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    "Ginny & Georgia" auf Netflix: Warum der überdrehte Genre-Mix für mich nicht funktioniert

    Die Serie „Ginny & Georgia“ über ein unkonventionelles Mutter-Tochter-Duo mit einer sehr jungen Mom spielt damit, das neue „Gilmore Girls“ zu sein. Doch das ist nur eine zitierte Serie im wilden Genre-Mix – der für mich überhaupt nicht funktioniert.

    Netflix

    +++ Meinung +++

    Nicht nur Georgias Spruch im „Ginny & Georgia“-Trailer, „Wir sind wie die ,Gilmore Girls‘, nur mit mehr Busen“, hat mich und viele andere Autor*innen sowie Netflix-Gucker*innen dazu verleitet, von „Ginny & Georgia“ ein „Gilmore Girls“ für die nächste Generation zu erwarten.

    Auch die Prämisse der Serie spielt mit der Idee des berühmten Serien-Vorbilds rund um Mutter und Tochter aus Stars Hollow: Auch in „Ginny & Goergia“ bekam eine Mom ihre Tochter als Teenager.

    Nun ist die Tochter (Antonia Gentry) selbst ein Teenie, im Gegensatz zur quirligen Mutter wesentlich zugeknöpfter, eine gute Schülerin und noch dazu recht schnell in einen Good Boy (Mason Temple als Hunter) und einen Bad Boy (Felix Mallard als Marcu) verknallt. Dean und Jess lassen grüßen. Und dann wohnen sie auch noch in einer Kleinstadt in Neuengland, wo auch das fiktive Stars Hollow liegt – charmanten Café-Besitzer im karierten Flanellhemd, der mit der Mutter flirtet, inklusive!

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    Doch sehr schnell habe ich gemerkt, dass „Ginny & Georgia (übrigens auch „G und G“, schon aufgefallen?) eben nicht das neue „Gilmore Girls“ ist. Was an sich kein Problem wäre – diese Erwartungshaltung wurde ihr ja von außen aufgedrückt (obwohl sie eben doch sehr deutlich damit spielt) –, wenn die Serie stattdessen nicht mindestens fünf verschiedene Serien ganz unterschiedlicher Genres zugleich sein wollen würde.

    Und in diesem wilden Genre-Mix war ich irgendwann so verloren, dass die Frage, ob mich denn „Ginny & Georgia“ unterhält, fast schon zweitrangig wurde. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, das Verhalten der Figuren und den Plot immer wieder neu zu bewerten – je nachdem, mit welchem Genre gerade gespielt wurde.

    „Ginny & Georgia“ ist ein Mix aus „Gilmore Girls“, „Big Little Lies“, „Desperate Housewives”, „Little Fires Everywhere”, „Euphoria” und noch so einigen Serien mehr. Und damit hat die Netflix-Serie sich einfach zu viel vorgenommen – wird am Ende aber keinem ihrer Vorbilder so richtig gerecht.

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    Denn „Ginny & Georgia“ schwankt damit quasi im Minutentakt zwischen Komödie, Wohlfühl-Serie, Coming-of-Age-Drama, Kleinstadt-Posse, Krimi, Thriller, Überlebenskampf-Studie, Diskriminierungs-Lehrstück, Intrigen-Guilty-Pleasure, Satire, Mystery, RomCom und Seifenoper.

    Sind mir die Figuren überhaupt sympathisch?

    Und so häufig die Serie ihr Genre-Gewand und damit auch ihren Anspruch wechselte, so häufig wurde ich zum einen verärgert aus einer gerade laufenden Story gerissen, zu deren Kern ich gerne vorgedrungen wäre, wofür in der überfrachteten ersten Staffel aber eben einfach nie Zeit war. Und zum anderen stellte es mich permanent vor die Frage: Wo liegen eigentlich meine Sympathien?

    Denn die konnte ich während der ganzen Season nicht wirklich zu einer Figur aufbauen, da sich das Framing permanent änderte. In dem einen Moment noch Comedy mit einer sich anzickenden Familie und einer charmanten Gauner-Mama, will „Ginny & Georgia“ im nächsten Moment realitätsnahes Drama und spannender Thriller sein. Und ich sitze da und frage mich: Soll ich Georgia (Brianne Howey) nun als strahlende (Anti-)Heldin sehen, die ganz bewusst auf Konventionen pfeift und sich nimmt, was sie will, oder doch eher als tragische Figur, die vom Leben brutal in die Kriminalität getrieben wurde und permanent Grenzen überschreitet, weil sie es nicht anders gelernt hat?

