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    Darum unterscheidet sich "Chaos Walking" so stark von der Buchvorlage: Autor Patrick Ness im Interview

    Wir reden mit Buch- und Drehbuchautor Patrick Ness über „Chaos Walking“ mit Tom Holland und Daisy Ridley. Dabei geht es neben der Arbeit am Set vor allem auch um die zahlreichen Änderungen, die bei der Verfilmung vorgenommen wurden.

    Lionsgate

    Bei „Chaos Walking“ ist auf den ersten Blick so ziemlich alles schiefgelaufen, was schief laufen kann: Über mehrere Jahre hinweg schrieben zahlreiche Autoren und Autorinnen unterschiedliche Versionen des Drehbuchs, dann wurden aufgrund negativer Reaktionen bei Testscreenings nach Ende der Dreharbeiten noch Nachdrehs angesetzt. Doch diese konnten dann erst zwei Jahre später stattfinden, weil die Stars Daisy Ridley und Tom Holland so beschäftigt waren.

    Unsere erste Frage an Patrick Ness, der die Buchvorlage zu „Chaos Walking“ geschrieben hat und auch einer der Drehbuchautoren des finalen Skripts ist, lautet also: Erinnert er sich nach all der Zeit überhaupt noch an den Film?

    FILMSTARTS: „Chaos Walking“ wurde 2017 gedreht, dann gab es Anfang 2019 nochmal Nachdrehs und jetzt reden wir Anfang 2021 miteinander. Wir schwer ist es für dich, in Interviews über den Film zu reden? Die Produktion liegt ja jetzt schon eine Weile zurück...

    Patrick Ness: Ach, so schwer ist das nicht. Ich habe das Buch vor 13 Jahren geschrieben. Es ist also immer ein Teil von mir, es beschäftigt mich immer, es ist immer ein Teil meines kreativen Schaffens. Und ganz ehrlich: Das hört sich so kalifornisch ab, aber ich habe einfach so viel Glück. Es ist so selten, dass ein Buch tatsächlich erscheint und noch seltener, dass es verfilmt wird. Ihr könnt mich in 20 Jahren aufwecken und ich rede immer noch darüber.

    Die Änderungen gegenüber der Buchvorlage

    FILMSTARTS: Unsere zwei Hauptfiguren Todd und Viola sind etwas älter und tougher als in der Buchvorlage. Wie kam es dazu?

    Patrick Ness: Im Buch gibt es die Idee, dass man mit einem bestimmten Alter zum Mann wird. Aber dann sagt Viola an einer Stelle zu Todd: Du bist auf einem anderen Planeten. Hier gibt es eine andere Sonne und andere Monate, was heißt dieses Alter also überhaupt? Und wenn es zufällig ist, was heißt es dann überhaupt ein Mann zu werden?

    Mir hat es also überhaupt nichts ausgemacht, dass sie ein bisschen älter sind. Denn die Frage ist dieselbe: Wer entscheidet, was einen Mann ausmacht? Und warum lässt man das andere Menschen entscheiden? Das sind die Hauptthemen im Buch und dass sie im Film etwas älter sind, hilft dabei sogar. Ich sage immer: Jennifer Lawrence war nicht 16 als sie Katniss Everdeen gespielt hat. Aber das ist egal, weil sie großartig ist. Und so ist es hier auch: Tom und Daisy sind so toll und solche Filmstars. 

    FILMSTARTS: Eine Sache aus dem Buch, die im Film fehlt, sind die verschiedenen Dialekte und Idiolekte, die die Figuren auf New World sprechen. Gab es jemals eine Version des Films, in der die vorkamen?

    Patrick Ness: Uns war von Anfang an klar, dass das zu viel sein würde. Es wäre super kompliziert gewesen, das noch nebenher unterzubringen, wenn wir schon erklären müssen, was der Noise ist und wie er funktioniert. Ich finde das aber nicht schlimm. Lest das Buch, wenn ihr das haben wollt...

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    FILMSTARTS: Und was ist dem Noise bei Tieren? Im Buch sprechen die Tiere ja auch und ihre Gedanken sind hörbar...

    Patrick Ness: Im Buch kann man dafür sorgen, dass die Tiere so klingen wie man möchte, man muss ja nur das passende Wort hinschreiben. Aber auf der Leinwand ist das wirklich schwer, es gibt quasi keinen Weg das hinzubekommen, ohne das es lustig wirkt. Es wurde zu niedlich. Es hat in Kombination mit der ernsten Geschichte und der Action nicht funktioniert. Dass das im Film nicht vorkommt, tut mir schon ein wenig leid, aber ich verstehe es, weil es im Film sehr anders wirkt als im Buch. Auch wenn dadurch einige meiner Lieblingswitze verloren gehen, etwa das Schafe nur „Schaf“ sagen...

