Achtung: Der nachfolgende Text erläutert die Auflösung von „Old“ und beinhaltet damit natürlich massive SPOILER!
Im Mittelpunkt von „Old“ steht ein mysteriöser Strand, der Menschen rasant älter werden lässt. In 30 Minuten altern die Menschen am „Old“-Strand um rund ein Jahr. Doch der große Twist bezieht sich nicht auf den Strand und dessen Alterungseffekt selbst, sondern wer sich diesen zunutze macht.
Denn am Ende des in einigen Punkten an den Serien-Hit „Lost“ erinnernden Mystery-Thrillers erfahren wir, dass der Strand dem Pharma-Unternehmen Warren & Warren als Testfläche für neue Medikamente dient.
Dank des Alterungseffekts kann das Unternehmen die Langzeitwirkungen neuer Medikamente in kürzester Zeit prüfen. Eine Studie, die sonst mehrere Jahre dauern würde, kann hier so an einem Tag durchgeführt werden.
Traumurlaub als Fassade für Medikamententests
Das schicke Resort-Hotel Anamika ist nur eine Fassade. Durch Priscas (Vicky Krieps) Erklärung, wie sie auf das Hotel aufmerksam wurde, erfahren wir, dass die Verantwortlichen ganz gezielt auf verschreibungspflichtigen Medikamenten inserieren, um so speziell kranke Menschen zu einem super-günstigen Traumurlaub zu locken.
Das Rund-um-Betreuungskonzept mit Abholung zu Hause, Flug und Transport ins Hotel dient in Wirklichkeit nur der Verschleierung des Urlaubsziels. So können die Urlaubenden angeblich gar nicht ihrem Umfeld verraten, an welchen exakten Ort sie jetzt verschwinden.
Und mit dem individuellen Begrüßungsdrink wird dann das zu testende neue Medikament verabreicht, wobei hier eine von vielen Fragen offen bleibt. Medikamente, die man regelmäßig nehmen muss, können nicht wirklich getestet werden (was eigentlich ziemlich dumm ist, da das sehr viele sind). Schließlich erfolgt spätestens am Strand keine Kontrolle der Aufnahme mehr. Die mitgegebene reichhaltige Nahrung ist ja vor allem für den Heißhunger der rasant wachsenden Kinder.
Testgruppe Nr. 73
In „Old“ sehen wir – wie wir am Ende erfahren – die insgesamt 73. Testgruppe. Alle Familien und Paare, die an den Strand gelockt werden, haben ein Mitglied, welches untersucht wird:
- Patricia (Nikki Amuka-Bird) leidet unter Epilepsie.
- Prisca (Vicky Krieps) hat einen Tumor.
- Mid-Sized Sedan (Aaron Pierre) leidet unter einem Blutgerinsel.
- Charles (Rufus Sewell) ist derweil schizophren.
Am Ende zählt Patricia als Erfolg. Die Psychologin, die beim Frühstück noch eine Epilepsie-Episode hatte, verbringt über acht Stunden am Strand, bevor sie einen weiteren (dann auch tödlichen) Anfall hat. Das ihr verabreichte Medikament hat als über 16 Jahre eine Episode verhindert.
Die großen Probleme mit den Tests
Allerdings könnte auch ein anderes Medikamente von Gruppe Nr. 73 angeschlagen haben. Wie sich die gesundheitlichen Probleme von Rapper Mid-Sized Sedan entwickeln, kann der von Regisseur M. Night Shyamalan selbst gespielte Beobachter nicht zu Ende dokumentieren.
Denn der Musiker wird vorher von Arzt Charles umgebracht – während dieser sich aufgrund seiner Schizophrenie in eine Wahnvorstellung steigert. Deswegen diskutieren die Forschenden am Ende auch darüber, dass man physisch und psychisch Erkrankte doch in Zukunft lieber trennen solle.
Wahrscheinlich war aber auch das Medikaments des Rappers nicht wirksam, schließlich hat er Nasenbluten. Bei den anderen beiden Tests wissen wir über die Unwirksamkeit: Priscas Tumor wächst und wächst, bis ihr Mann Guy (Gael García Bernal) eine improvisierte Not-OP organisieren muss. Und wie wenig Charles durch die Arznei geholfen wird, machen ja seine Mordattacken deutlich.
"Old": Es bleiben Fragen
Die „Old“ zugrunde liegende Comic-Vorlage „Sandburg“ ist übrigens deutlich offener. Das Pharmaunternehmen hat M. Night Shyamalan für seinen Film erfunden – und fängt mit deren Enthüllung am Ende an, sehr viel zu erklären. Doch einige Dinge lässt er offen.
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Da ist zum Beispiel die Frage, wie sehr die Kinder auch geistig altern. Die damit verbundenen interessanten Diskussionen über den Wert von Lebenserfahrung ignoriert Shyamalan allerdings komplett – entsprechend wenig kohärent wirkt dieser Teil womöglich für viele im Publikum.
Da ist der eigentlich sechs Jahre alte Trent (erst Nolan River) als Teenager (nun Alex Wolff) zum einen noch so unaufgeklärt, dass er mit Strandbekanntschaft Kara (Eliza Scanlen) direkt ein Kind zeugt, aber redet gleichzeitig von Verantwortung wie ein Erwachsener.
Und wenn er dann am Ende rund 50 Jahre alt ist (nun Emun Elliott), will er immer noch wie ein kleines Kind eine Sandburg bauen, kann aber gleichzeitig kühl und überlegt die ganze Verschwörung auffliegen lassen.
OldDurch den von Shyamalan an die Vorlage quasi drangehängten Twist ergeben sich auch anderweitig Fragen. Das ganze Prozedere des Pharmaunternehmens scheint trotz all der scheinbar sorgfältigen Planung wenig durchdacht. Das Problem bezüglich der Medikamenteneinnahme haben wir schon erwähnt, aber auch so scheint der Plan, um nicht aufzufliegen, auf sehr wackeligen Beinen zu stehen.
Gehen wir mal davon aus, dass es pro Testgruppe mindestens zehn Teilnehmer gibt (was sogar eher konservativ geschätzt ist, schließlich besteht sowohl Gruppe 73 als auch der im gefundenen Notizbuch dokumentierte frühere Versuch aus deutlich mehr), sind das mehr als 700 Personen, die bereits verschwunden sind. Reicht da wirklich ein Abholservice, um komplett zu verschleiern, wo die alle Urlaub gemacht haben?
Aber selbst Gruppe 73 macht in ihrer Konstellation keinen Sinn. Dass Patricia und ihr Mann Karin (Ken Leung) erst später an den Strand kommen, ist ihrem Anfall beim Frühstück geschuldet. Aber warum sind Rapper Mid-Sized Sedan und sein Groupie schon die Nacht zuvor da? Das widerspricht doch der ganzen Versuchsanordnung?
Das Geheimnis um den Strand selbst
Die größte offene Frage scheint derweil M. Night Shyamalan bewusst nicht zu interessieren: Was ist eigentlich denn nun genau das Geheimnis des Strandes? Hier müssen wir uns mit ein paar hingeworfenen Sätzen begnügen. Da wird kurz erklärt, dass die Felsen dafür sorgen, dass lebende Zellen beschleunigt wachsen, aber tote nicht, weswegen Haare und Nägel auf gleicher Länge bleiben. Dass jeder ohnmächtig wird und sich wieder am Strand findet, der abhauen will, wird derweil mit dem Druckausgleich begründet.
Mehr über den Strand weiß selbst das Pharmaunternehmen nicht. Denn von diesem erfahren wir nur, dass es gerade nicht (!) hinter dem Strand selbst steckt, sondern auch nur zufällig drüber gestolpert ist. Der Strand selbst bleibt so ein unerklärtes Naturphänomen.
OldM. Night Shyamalan bleibt sich mit „Old“ auf jeden Fall in einer Hinsicht treu: Er setzt wie bei vielen seiner Werke seit seinem Durchbruch mit „The Sixth Sense“ auf einen großen Twist am Ende und hängt diesen sogar extra an die Geschichte der Vorlage ran.
Für den Autor dieser Zeilen vergräbt er damit und mit seiner ausufernden Auflösungen die vielen interessanten Themen des Films, die gerade den Mittelteil dominieren und eigentlich viel Raum zur Diskussion und Interpretation über die Vergänglichkeit des Lebens und - wie bereits angedeutet - die Erfahrungen, die wir machen, eröffnen würden.
„Old“ läuft seit dem 29. Juli in den deutschen Kinos.
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