+++ Meinung +++
Mein Fernseher zu Hause ist so groß, dass er regelmäßig als erstes auffiel, wenn mich Freunde vor einem Jahr in meiner damals neuen Wohnung besucht haben. Meine Couch ist so bequem, dass die Freunde gar nicht wieder aufstehen wollten und der Sound ist so fett, dass meine Nachbarn mich hassen würden, wenn ich ein Rüpel wäre und die Lautstärke nicht gering halten würde. Es lässt sich hier gut Filme schauen (und sogar viel bequemer dazu einschlafen als im Kino), aber trotzdem:
Filme gehören auf die große Leinwand – dieser Satz ist so abgedroschen wie wahr. Das merke ich dieser Tage mehr denn je.
Nur haben die Streaminganbieter Netflix, Amazon Prime Video & Co. leider nicht nur das perfekte Geschäftsmodell für die Pandemie, sie haben auch noch das perfekte Geschäftsmodell fürs 21. Jahrhundert, wo der Weg ins Kino angesichts von Überstunden, Selbstoptimierung und Content-Konsum sowieso wie pure Zeitverschwendung wirkt, wenn ich stattdessen auch zuhause gucken kann, wann ich will.
Aber so verführerisch es auch ist, das umfangreiche Filmangebot der Streamingdienste daheim zu genießen, habe ich jetzt im zweiten, verlängerten Corona-Lockdown mehr und mehr das Gefühl, dass ich die Filme falsch behandle, wenn ich sie streame, dass ich sie sozusagen bei mir einsperre.
Masse, Masse, Masse
Es fängt schon mit diesen verdammten Kacheln an! In den Übersichten von Netflix, Amazon, Disney+ & Co. werden die Filme als kleine Rechtecke dargestellt und die Idee dahinter ist klar: Die Nutzer sollen möglichst viele dieser Kacheln wahrnehmen, damit sie merken, wie umfangreich das Angebot ist. Es geht den Diensten darum, Masse zu demonstrieren (weswegen auch sofort Vorschläge für den nächsten Film kommen, sobald man einen zu Ende geguckt hat).
Kacheln auf dem Bildschirm statt Kinoposter an der Wand
Aber wer mal im Kino-Foyer vor einem dieser großen Filmposter gestanden hat, der kennt dieses übermannende Gefühl, dass der Film schon beginnt, bevor man überhaupt im Kinosessel platzgenommen naht. Eine Netflix-Kachel sagt, „Ich bin ein Film unter vielen“, ein Kinoposter sagt mir dagegen:
„Ich werde dich in eine andere Welt mitnehmen – und die Reise hat jetzt schon begonnen.“
Zuhause werden Filme eingesperrt, im Kino sind sie groß und frei
Und was bitte ist das bunt auffächernde Netflix-Logo am Anfang von Filmen gegen das anschwellend vorfreudige Gefühl, das ein Kinovorhang auslöst, der sich endlich öffnet? Ja, mich nervt die ausufernde Werbung, die in vielen Kinos gezeigt wird, und mich nerven Gäste, die während der Vorführung ihre grellen Handybildschirme anschalten, aber trotzdem lässt es sich nirgendwo so sehr in einem Film versinken wie im Kino, sobald der Vorhang offen ist.
Und das liegt nicht alleine an der Größe der Leinwand (obgleich ich große Leinwände liebe). Es liegt daran, dass ich die Entscheidung getroffen habe, aus dem Haus zu gehen und mich in einen großen Kinosaal zu setzen. Wenn sich alle Gäste an die Regeln halten, gibt es hier keine Ablenkungen: Ich muss nicht an die Tür gehen, ich muss keine Wäsche aus der Waschmaschine holen und ich muss nicht wegen irgendeiner belanglosen Nachricht auf mein verdammtes Handy schauen, denn ich bin wegen einem Film hier und alle anderen im Saal sind es ebenfalls.
Und wenn der Film dann vorbei ist und ich aus dem dunklen Kino nach draußen ins Helle trete, ist das jedes Mal ein bisschen, wie aus einem Traum aufzuwachen. Ich gehe zurück in meine Welt, während ich noch an den Traum denke.
Aus der Traum?
Ich weiß nicht, ob und in welcher Form die Kinobranche überleben wird, der es dieser Tage miserabel geht. Schon vor Corona ging der Trend jedenfalls klar in Richtung Streaming, während der Krise wurde dieser Weg von den großen Studios weiter zementiert: Disney und Warner schieben große Filme wie „Mulan“ und „Wonder Woman 1984“ zu ihren Streamingdiensten, Universal verringert das Zeitfenster, in dem Kinos ihre Filme exklusiv zeigen dürfen. Wobei mich ja gerade nicht die Exklusivität ins Kinos treibt.
Erinnert euch ans Kino!
Ich würde ins Kino gehen, selbst wenn ich den Film zeitgleich auf dem Fernseher schauen könnte. Mir fehlt das Kino, seit ich Filme über Monate hinweg nur auf dem Fernseher gucke. Streamen ist verführerisch bequem. Streamen ist leider mehr denn je zur Gewohnheit geworden. Sobald es wieder möglich ist und sobald ich mich im Kino wieder sicher genug vor Ansteckung fühle, muss ich mit dieser Gewohnheit brechen.
Und ich glaube: Ob das Kino überleben wird oder nicht, hängt sehr damit zusammen, ob alle Kinofans mit ihren Gewohnheiten brechen. Es geht gar nicht so sehr darum, welche Filme laufen oder ob sie exklusiv zu sehen sind.
Es geht darum, ob wir uns rechtzeitig daran erinnern, dass jeder Film besser wird, wenn wir ihn im Kino schauen – denn nur im Kino ist er frei.