    FILMSTARTS: ... oder das Grillen nur an Sex denken...

    Patrick Ness: Das ist das einzige, woran sie denken! Ihr seht, was ich meine: In einem 500 Seiten langen Buch, ist so ein kleiner Gag am Rande in Ordnung, doch in einem 110 Minuten langen Film sorgt das für ein ziemliches Ungleichgewicht. Ich verstehe das also.

    So stark unterscheidet sich das Ende von der Buchvorlage

    FILMSTARTS: Ich muss natürlich nach dem Ende fragen: Im Film haben wir eher ein Happy End, weniger einen Cliffhanger und es wird nicht so stark eine Fortsetzung angedeutet. Warum ist das Ende so anders als im Buch?

    Patrick Ness: Die Antwort darauf ist Doug Liman: Er ist als Regisseur immer auf der Suche am Set. Er schaut, wie die Szene im Drehbuch aussieht, aber dann fragt er: Was können wir noch machen? Wie fühlt sich der Tag an? Wie fühlen sich die Schauspieler? Was können wir daraus machen? Darum hat er bei all seinen Filmen auch immer Nachdrehs eingeplant. Die Geschichte und das neue Ende haben sich also organisch entwickelt. Was brauchen wir? Wohin gehen Todd und Viola und warum?

    Es unterscheidet sich vom Buch, aber das macht mir nichts, denn wenn man so viel Geld für einen Film ausgibt, darf er ruhig auch ein bisschen schöner enden. Aber ich glaube nicht, dass das jemals wirklich der Gedanke dahinter war, es war keine bewusste Überlegung oder eine finanzielle Entscheidung. Ein Thema im Buch ist, wie wir als Menschheit auf eine schreckliche Situation reagieren, die wir nicht erwartet haben. Und in diesen Pandemiezeiten fühlt sich die Botschaft des Films irgendwie passender an: Wir können uns anpassen und auch wenn es schlimme Zeiten gibt, finden wir irgendwann einen Weg wie es funktioniert, auch wenn es nicht perfekt ist. 

    FILMSTARTS: Gab es Diskussionen über eine Fortsetzung? Obwohl es im Film ein ziemlich abgeschlossenes Ende gibt und eine direkte Fortsetzung ziemlich schwer vorstellbar ist, gibt es ja noch zwei weitere Bücher...

    Patrick Ness: Ich glaube, man könnte noch alle möglichen Fortsetzungen machen, alle möglichen Geschichten erzählen oder Orte besuchen. Bei solchen neuen Filmreihen muss man immer schauen, wie das Publikum reagiert, und wenn sie noch mehr wollen, ist das bestimmt kein Problem...

    FILMSTARTS: Aber eine Fortsetzung würde dann eher nicht auf dem zweiten Buch basieren oder?

    Patrick Ness: Das könnte sie schon. Ich denke, es gibt einen Weg, um die Themen und die Geschichte aus dem zweiten Buch in einer Fortsetzung unterzubringen. Ich versuche Spoiler zu vermeiden...

    "Chaos Walking" und der Noise

    FILMSTARTS: Ein zentrales Element des Buches ist der Noise, der hier wie ich finde sehr gelungen umgesetzt wurde. Nicht nur zum Vermitteln von Exposition oder Gefühlen, sondern auch als Waffe oder Werkzeug...

    Patrick Ness: Für mich ist Exposition der Todfeind der Unterhaltung. Ich versuche also so wenig Exposition wie möglich zu haben in meinen Büchern. Nur was absolut notwendig ist, aber kein bisschen mehr. Das war also sehr bewusst, ich wollte nicht, dass irgendwelche Figuren rumsitzen und erklären. Und dann war das einfach die zentrale Überlegung bei der Produktion: Wie schaffen wir das? Wie machen wir das, dass es nicht zu viel wird oder verwirrend oder didaktisch?

    Für uns war der Noise hauptsächlich eine emotionale Repräsentation der Gefühle und selbst der Waffenaspekt ist ein emotionaler Ausbruch. Und wenn man damit anfängt, kann man sich überlegen, was unterschiedliche Farben bedeuten können, was unterschiedlich starke Bilder, was die Größe des Noise? Wir haben natürlich viele Tests gemacht, damit das kohärent aussieht, viele Effekte, unterschiedliche Technologien ausprobiert. Wir hatten etwa 360-Grad-Kameras, bei denen Tom in der Mitte stand.

    Meine Lieblingsszene im Film ist die, wo Viola einen Hügel hochläuft und Tom ist hinter ihr und schlecht gelaunt wegen ihr und schimpft in Gedanken, was wir natürlich sehen, er zieht die wie eine Schleppe hinter sich her. Und das fand ich perfekt, genauso müsste das aussehen, wenn wir das sehen könnten.

