+++ Meinung +++
„Venom: Let There Be Carnage“ ist ein gelungener und vor allem sehr unterhaltsamer Blockbuster. Der Kritikenspiegel zu „Venom 2“ fällt trotzdem durchwachsen aus. Laut Rotten Tomatoes liegt der neueste Marvel-Blockbuster von Sony gerade bei nur 60 Prozent positiver Bewertungen und damit genau auf der Grenze, ab der ein Film auf der Website frei übersetzt noch als „genießbar“ und nicht als „verdorben“ bezeichnet wird. Das ist zwar deutlich besser als der Vorgänger (nur 30 Prozent positiv), aber meiner Meinung nach immer noch zu wenig, denn „Venom: Let There Be Carnage“ ist für mich einer der spaßigsten Filme des Jahres.
"Venom 2" lernt aus den Fehlern des Vorgängers
Der erste „Venom“ hatte mich noch mit gemischten Gefühlen zurückgelassen. Ich war zwar fasziniert vom wahnwitzigen Zusammenspiel von Eddie Brock (Tom Hardy) und Venom (ebenfalls Tom Hardy). Doch alles andere war ziemlicher Schrott. Die Handlung um einen wahnsinnigen Elon-Musk-artigen Tech-Guru, der die Menschheit auf die nächste Stufe der Evolution führen will, war mir zu abgedroschen – und Riz Ahmed bzw. die Zeilen, die ihm von den Autoren in den Mund gelegt wurden, auch nicht ansatzweise charismatisch genug, um zu erklären, warum überhaupt jemand für diesen Psychopathen gearbeitet hat.
Obendrein konnte sich „Venom“ nicht entscheiden, düster oder lustig zu sein. Für den Autor unserer Kritik zu „Venom 2“ machte dieser Zwiespalt zwar gerade den Reiz des Vorgängers aus, doch bei mir hat das gar nicht funktioniert. Ich konnte mich nicht auf den Humor einlassen, weil sich der Film selbst zu ernst nahm, und die düstere Stimmung wurde durch Comedy-Momente zunichtegemacht. Der erste „Venom“ war deshalb ein ähnlicher Reinfall wie die Schoko-Pizza, die ein bekannter Lebensmittelhersteller vor einiger Zeit auf den Markt brachte. Man kann entweder Schokolade sein oder eine Pizza. Beides zusammen passt einfach nicht.
Venom 2: Let There Be CarnageDeshalb ging ich ohne große Erwartungen in „Venom 2“ und war überraschter, als die Fortsetzung sich wie aus einem Guss anfühlte. „Let There Be Carnage“ fokussiert sich voll und ganz auf den Buddy-Comedy-Aspekt, den „Venom“ zwar bereits angedeutet, aber dessen Potential nie ganz ausgeschöpft hatte.
Wer sich von Carnage also ein blutiges Gemetzel erwartet hat, der wird eher enttäuscht werden. Dafür bekommt das Highlight des ersten Teils, nämlich Tom Hardy (der das Drehbuch zu „Venom 2“ diesmal auch mitgeschrieben hat), alle Freiheiten, um völlig durchzudrehen.
Tom Hardy hat den Spaß seines Lebens
Schon in der ersten Szene mit Tom Hardy gibt „Let There Be Carnage“ den Ton des gesamten Films vor. Denn Venom hat Hunger und will Menschen die Köpfe abbeißen, doch Eddie lässt das nicht zu. Die beiden streiten sich lautstark auf einer Toilette, während sich die Leute vor der Klotür fragen, was zur Hölle da drin nur vorgeht. Ähnliche Szenen gibt es in Komödien oft. Der Gag an sich ist also keine Meisterleistung der Autoren. Doch die Spielfreude und die wuchtige Energie, mit der sich Tom Hardy in Momente wie diese hineinstürzt, heben den Humor auf eine ganz neue Ebene.
Tom Hardy hat in seiner Doppelrolle den Spaß seines Lebens und das überträgt sich auch auf sein Publikum. „Venom 2“ hält sich zwar mit expliziter Gewalt zurück, ist aber dennoch kein generischer Superhelden-Blockbuster. Dafür ist die Beziehung zwischen Eddie und Venom einfach zu besonders. Sie wird hier stellenweise tatsächlich wie eine Art romantische Partnerschaft dargestellt, mitsamt Streit, Beziehungskrise, Trennung und Versöhnung. „Venom 2“ ist eine der kuriosesten Liebesgeschichten, die ihr je auf der Leinwand sehen werdet – und allein das hat mich den ganzen Film über bei der Stange gehalten.
Ist Carnage wirklich so misslungen?
Ein großer Kritikpunkt an „Venom 2“ ist der Bösewicht. Kletus Cassidy (Woody Harrelson) ist ein skrupelloser Serienkiller und sein Symbiont Carnage ein blutrünstiges Monstrum. In den Comics sorgt diese Kombination für einige der brutalsten Momente der Marvel-Geschichte. Aus diesem Grund haben sich viele Fans auch den ein oder anderen Gore-Moment von „Venom 2“ erhofft. Doch der Sony-Film deutet die wirklich verstörende Gewalt nur an, kommt damit sogar auf eine FSK-12-Freigabe.
Ich kann verstehen, wenn sich Fans daran stören. Doch als jemand, der in seinem Leben keinen einzigen Comic mit Carnage gelesen hat, ist mir das egal. Die Andeutung, dass der blutrote Symbiont jemanden tötet, in dem er seine lange, schleimige Zunge in dessen Rachen schiebt, reicht für mich aus, um zu verstehen, dass wir es hier mit einem wirklich fiesen Monster zu tun haben, das einen viel besseren Bösewicht abgibt als es Dr. Carlton Drake im Vorgänger war.
Während sich Riz Ahmeds Charakter wie auch der gesamte erste Film viel zu ernst nahm, fügt sich Woody Harrelson als parodieartiger Serienkiller perfekt in den Tonfall von „Let There Be Carnage“ ein. Regisseur Andy Serkis, Tom Hardy und Co. wissen genau, was sie wollen und tun gar nicht erst so, als würden sie mit „Venom 2“ etwas erschaffen, das mehr ist als einfach nur ein herrlicher Blockbuster-Spaß.
Und um nochmal den Pizza-Vergleich heranzuziehen: „Venom 2“ ist kein anspruchsvoller Gourmet-Schmauß, sondern fokussiert sich wie eine Pizza mit extra viel Käse auf seine größte Stärke – auch wenn sich manch einer etwas mehr Tomatensoße gewünscht hätte.
"Venom 2" im Podcast
In der aktuellen Folge unseres Podcasts Leinwandliebe hat Moderator Sebastian Gerdshikow diesmal die Kollegen Markus Trutt und Julius Vietzen zu Gast, um ausführlich über „Venom: Let There Be Carnage“ zu diskutieren: