+++ Meinung +++
Wer sich eine Meinung zu Filmen bildet und wer mit anderen über Filme diskutiert, der ist stets auf seine Erinnerung angewiesen. Doch die Erinnerung kann trügen. Vielleicht hat man eine Szene gar nicht so genau mitbekommen, weil man gedanklich und emotional noch in einem vorherigen Moment steckte. Oder man war im Kino gerade pinkeln, als Han Solo in „Star Wars 7: Das Erwachen der Macht“ von seinem Sohn ermordet wurde (zugegeben, das ist ein Extrembeispiel, das sich vermutlich nur auf meinen Vater bezieht, aber ihr versteht, was ich meine).
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Die Erinnerung an einen Film kann falsch sein oder zumindest getrübt. Das ist ein banaler Fakt, den Filmfans und professionelle Kritiker*innen untereinander jedoch nicht gerne zugeben, obwohl er doch massiv die Meinung beeinflusst, die man sich zu einem Film bildet und die mitunter jahrelang vertreten wird, ohne dass es zu einer weiteren Sichtung kommt.
Ich zum Beispiel hatte eine Meinung zu allen 23 bisherigen Filmen des erfolgreichsten Kino-Franchise aller Zeiten, dem Marvel Cinematic Universe. Jeden der Teile habe ich zum Kinostart geguckt, von „Iron Man“ (2008) bis „Spider-Man: Far From Home“ (2019). Die Filme sind in einem Zeitraum von gut zehn Jahren erschienen, das ist eine lange Zeit mit vielen Veränderungen: Am Anfang ist Obama US-Präsident geworden, am Ende war es Donald Trump.
Als ich mir alle bisherigen 23 Marvel-Filme seit Jahresbeginn 2021 erneut ansah, veränderte sich meine Meinung in drei Fällen:
Hat leider verloren: "Guardians Of The Galaxy 2"
Was ich zuvor über den Film dachte: James Gunn durfte sich nach seinem gewagt-erfolgreichen Marvel-Debüt „Guardians Of The Galaxy“ mehr denn je austoben und ich habe mich gefreut, die chaotische Truppe um den selbsternannten Star-Lord (Chris Pratt) durch einen neuen Film zu begleiten, der aus vielen kleinen Abenteuern besteht. Die Rahmenhandlung in „Guardians Of The Galaxy Vol. 2“ mit Star-Lords plötzlich wieder aufgetauchtem Papa (Kurt Russell) war mir eher egal.
Was ich nun über den Film denke: Die Rahmenhandlung mit dem Papa ist mir inzwischen leider gar nicht mehr egal. Und das ist ein Problem, rührt sie mich doch längst nicht so sehr, wie Regisseur und Autor James Gunn das offensichtlich beabsichtigt. Von der Idee her mag ich, dass Gunn seine Geschichte auf die Pointe hin ausrichtet, wonach ein Ersatzpapa ein viel besserer Vater sein kann, als der biologische Erzeuger:
Star-Lord erkennt, wie sehr Yondu (Michael Rooker) an ihm liegt und dass sein eigentlicher Vater nicht wirklich an ihm interessiert ist, sondern nur an seiner Macht. Doch Star-Lords Beziehung zu Yondu findet in beiden „Guardians“-Filmen kaum statt, sie bleibt mehr Behauptung, als dass sie wirklich zu sehen wäre. Chris Pratt und Kurt Russell wiederum haben keine gute Chemie zusammen und insofern ist mir dann auch ihr Bruch weitestgehend egal.
›› "Guardians Of The Galaxy" bei Disney+*
Warum sich meine Meinung geändert hat: Beim ersten Mal „Guardians Of The Galaxy 2“ habe ich mich einfach sehr darüber gefreut, die bunte, ungewöhnliche Truppe – zu der auch ein laufender Baum und ein sprechender Waschbär gehören, die beide zu Gewaltausbrüchen neigen – wiederzusehen. Mittlerweile aber zieht es einfach nicht mehr besonders, die Freaks zu sehen.
Dazu kommt, dass ich James Gunns immer wieder eingestreuten „schaut mal, wie brutal die sein können“-Humor nicht mehr lustig finde – und in vielen der gefühlsbetonten Szenen den Eindruck bekomme, Gunn wollte mir die Emotionen mit der Brechstange (bzw. mit Popsongs) geradezu einprügeln. Umso mehr musste ich auf die Vater-Sohn-Geschichte von „Guardians 2“ achten, die für mich aber leider nicht funktioniert.
"Black Panther": Ein cooler, politischer Film
Was ich zuvor über den Film dachte: „Black Panther“ war einer dieser Filme, die ich in Ordnung fand, aber überbewertet. Ich habe zwar verstanden, dass es sich hier um einen kulturellen Meilenstein handelt, den ersten Superhelden-Blockbuster mit nahezu ausschließlich Schwarzer Besetzung, nachdem in Mainstream-Filmen jahrzehntelang nur Helden mit weißer Hautfarbe die Welt gerettet haben. Doch dieser Fakt alleine reichte nicht, um mich zu begeistern. „Black Panther“ wirkte zäh: Ihn anzuschauen, fühlte sich eher wie eine Pflicht an und weniger wie ein Vergnügen.