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    An Georgia und ihrer Geschichte habe ich mich besonders oft gerieben. Sie ist eine Mörderin, stiehlt, betrügt und lügt, und vor allem bringt sie ihren Kindern bei, sich auch mit Gewalt zu wehren, wenn ihnen mal jemand krumm kommt – da wird auch mal ein Grundschüler hinter einen Busch gezerrt, damit Austin (Diesel La Torraca) ihm unter Aufsicht von Mama Georgia die Nase blutig schlagen kann, weil er Austin gemobbt hat. Anschließend wird der Mutter das Jungen strahlend lächelnd und Mitgefühl heuchelnd ins Gesicht gelogen.

    In der hysterisch-überzeichneten Welt der Wisteria Lane von „Desperate Housewives“ würde das funktionieren. Da wird immerhin fröhlich gemordet, gelogen und Dreck unter den Teppich gekehrt – manchmal landet man dafür tatsächlich auch im Gefängnis, meistens freut sich das Publikum aber sogar, wenn die Hauptfiguren mit ihren schmutzigen kleinen Geheimnissen davonkommen. Eine bonbonbunte Realitätsflucht, in der man mal so richtig schön verdorben sein kann.

    "Ginny & Georgia" will alles auf einmal

    Aber dafür will „Ginny & Georgia“ dann doch wieder zu ernst genommen werden. Die charmante Gauner-Mentalität, mit der Georgia in Wellsbury alle an der Nase rumführt, passt nicht zu dem harten Drama-Background, der uns in Rückblenden über ihre Vergangenheit voller Missbrauch und Gewalt erzählt wird, und der Mischung mit zahlreichen Krimi-Twists, bei denen ganz nebenbei enthüllt wird, dass Georgia nicht einfach nur zu überleben weiß, sondern geradezu ein kriminelles Genie ist.

    Man wird das Gefühl nicht los, dass „Ginny & Georgia“ deshalb auf so vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzt, weil hier die perfekte Netflix-Serie geschaffen werden sollte – perfekt in dem Sinne, dass sie so viele verschiedene Interessen gleichzeitig anspricht, dass der Netflix-Algorithmus sie am Ende problemlos jedem Nutzer und jeder Nutzerin als maßgeschneiderte Empfehlung anbieten kann: Auch für dich wird hier etwas dabei sein!

    "Netflix sucht die nächste Top-Serie"

    Das Resultat fühlt sich aber einfach nur an wie eine verkrampfte Pflichtübung bei „Netflix sucht die nächste Top-Serie“. Eine massentaugliche Serie bekommt man eben nicht automatisch, indem man möglichst viele Interessen abgrast.

    Und nicht nur tonal packt die erste Staffel von „Ginny & Georgia“ alle oben aufgezählten Serien in einen Topf, sondern auch story-technisch – und überfrachtet sich damit dann endgültig:

    Der Kern der Serie, in dem eigentlich ihre wahre erzählerische Stärke liegen könnte, nämlich die Beziehung zwischen Mutter Georgia und Tochter Ginny (es ist symptomatisch, dass Familienmitglied Austin neben den beiden Frauen eine völlig untergeordnete Rolle spielt), egal ob nun als durchgeknallte „Gilmore Girls“-Fabel erzählt oder als ernsthaftes Drama eines Generationenkonflikts, kommt immer wieder zu kurz.

    Genre-Mix trifft Story-Overload

    Hier sind nicht (nur) die vielen Genres das Problem, die die Serie im ständigen Wechsel anreißt, aber nie komplett ausreizt, sondern das überhastete Aneinanderreihen viel zu vieler Plots und Subplots. Nicht nur alle erzählerischen Geschmäcker sollen angesprochen werden, auch alle inhaltlichen! All die Liebesgeschichten, Mord-Storys, Teen-Dramen, Intrigen, Detektiv-Plots und, und, und werden zu einem holprigen Ganzen zusammengefügt, in dem keiner Geschichte wirklich Raum gelassen wird.

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    Das Gute daran ist: Letztlich ist wahrscheinlich wirklich für jeden was dabei, und wer die Geduld hat, sich seine Rosinen rauszupicken, die ihm schmecken, kann auch „Ginny & Georgia“ bestimmt was abgewinnen. Da ich fest entschlossen war, mir die Season komplett anzuschauen und nicht zwischendrin abzubrechen, habe auch ich meine unterhaltsamen Momente gefunden.

    Das Schlechte aber ist eben: In einer Zeit, in der uns Streamingdienste wie Netflix, Amazon Prime, Disney+ und Apple TV+ mit Serien geradezu überfluten, will ich von einer Serie komplett gefesselt sein, muss mich ihre Einzigartigkeit so überzeugen, dass sie sich meiner Zeit, die ich investiere, als wert erweist. Und um das zu erreichen, hat eine Serie, die aufs Ganze geht und sich mit Herz und Seele ihrer eigenen Tonart, ihrem erzählerischen Kern verschreibt, viel bessere Chancen als eine Serie, die generisch allem und jedem gerecht zu werden hofft.

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