+++ Meinung +++
Heute, vier Jahre nach „Star Wars 7: Das Erwachen der Macht“, ist zur Selbstverständlichkeit geworden, was damals bei Filmankündigung eine Sensation war: „Star Wars“ wird tatsächlich noch mal fortgesetzt – aber mit Harrison Ford, Mark Hamill und Carrie Fisher!
So gut wie niemand hatte damit gerechnet, dass die großen Drei der originalen „Star Wars“-Trilogie jemals in ihre alten Rollen zurückkehren würden. Es mangelte an der Gelegenheit, da George Lucas persönlich die Saga nach „Star Wars 3: Die Rache der Sith“ (2005) für beendet erklärt hatte – bei Hamill und Fisher konnte außerdem mit guten Grund angezweifelt werden, ob die beiden überhaupt zu einer Rückkehr in der Lage waren:
Hamill war zwar als Synchronsprecher gut im Geschäft, aber keiner von beiden hatte nach der „Star Wars“-Trilogie auch nur noch eine weitere profilierte Rolle gespielt. Carrie Fisher litt außerdem an psychischen Problemen und war drogensüchtig.
Dennoch kehrten Mark Hamill und Carrie Fisher neben Superstar Harrison Ford in die Rollen zurück, mit denen sie zeitlebens in Verbindung gebracht wurden. Fords Abschied in „Star Wars 7“ rührte zu Tränen, Hamill lieferte in „Star Wars 8“ die Leistung seiner Karriere, seine Rolle als alter, enttäuschter Luke wurde der Mittelpunkt einer der größten Diskussionen um „Star Wars“. Doch Carrie Fishers Leia war… einfach nur egal.
Keine Idee für Leia
Han Solo, Luke Skywalker und Generalin Leia wurden in den „Star Wars“-Sequels zu Nebenfiguren, aber dennoch bekamen zumindest die beiden Männer ihre eigene Geschichte. Han erkennt, dass er nicht länger weglaufen darf – aus dem Schmuggler wird doch noch ein verantwortungsvoller Vater, ganz zum Schluss, der seine größte Heldentat nach seinem Tod vollbringt: Er leistet seinen Beitrag zur Rettung von Sohn und Galaxis.
Luke, der seinen Schüler Ben Solo an die Dunkle Seite verlor, hat sich im Exil von allen Menschen abgewandt, die ihm jeweils was bedeutet haben. Ähnlich wie Han lernt er, dass die Lösung nicht darin besteht, wegzulaufen. Der Clou an den Sequels ist: Auch die Alten lernen hier noch was. Das gilt allerdings nicht für Leia.
Kann irgendjemand aus dem Kopf sagen, worin der Story-Arc besteht, den die alte Leia hat? Der interessante Teil ihrer Geschichte nach „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ spielt sich jedenfalls abseits der Leinwand ab: Im Roman „Blutlinie“ erleben wir eine Leia zwischen Familie und politischer Verantwortung, die sich damit auseinandersetzen muss, dass die Galaxis plötzlich durch die Enthüllung ihrer Abstammung schockiert wird – dabei hatte Leia ihr Jedi-Training bei Luke doch extra aufgegeben, um Politikerin zu sein und dieser Galaxis zu dienen.
In „Star Wars 7“ dagegen ist Leia vor allem eine wandelnde Erklärbärin, die uns Zuschauer darüber aufklärt, warum das mit ihr und Han nicht geklappt hat (Han war ja dabei, dem braucht sie das eigentlich nicht zu erzählen). In „Star Wars 8“ bekommen wir eine Demonstration ihrer Machtfähigkeiten und ein paar pointierte Sätze, vor allem aber liegt Leia hier im Koma. In „Star Wars 9: Der Aufstieg Skywalkers“ schließlich ist sie zwar die Lehrerin der Heldin Rey und opfert sich für ihren Sohn, doch es wirkt, als sei sie gar nicht da.