Was ich nun über den Film denke: „Black Panther“ schafft es, ein gleichzeitig cooler und politischer Film zu sein. Hauptdarsteller Chadwick Boseman und seine Co-Stars strahlen eine geradezu ansteckende Lockerheit aus, allen voran Letitia Wright als Black Panthers genial veranlagte Schwester Shuri, dazu strahlt der Film auch im wörtlichen Sinne in den knalligsten Farben eines afrofuturistischen Stils: In den aufwändigen Kostümen und Sets verschmelzen Tradition und Science-Fiction zur bezaubernden Vision eines afrikanischen High-Tech-Staats.
›› "Black Panther" bei Disney+*
Keine Geste und kein Element wirkt aufgesetzt. Gleichsam sind auch die politischen Bezüge des Films eng mit der Superhelden-Handlung verzahnt: Wo Tony Starks fragwürdige Vergangenheit als Waffenfabrikant immer so ein bisschen unter dem Radar erzählt wird, ist „Black Panther“ ein dezidiert politischer Film über die Unterdrückung von Schwarzen Menschen, weil die brutalen Auswirkungen des Kolonialismus hier in der Figur des Widersachers Erik Killmonger (Michael B. Jordan) zum Ausdruck kommt, dessen zutiefst empfundene, verzweifelte Wut über den systematischen Rassismus überwältigend und echt wirkt. Konsequenterweise bleibt Erik wütend bis in den Tod vorm Sonnenuntergang.
Warum sich meine Meinung geändert hat: Ich habe „Black Panther“ erstmals im Februar 2018 geschaut, während ich vorher und danach massenweise Berlinale-Filme geguckt habe. Ich war einfach müde.
"Avengers 3: Infinity War": Mehrfach schauen lohnt sich
Was ich zuvor über den Film dachte: „Avengers 3: Infinity War“ ist pure Überforderung. In keinem anderen Marvel-Film passieren in so schneller Abfolge so dramatische Ereignisse, angefangen mit der Ermordung von Thors Leuten durch den Zerstörer Thanos über die Ankunft von Thanos’ Schergen auf der Erde bis hin zum Tod Gamoras, wiederum durch Thanos Hand. Dieser Film ist in Sachen Plot größenwahnsinnig, ähnlich wie sein großer Widersacher, das kommt protzig rüber und ist erzählerisch schlecht, da keine Szene genug Raum hat, um zu wirken.
Was ich nun über den Film denke:„Avengers 3: Infinity War“ ist purer Exzess und funktioniert als brutale Chronik des Scheiterns der Helden. Jeder Sieg in diesem Film ist vergänglich, jede Niederlage tut weh. Es geht darum, dass der große Tyrann gewinnt, er besiegt alle Held*innen, die sich ihm in den Weg stellen – und das sind nach 20 vorherigen Filmen nun mal eine Menge und eine Menge sehr dramatische Szenen. Außerdem gibt’s in „Avengers 3“ den besten Impotenz-Gag der MCU-Geschichte, wenn Bruce Banner trotz aller Anstrengungen einfach nicht mehr zum Hulk werden kann.
Warum sich meine Meinung geändert hat: „Avengers 3“ hat für mich merklich davon profitiert, dass ich den Film bei der jüngsten Sichtung bereits gut kannte, was seine Handlung anging. Ich musste beim erneuten Schauen also keine Überraschungen oder Irritationen mehr verarbeiten, sondern konnte mich voll auf jede Szene einlassen und konzentrieren. Außerdem setzt dieser Film mehr als alle anderen MCU-Filme (außer „Endgame“) voraus, dass ich die vorherigen Teile geschaut habe. Angesichts der Fülle an Handlung ist hier kein Platz für Exposition. Umso besser, die anderen Filme frisch im Kopf zu haben.
›› "Avengers 3" bei Disney+*
Eine Filmreihe wie das MCU, in der die unterschiedlichen Einträge inhaltlich so eng verzahnt sind, profitiert generell davon, sie in einem Rutsch zu schauen. So sehr manche der Filme jeweils auch für sich alleine stehen können, so sehr sind sie andererseits auch wie Episoden einer Kinoserie, die über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg veröffentlicht wurden, die ich nun aber gebingt habe.
Alle (ja, alle!) MCU-Filme in der großen Podcast-Rückschau
Podcast zu Phase 1 („Iron Man“, „Captain America“ und Co.)Podcast zu Phase 2 („Iron Man 3“, „Guardians of the Galaxy“ und Co.)Podcast zu Phase 3 („Captain America 3“, „Avengers Endgame“ & Co.)
Seit Anfang März 2021 habe ich mit meinen Kollegen Sebastian und Julius drei Folgen unseres Podcasts Leinwandliebe aufgenommen, in denen wir uns allen 23 bisherigen MCU-Filmen widmen. Eine Erkenntnis aus dieser umfangreichen Rückschau, die von „Iron Man“ (2008) über „Ant-Man“ bis hin zu „Avengers 4“ sowie „Spider-Man: Far From Home“ (2019) geht: Es ist immer eine gute Idee, sich mit anderen Film-Freunden intensiv über die eigenen Eindrücke auszutauschen, denn drei paar Augen sehen mehr als eins.
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