Wir befinden uns mitten im Pride Month Juni, in dem es darum geht, ein Zeichen für Toleranz und Vielfalt zu setzen und ein Schlaglicht auf die Mitglieder der LGBTQ+-Community zu werfen, die auf dem Weg zur Gleichberechtigung seit Jahrhunderten gegen gesellschaftliche Missstände, Verfolgung und Misshandlung ankämpfen müssen.
Auch die FILMSTARTS-Redaktion unterstützt dieses Anliegen, weshalb wir für den gesamten Juni nicht nur die Logos all unserer Social-Media-Kanäle eingefärbt haben, sondern auch der Pride Flag einen festen Platz auf unserer Homepage geben wollen. Mehr dazu hier:
Für Vielfalt, gegen den Hass: Darum hat die Pride Flag im Juni einen festen Platz auf allen Kanälen von FILMSTARTSAls FILMSTARS-Redaktion wollen wir das Thema LGBTQ+ aber natürlich gern auch aus der Sicht von Film- und Serienliebhabern betrachten. Denn egal, ob in der Realität oder in der Fiktion: Kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt ist immer eine Bereicherung.
Zum Pride Month haben wir deshalb unserere liebsten Filme und Serien mit LGBTQ+-Inhalten zusammengetragen.
Annemaries Filmtipp: "Call Me By Your Name"
„Call Me By Your Name“ hat sich in der kurzen Zeit seit seiner Premiere beim renommierten Sundance-Festival 2017, wo er von Kritiker*innen und Publikum gleichermaßen gefeiert wurde, bereits zu einem Klassiker des LGBTQ+-Films aufgeschwungen. Die 80er-Jahre-Liebesgeschichte zwischen dem jungen Elio (Timothée Chalamet) und dem amerikanischen Archäologie-Studenten Oliver (Armie Hammer) vor der flirrenden Sommersonne Italiens ist eine mitreißend-subtile Liebesgeschichte, eine Ode an das Leben und die Liebe – vor allem an die erste.
Denn Luca Guadagninos Meisterwerk ist, vielleicht mehr noch als ein Liebesfilm, ein betörend schöner Coming-of-Age-Film. Wie der charmante, zwischen selbstbewusster Bockigkeit und schüchterner Verletzlichkeit schwankende Teenager Elio seine Gefühle erforscht und lernt, welche Konsequenzen es mit sich bringen kann, wenn man sich traut zu lieben, ist meisterhaft erzählt und findet seinen emotionalen Höhepunkt nicht etwa in einer Liebesszene...
...sondern in einem ergreifenden und zutiefst wahrhaftigen Vater-Sohn-Gespräch am Ende des Films, als Elios Vater (Michael Stuhlbarg) seinem Sohn sein eigenes Herz öffnet, zugleich Trost und Hoffnung spendet und so ziemlich die schönsten Dinge über junge Liebe – zwischen Menschen egal welchen Geschlechts – sagt, die man im vergangenen Jahrzehnt im Kino gehört hat.
„Call Me By Your Name“ ist eine bildgewordene Sommerliebe, so sinnlich und verführerisch mit seinen sonnengetränkten Panoramen, dem Dauerzirpen der Grillen und der greifbaren erotischen Spannung zwischen Elio und Oliver. Und vor allem ist es ein Film, der den Mut zu lieben feiert.
Benjamins Serientipp: "Bojack Horseman"
„Bojack Horseman“ hat einen brillanten Humor, ist ein wahres Dauerfeuer kreativer Wortspiel-Kaskaden und bietet eine breite Palette an vielschichtigen Charakteren mit zeitgemäßen Problemen. Und obwohl das Netflix-Original oberflächlich klamaukig und derb daherkommt, werden gerade die inneren Konflikte der einzelnen Figuren tiefgründig und mit dem nötigen Respekt behandelt. So auch beim Thema Sexualität bzw. deren Abwesenheit.
Denn anhand von Bojacks Mitbewohner Todd (im Original: Aaron Paul) und seiner Axolotl-Freundin Yolanda (Natalie Morales) werden auch asexuelle Personen in „Bojack Horseman“ anständig repräsentiert. Wir erleben Todd in einer Identitätskrise, als jemanden, der sich lange Zeit nicht eingestehen will, dass er anders ist, und dann endlich eine Gleichgesinnte kennenlernt, die ihm zeigt, dass es völlig normal ist, kein sexuelles Verlangen zu haben.
