+++ Meinung +++
Erst vor wenigen Tagen schrieb mir FILMSTARTS-Kollege Tobias mit seinem Artikel Netflix, Amazon & Co. nerven auf Dauer: Ich will zurück ins Kino! aus der Seele. Auch bei mir machen sich langsam Entzugserscheinungen breit, ich sehne mich nach der großen Leinwand. Und trotzdem wurde mir in den vergangenen Tagen wieder einmal klar, dass Netflix aber eben auch viele Chancen und Möglichkeiten eröffnet.
Während dem Streaming-Riesen mit dem roten „N“ immer wieder vorgeworfen wird, dem Kino Filme zu „stehlen“ (was so genau genommen auch nicht stimmt), wird meiner Meinung nach oft übersehen, was Netflix „im Gegenzug“ zurückgibt. Filme wie der spanische Horror-Thriller „Voces - Die Stimmen“ oder der italienische Action-Reißer „Die Bestie“ machen das derzeit sehr deutlich.
Denn vor zehn bis 15 Jahren wären diese Filme in Deutschland (und vielen anderen Ländern) wohl bloß ganz beiläufig, fast schon heimlich erschienen, direkt auf DVD – und hätten damit wohl höchstens die Aufmerksamkeit von Genre-Fans bekommen, die auch bewusst danach Ausschau hielten. Dank Netflix ist das heute anders.
Netflix als große Bühne für Kino aus aller Welt
Netflix fördert die Diversität des Kinos mit Filmen und Serien aus aller Welt und gibt diesen eine große Plattform. So erkannte man etwa das Potenzial des spanischen Mega-Hits „Haus des Geldes“, der mittlerweile als weltweites Phänomen gilt. Und auch das deutsche Mystery-Highlight „Dark“ oder Filme wie der spanische Thriller „Der Schacht“ hätten ohne Netflix im Rücken international wohl nie und nimmer ein dermaßen großes Publikum erreicht.
Netflix-Hit (nicht nur) für Fußball-Fans: Mit "Über das Ergebnis hinaus" kommt ihr trotz Corona in Stadion-StimmungUnd es sind diese Erfolge, die zukünftige Investitionen möglich machen – in mehr Filme und Serien dieser Art. Dass das spanische Spannungskino beispielsweise eben nicht nur in Spanien, sondern auch in Deutschland und im Rest der Welt auf dem Vormarsch ist (mit Filmen wie „Das Schweigen des Sumpfes“, „Der Sanitäter“ oder „Dein Zuhause gehört mir“), ist natürlich vor allem den Filmemachern, zu einem gewissen Teil aber sicherlich auch Netflix zu verdanken.
Natürlich gibt’s auch hier Ausschussware. Nicht alles ist gut, manches billig abgekupfert. Und trotzdem: Die meisten jener Filme bringen dennoch eine eigene Handschrift mit (und sei es nur ein Hollywood-fernes Setting), generieren Aufmerksamkeit und landen in den Top 10 des Streaming-Riesen und ermöglichen damit weitere potenzielle Highlights. Dazu gehören auch Filme wie „Die Bestie“ und „Voces“.
"Die Bestie" und "Voces": Auf den Spuren von "96 Hours" und "Insidious"
„Die Bestie“ erzählt die Geschichte eines Vaters und ehemaligen Mitglieds einer Spezialeinheit, der das Gesetz selbst in die Hand nimmt, als seine Tochter entführt wird – und wandelt damit auf den Spuren von Hollywood-Vorbildern wie „96 Hours - Taken“ oder auch „John Wick“.
Stylisch inszeniert, mit einem auf Spannung getrimmten, dröhnen Score und seinen zwar brutalen, aber nicht immer fetzig inszenierten Actionszenen bringt der Thriller durchaus einige Schauwerte mit. Mit kreativen Einschüben wie einer über mehrere Stockwerke gehenden Kampf- und Ballerszene ohne Schnitt als Action-Herzstück des Films (kann da zwar nicht ganz mithalten, erinnert aber dennoch stark an „Revenge Of The Warrior“ oder „Marvel’s Daredevil“), wird dem Zuschauer außerdem klar:
Auch in Italien kommen talentierte Filmemacher nach, die was drauf haben! Dass man schon nach wenigen Minuten weiß, wohin der Hase hier läuft, nimmt man in Kauf – immerhin bekommen hier gerade junge Regisseure die Möglichkeit, sich zu beweisen. Es braucht eben auch mal die Chance für eine Fingerübung, um zu wachsen und als nächstes vielleicht eine der vielen internationalen Perlen abzuliefern, wie sie Netflix im Angebot hat.
Kritikerliebling neu und exklusiv bei Netflix: Ein Geheimtipp für Fans von Filmen wie "Roma"„Voces“ ist genau das Richtige für Fans von Japan-Horror wie „Ring“ und vor allem Schauergeschichten wie „Insidious“ und „Conjuring“.
Mit seiner Geschichte um den tragischen Tod eines Jungen, der danach noch einmal mit seinen Eltern Kontakt aufzunehmen scheint, wird das Rad zwar auch hier nicht neu erfunden – und mit schaurigen Kritzeleien und fiesen Jumpscares erst recht nicht –, Genre-Fans, die aber genau darauf stehen, erwartet auch hier grundsolide Genre-Unterhaltung.
Beide Filme fallen in die Kategorie „kann man mal machen“. Genau das würden aber viele wohl erst gar nicht, wenn sie sich dafür erst einmal die DVD oder Blu-ray anschaffen müssten. Geschweige denn, wie sie dafür ins Kino gehen müssten.
Es sind Filme, bei denen man gefahrlos „einfach mal reinschauen“ kann. Und wer dann sogar eine gute Zeit damit hat und bis zum Ende dran bleibt, gibt damit auch noch Netflix das Signal, in Zukunft ähnliche Stoffe zu produzieren oder einzukaufen. Und so kommt neben dem Hollywood-Überangebot auch wieder mehr Leben ins europäische Kino.