Leias interessante Geschichte ist nicht in den Filmen
Carrie Fisher verstarb im Dezember 2016 mit nur 60 Jahren. In ihrem Blut wurden u. a. Kokain, Heroin und Ecstasy gefunden. Durch ihre Erkrankungen war sie, so hart das leider klingt, von Anfang an der größte Risikofaktor im Ensemble der „Star Wars“-Sequels. Ob man ihr deswegen eine im Grunde egale Rolle geschrieben hat, sei dahingestellt – als J.J. Abrams Ende 2017 die Regie bei „Star Wars 9: Der Aufstieg Skywalkers” übernahm, stand er jedenfalls vor der Entscheidung, Leia entweder ganz aus der Geschichte zu entfernen oder sie irgendwie zu integrieren. Er entschied sich für irgendwie.
Es ist eine technische Meisterleistung, wie Daisy Ridley und Carrie Fisher in „Star Wars 9“ interagieren, obwohl Abrams die Aufnahmen von Fisher aus dem Archiv holte, wo sie nach dem „Star Wars 7“-Dreh gelandet waren. Aber trotzdem Leia für Rey zur wichtigsten Bezugsperson wird, als Mentorin einer jungen Frau, die nach Eltern sucht, seit ihre sie im Kindesalter verlassen haben, ist sie kaum im Film. Mehr war halt nicht drin.
Doch das wirklich Traurige ist: Viel mehr wäre wahrscheinlich selbst dann nicht drin gewesen, wenn Carrie Fisher wie vorgesehen noch an den Dreharbeiten beteiligt gewesen wäre.
„Wir konnten die Geschichte mit Leia erzählen, die wir auch erzählt hätten, wenn Carrie gelebt hätte“, so J.J. Abrams vor „Star Wars 9“-Kinostart. Dieser Satz ist dazu gedacht, Fans zu beruhigen. Auf den zweiten Blick ist er entlarvend: Wenn in „Star Wars 9“ wirklich die Leia-Geschichte erzählt worden ist, die eh vorgesehen war, dann war diese Geschichte leider schon vor Carrie Fishers Tod zu dünn.
Luke darf lernen, Leia nicht
Viele Kritiker der Sequels verkennen, dass hier eben sehr wohl etwas Neues erzählt wird: Wo die altgewordenen Prequel-Helden in der Originaltrilogie (Obi-Wan und Yoda) einfach nur weise waren, verhält es sich in der Sequel-Trilogie ein bisschen anders: Luke Skywalker ist hier noch nicht weise, er wird es erst. Seine Schwester Leia hingegen lernt höchstens, dass sie ihren Sohn doch nicht aufgeben sollte, aber das hat sie sich wahrscheinlich eh die ganze Zeit gedacht.
Leias Rolle in der Sequel-Trilogie beschäftigte am Ende wahrscheinlich eher die PR-Leute bei Disney denn die Autoren: Wann immer das Gespräch in Interviews auf Leia kommt, hören wir nichts als Wertschätzung für Carrie Fisher und Leia. Niemand habe auch nur mit dem Gedanken gespielt, die Figur nach Fishers Tod digital zu rekreieren oder neu zu besetzen.
So lieb solche Äußerungen auch sind, so sehr ich persönlich die bissig-spleenige Fisher mag und die forsche Leia, so sehr habe ich mir gewünscht, dass diese Wertschätzung vor allem auf der Leinwand zu sehen ist und nicht in Lippenbekenntnissen.
Podcast Leinwandliebe
Falls das im Artikel oben jemand missverstanden haben sollte: Ich liebe „Star Wars“. Wir als Redaktion lieben Filme, auch wenn wir Teile davon nicht mögen. Wir versuchen, diese Haltung auch in unserem Podcast Leinwandliebe auszudrücken, in dem Moderator Sebastian Gerdshikow jede Woche mit FILMSTARTS-Redakteuren über den Film der Woche und ein großes Kinothema diskutiert (den ersten Teil der Folgen gibt es nun auch als Videomitschnitt auf YouTube).
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