Leider passiert es extrem selten, dass Asexualität in Filmen oder Serien überhaupt vorkommt. Noch seltener ist es, dass die Selbstzweifel, unter denen asexuelle Personen in einer durch und durch von Sex geprägten Gesellschaft mitunter leiden, derart klar und positiv thematisiert werden.
Bei „Bojack Horseman“ ist das anders. Die Netflix-Serie bietet einer der am seltensten repräsentierten Gruppen endlich eine Identifikationsfigur, hat nebenbei auch noch jede Menge homosexueller Nebencharaktere (unter anderem acht Männer in einer polyamorösen Beziehung) und ist nicht nur, aber auch deshalb absolut sehenswert.
Björns Filmtipp: "Begierde"
Bevor Tony Scott mit „Top Gun“ der große Hollywood-Durchbruch gelang, bevor er also vor dem Hintergrund von Flieger-Action in Wirklichkeit von Männerliebe erzählte und schwitzende Oberkörper in Szene setze, macht er „Begierde“. Der Vampirfilm ganz ohne klassische Vampire ist ein so tragisches wie faszinierendes Drama über zwei Frauen.
Die unsterbliche Miriam (Catherine Deneuve) lässt ihren bisherigen, plötzlich stark alternden Liebhaber John (David Bowie) hinter sich und verführt die Ärztin Sarah Roberts (Susan Sarandon). Die scheint der mächtigen Frau zu verfallen, doch alles nimmt noch eine Wendung, welche der „Liebes“geschichte eine höchst interessante zweite Ebene rund um Abhängigkeit und freien Willen verleiht (was durch ein vom Studio nachträglich angehängtes zweites Ende leider konterkariert wird).
„Begierde“ überzeugt nicht nur mit zwei grandiosen und starken Frauenfiguren, sondern auch mit starken Bildern. Eine mit Setdesign und Kameraführung sich immer wieder einem voyeuristischen Blick entziehende Sexszene ist das poetische Highlight eines vor allem über seine Bilder, weniger über Dialoge erzählten und (abgesehen vom erwähnte Ende) herausragenden Dramas.
Christophs Filmtipp: "Die wilden Hühner und die Liebe"
„Die Wilden Hühner“, die Verfilmung des ersten Bandes der Buchreihe von Cornelia Funke, ist schon verdammt stark – aber die Fortsetzung „Die Wilden Hühner und die Liebe“ ist einer der besten deutschen Kinderfilme überhaupt. Auch im Sequel begegnet Regisseurin Vivian Naefe ihrem jungen Publikum absolut auf Augenhöhe, erzählt dabei eine unterhaltsame, berührende und vor allem grundehrliche Geschichte.
Besonders gelungen: Die Liebe zwischen Erwachsenen wird als ebenso chaotisch wie die erste große Verliebtheit der Teenies dargestellt. Hier werden die Gefühle der titelgebenden Wilden Hühner nicht als niedlich abgetan, sondern angenehm ernst genommen.
Das ist ja auch kein Wunder, schließlich sieht sich die Bestsellerautorin Cornelia Funke selbst als „Spionin der Kinder in der Welt der Erwachsenen“ – und diesem Selbstbild wird auch „Die Wilden Hühner und die Liebe“ gerecht. Besonders deutlich zeigt sich dies auch an der Art und Weise, wie hier mit Homosexualität umgegangen wird: Wilma (Jette Hering) ist nämlich in eine Mitschülerin verschossen.
Für ein so junges Zielpublikum eh schon ein selten gewähltes Thema, wird es hier auch keinesfalls mit unangebrachten Samthandschuhen behandelt: Wilma wird in der Schule gemobbt, beschimpft und Melanie (Paula Riemann) will „die Lesbe“ gar aus dem „Wilde Hühner“-Club schmeißen – ein offener, ehrlicher und nicht feige-durchkalkulierter Vorstoß, der sich für den Film aber 1000-fach auszahlt.
Daniels Filmtipp: "Tangerine L.A."
Kaum ein Regisseur fängt das turbulente Großstadtleben so persönlich ein wie Sean Baker. Der New Yorker Indie-Filmer widmet sich in seinen Filmen gerne Subkulturen, die im Kino ansonsten unterrepräsentiert sind – und zwar auf eine derart authentische Art und Weise, dass es keine fünf Minuten braucht, um in die von ihm geschaffenen Welten einzutauchen – ob in „Starlet“ oder „The Florida Project“.
