkt aus der Gay-Community – wenn auch mit anderen Hintergedanken.
Der aus der Werbung kommende Scott studierte hunderte Bilder leicht bekleideter Männer des heute aufgrund diverser Belästigungsvorwürfe umstrittenen Fotografen Bruce Weber. Ihm war klar, dass er diese Ästhetik in seinem Film haben wollte. Er wollte nackte, männliche Oberkörper ähnlich in Szene setzen wie Weber. Er verpasste Cruise und Co. sogar Frisuren, wie sie dessen Models trugen.
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Später erzählte er, dass man bei Studio Paramount deswegen auch kurz in Panik geraten sei – weil das Buch von Weber, welches Scott in einer Präsentation nutzte, so beliebt unter Schwulen war. Doch Scott hatte diese gar nicht als Zielpublikum im Sinn...
Tony Scotts Plan: Ein Film auch für Frauen
Der Regisseur zielte vielmehr auf ein weibliches Zielpublikum ab. Ihm war bewusst: Wenn „Top Gun“ ein riesiger Erfolg werden soll, dann dürfen nicht nur die Männer reingehen, sondern es müssen auch Frauen den Weg in die Kinos finden. Und er war überzeugt: Eine Inszenierung von Männerkörpern, die schwule Männer anzieht, wird bei heterosexuellen Frauen erst recht auf Begeisterung stoßen.
Deswegen war es dem Filmemacher auch wichtig, eine Liebesgeschichte in „Top Gun“ einzubauen – und dafür kämpfte er lange gegen alle Widerstände. Denn die großen Einfluss auf die Produktion nehmende Navy legte immer wieder ihr Veto ein, zwang Scott mehrfach die Liebesgeschichte zu reduzieren. Und wenn ihr euch fragt, warum Kelly McGillis in einigen Szenen so burschikos wirkt und Maverick erst mit ihr Sex hat, als sie sich wie ein Mann kleidet: Auch das hat mit dem Einfluss der Navy zu tun – aber auch mit der zu späten Erkenntnis, dass der Regisseur den richtigen Riecher hatte...
Der Navy war das Love Interest zu sexy
Für Tony Scott sollte die von Kelly McGillis verkörperte Charlie eine absolute Sex-Bombe sein. Doch die Navy legte früh ihr Veto ein, verhinderte diverse „zu weibliche“ Outfits, ließ geplante Szenen streichen. Dies führte am Ende dazu, dass bei der ersten Version des Films die Liebesgeschichte kaum mehr vorhanden war – und Testvorführungen gaben Scott Recht. Die Leute wollten mehr von der Liebesgeschichte sehen. So bekam der Filmemacher Nachdrehs bewilligt.
Im Rahmen dieser entstand nicht nur die Sexszene, sondern auch die Fahrstuhlszene, in welcher Charlie mit Baseballmütze und Flieger-Jacke wie ein Mann aussieht. Doch warum hat Scott die Schauspielerin nun in beiden Sequenzen nicht sexy in Szene gesetzt, wo er doch nun wusste, dass es das Publikum will?
Weil Kelly McGillis längst beim Dreh der Fantasy-Romanze „Made In Heaven“ weilte und die „Top Gun“-Macher Glück hatten, sie überhaupt noch einmal für ein paar Tage ans Set zu bekommen. Da sie für das Liebesmärchen längst eine andere Haarfarbe und Frisur hatte, musste man bei den „Top Gun“-Nachdrehs dies verstecken – und kam so auf die Baseballmütze. Und der Rest war dann einfach der verzweifelte Versuch, ein passendes Outfit zur Kopfbedeckung zu kreieren. Und auch in der Sexszene ist aus diesem Grund so wenig von ihr zu sehen.
Quentin Tarantino wusste wohl Bescheid
Dass Tarantino in dem oben zu sehenden Monolog gerade auf der Fahrstuhl-Szene mit der männlich gekleideten McGillis so rumreitet, dürfte darauf hindeuten, dass er einige der Hintergründe kannte. Schließlich waren er und Tony Scott gut befreundet.
Ein noch junger, von einer eigenen Karriere träumender Tarantino besuchte Scott oft beim Dreh zu „Last Boy Scout“, um ihm über die Schulter zu schauen. Anschließend verfilmte Scott Tarantinos Skript zu „True Romance“. Später kam der „Pulp Fiction“-Regisseur auf Wunsch des Kollegen an Bord, um beim Drehbuch für den U-Boot-Thriller „Crimson Tide“ ein paar Szenen und Dialoge aufzupolieren.
Neuauflage im Heimkino: Darum solltet ihr euch vor "Top Gun 2: Maverick" unbedingt (nochmal) Teil 1 anschauen!Dass Scott die Geschichte selbst freimütig erzählte, können wir uns gut vorstellen. Schließlich klopfte er sich später selbst auf die Schulter. Dass „Top Gun“ so ein großer Erfolg geworden ist, sei eben auch dem Umstand geschuldet, dass viele Frauen in die Kinos gingen. Dass der Film in San Francisco so gut angekommen sei, habe dem auch nicht geschadet, gab er zudem zu Protokoll – darauf anspielend, dass San Francisco lange als die LGBTQIA+-Hochburg galt.
„Top Gun 2: Maverick“ dürfte dagegen nicht als Gay-Kultfilm in die Geschichte eingehen – auch wenn das Volleyballspiel nun mit einem Footballspiel zitiert wird, bei dem auch wieder zahlreiche muskulöse Körper in Szene gesetzt werden – wobei dieses Mal sowohl eine Frau mitmachen wie auch eine zuschauen darf. Als großartiger Actionfilm könnte das Sequel dagegen durchaus Geschichte schreiben. Wir sind zumindest ziemlich begeistert:
Top Gun 2: MaverickMehr von dieser Begeisterung gibt es auch in der aktuellen Ausgabe des Podcasts Leinwandliebe, wo unser Moderator Sebastian mit seinen Gästen Pascal und Markus der Meinung ist, dass „Top Gun 2: Maverick“ nicht nur besser als der erste Teil ist, sondern sie auch die beste Action des bisherigen Jahres gesehen haben wollen (dem Autor dieser Zeilen darf aber die Anmerkung erlaubt sein, dass das Trio zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht den gerade auf Netflix veröffentlichten „RRR“ gesehen hat).
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