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    FILMSTARTS: Die Versuchung zum Vermitteln von Informationen und Gefühlen auf den Noise zurückzugreifen muss sehr groß gewesen sein. Denn normalerweise hat man bei Filmen ja nicht diese inneren Monologe oder die Erzählerstimme, die so was vermitteln kann...

    Patrick Ness: Noch einmal: Ich bin wirklich allergisch gegen Exposition, sie bringt jedes Momentum zum Erliegen. Aber es ist eine große kreative Herausforderung, wie du richtig sagst. Wie beschreiben wir diese Welt? Wie vermitteln wir ihre Geschichte? Aber so eine selbstauferlegte Einschränkung treibt auch die Kreativität an, merke ich immer, denn sie sorgt dafür, dass man nach anderen Wegen sucht.

    So mache ich es auch in Büchern: Man gibt der Leserschaft kein Vorwort, in dem man sagt, wie es sein wird. Man wirft sie direkt mitten hinein. Das Publikum ist viel schlauer, als die meisten denken. Den Menschen fallen Dinge auf. Wenn man einfach eine Welt präsentiert, in der alle Gedanken sichtbar sind, dann kapieren sie das schon. Wenn man nur genügend Fakten an den richtigen Stellen platziert, füllen sie ganz alleine die Lücken dazwischen. Das ist auch für mich als Zuschauer viel befriedigender. Und ich als Autor sage mir immer: Lieber erstmal zu wenig machen und dann notfalls nach oben korrigieren. 

    FILMSTARTS: Im Abspann war eine Noise Unit aufgeführt. War das die, die diese 360-Grad-Szenen gedreht hat?

    Patrick Ness: Genau, aber noch viel mehr. Wir denken so viel, also mussten sie lauter kleine Sachen drehen um diesen Sturm, diesen Blizzard an Gedanken wiederzugeben. Das 360-Grad-Ding war also cool, aber manchmal haben sie auch einfach ein Blatt oder einen bellenden Hund gefilmt. Sie waren schwer beschäftigt.

    Tom Holland & Daisy Ridley: 2 Superstars in den Hauptrollen

    FILMSTARTS: Du hast bereits eine Lieblingsszene erwähnt. Gibt es noch eine weitere? Vielleicht eine Szene, die es so im Buch nicht gibt oder die stark geändert wurde?

    Patrick Ness: Ja, gibt es: Todd und Viola sitzen nach ihrer Flucht unter einer Plastikplane im Regen und dann verselbständigen sich Todds Gefühle. Ich will nicht zu viel verraten, aber das war eine Szene, die während der Dreharbeiten entstanden ist, die Teil des kreativen Prozesses war. Denn wie lustig Tom und Daisy sein können und wie toll ihre Chemie ist, weiß man ja vorher nicht. Ich fand die Szene brillant, obwohl sie nicht im Buch ist, weil sie perfekt in den Film und zu Tom und Daisy passt und sie sehr lustig ist. 

    Die von Ness umschriebene Szene könnt ihr euch hier anschauen:

    FILMSTARTS: Es wirkt so als hätten Tom Holland und Daisy Ridley eine Menge Stunts bei den Actionszenen selbst durchgeführt...

    Patrick Ness: Tom ist ein Wahnsinns-Athlet. Das sieht man ja auch bei seinen ganzen Oben-ohne-Bildern bei Instagram...

    FILMSTARTS: ... und man sieht es auch in diesem Film, bei der Badeszene...

    Patrick Ness: Er ist sehr fit, fast schon ein Turner. Er war ja mal ein Tänzer in „Billy Elliot“ im Londoner West End. Er hat also sehr lange trainiert, um seinen Körper beim Schauspielen einzusetzen.

    Und ganz allgemein: Ein praktischer Stunt ist immer befriedigender als ein CGI-Stunt. Und ein praktischer Stunt mit einem Schauspieler ist immer besser, wenn man auch das Gesicht sehen kann. Wir haben versucht, so viel wie möglich mit ihnen zu machen, natürlich alles so sicher wie möglich und ohne uns ganz auf Tom-Cruise-Niveau zu begeben, der sich immer gleich was bricht. Und Daisy hatte das ganze Training von Rey aus „Star Wars“. Also wenn man so was zur Verfügung hat, muss man es auch einsetzen.

    „Chaos Walking“ läuft seit dem 17. Juni 2021 in den deutschen Kinos, zumindest dort, wo diese bereits geöffnet haben.

    "Chaos Walking": Lohnt sich der Kinobesuch?

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