Sein bislang vielleicht bester, mit Sicherheit aber aufregendster Film ist jedoch „Tangerine L.A.“. Denn die Geschichte der transsexuellen Prostituierten Sin-Dee (Kitana Kiki Rodriguez), die zu Heiligabend aus dem Knast entlassen wird und allerhand mit ihrem Freund zu klären hat, ist nicht nur eine schrille, schräge und bissige Komödie. Obendrein ist „Tangerine L.A.“ vor allem ein wilder Ritt, der nur so vor Energie strotzt. Das ist einerseits natürlich den herausragenden Laiendarstellern zu verdanken, andererseits aber sicherlich auch der ungewöhnlichen Inszenierung. Gedreht wurde der Film nämlich mit einem Smartphone.
Markus' Serientipp: "Brooklyn Nine-Nine"
„Brooklyn Nine-Nine“ ist nicht nur eine der aktuell lustigsten Serien, sondern dabei auch auf eine Weise progressiv wie nur wenige andere Comedy-Produktionen. Mit No-Nonsense-Captain Raymond Holt (grandios gespielt von Andre Braugher) ist eine der Hauptfiguren homosexuell, aber das ist halt einfach so. Schließlich ist da auch nichts weiter dabei und das strahlt „Brooklyn Nine-Nine“ völlig leichtfüßig und ohne erhobenen Zeigefinger aus.
Holts Sexualität wird sehr offen behandelt, ist jedoch schlichtweg ein ganz normaler Teil seiner Persönlichkeit und wird nicht etwa zu einer großen Sache hochstilisiert oder gar für billige Gags und stereotype Pointen missbraucht. Und dennoch spart „Brooklyn Nine-Nine“ auch die Probleme nicht aus, mit denen ein schwuler, schwarzer Polizist besonders in den 80er und 90er Jahren konfrontiert wurde und zum Teil auch heute noch wird.
Genauso spielend und organisch fügen die Macher*innen dem ohnehin schon diversen Figurenensemble im späteren Serienverlauf übrigens noch eine weitere Facette hinzu, wenn sich Rosa (Stephanie Beatriz) als bisexuell outet und damit vielen Menschen eine Stimme gibt, die in Film und Fernsehen noch immer unter- oder missrepräsentiert sind. „Brooklyn Nine-Nine“ ist zwischen all dem albernen Spaß, den die Serie auszeichnet, so auch ungemein smart und feinfühlig und hat dabei stets das Herz am rechten Fleck.
Nicht ohne Grund erhielt die Serie 2018 einen GLAAD Media Award, die jährlich verliehene Auszeichnung der Gay and Lesbian Alliance Against Defamation für die integrative und lebensnahe Darstellung der LGBTQ-Community. Umso bedauerlicher, dass die etwas andere Cop-Serie mit der kommenden achten Staffel endgültig beendet wird.
Pascals Filmtipp: "Hundstage"
„Hundstage“ gehört zu den großen Klassikern des New-Hollywood-Kinos und hat sich längst einen renommierten Status angeeignet, der ihn zum cineastischen Einmaleins erklärt. Nicht nur, weil das auf wahren Begebenheiten beruhende Geiseldrama in einer New Yorker Bank in Brooklyn über seine knapp zweistündige Laufzeit eine permanent schneidende Spannung entwickelt. Im Kern erzählt der hervorragend mit Al Pacino, John Cazale, Charles Durning und Chris Sarandon besetzte Klassiker vielmehr die ergreifend-sensible (und auf einem wahren Ereignis beruhende) Geschichte eines Mannes, der ein Verbrechen aus Liebe begeht.
Regisseur Sidney Lumet beweist einmal mehr sein psychologisches Feingefühl, wenn er die nötige Zeit dafür beansprucht, um die Motivationen und Hintergründe der Geiselnehmer zu ergründen. Immer eindringlicher und fernab jeglicher Vorurteile blickt er dabei hinter die Fassade des Sonny Wortzig (Pacino), der den Überfall initiierte, in seiner Angst und Hilflosigkeit aber nicht nur der Situation, sondern genauso schnell dem Publikum ausgeliefert ist.
Dieser Mann ist kein Gangster. Sonny übertritt nur deshalb die Grenzen des Gesetzes, weil er seinen Partner (gespielt von Chris Sarandon) über alles liebt und dessen sehnsüchtigten Wunsch von einer Geschlechtsumwandlung unbedingt erfüllen möchte. Auch, wenn das für ihn bedeutet, alles aufs Spiel zu setzen.
An diesem Special mitgearbeitet haben außerdem: Annemarie Havran, Björn Becher, Christoph Petersen, Daniel Fabian, Markus Trutt und Pascal Reis.