Das Animationsstudio Pixar ist einer der wenigen Orte in den USA, wo der uramerikanische Traum einer Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Karriere noch regelmäßig Wirklichkeit wird. Jonas Rivera begann seine Karriere hier als Produktions-Praktikant – und zwar ausgerechnet 1994, dem letzten Jahr der Arbeit am ersten „Toy Story“-Film. 25 Jahre später hat sich Rivera nach und nach bis zum hauptverantwortlichen Produzenten hochgearbeitet. Gleich für seinen ersten Film in dieser Position, nämlich „Oben“ aus dem Jahr 2009, wurde er für einen Oscar nominiert. Für „Alles steht Kopf“ hat er den begehrten Goldjungen dann sogar gewonnen – und nun führt er als Produzent von „A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando“ das traditionsreichste und prestigeträchtigste Franchise des Studios an.
Dabei schien es vor neun Jahren ja noch so, als sei die Geschichte von Woody, Andy und Buzz schon zu Ende erzählt...
FILMSTARTS: Wie kam die Idee für einen weiteren „Toy Story“-Film denn nun zustande? Bei einem anderen Studio würde ich da auf den Finanzchef tippen, aber Pixar hat ja in dieser Hinsicht ja schon immer etwas anders getickt...
Jonas Rivera: Es war ganz sicher nicht der Finanzchef, wobei ich mir sicher bin, dass er die Idee eines weiteren „Toy Story“-Films genauso aufregend fand wie wir. Aber es geschah ganz organisch. Los ging es wahrscheinlich mit John Lasseter, der sich Gedanken darüber gemacht hat, was eigentlich mit der Schäferin Bo Peep passiert ist. Denn sie war im dritten Teil plötzlich nicht mehr dabei. „Toy Story 3“-Regisseur Andrew Stanton trug ebenfalls seinen Teil bei. Als ich zu ihm sagte, dass das Ende seines Films ja offensichtlich auch das Ende der Reihe sei, erwiderte er zu meiner Überraschung, dass er das ganz und gar nicht so sehe.
Andrew Stanton ist ein sehr strukturalistischer, akademischer Autor und Filmemacher. Er hat mir dann erklärt, dass „Toy Story 3“ zwar das Ende von Andys Geschichte ist, der nun in Richtung College aufbricht. Aber der eigentliche Protagonist war ja schon immer Woody – und in jedem Film geht es darum, ihn auf eine neue Art zu testen und herauszufordern. Diesmal können wir Woody wirklich den Boden unter den Füßen wegziehen, indem wir ihm das einzige nehmen, was er immer sicher hatte – sein Pflichtgefühl gegenüber Andy. Das waren die beiden Saatkörner, die schon vor Jahren gepflanzt wurden und die dann nach und nach zu „A Toy Story“ zusammengewachsen sind.
"Toy Story 4" bei Disney nur noch einer unter vielen
FILMSTARTS: Wenn irgendein anderes Studio Pixar gekauft hätte, dann wäre „A Toy Story“ dort jetzt wahrscheinlich das wichtigste Projekt des Jahres und niemand würde von etwas anderem reden. Aber bei Disney ist „A Toy Story“ neben „Avengers 4: Endgame“, „Der König der Löwen“ und „Star Wars 9“ in diesem Jahr nur ein Mega-Projekt unter vielen. Nimmt das etwas vom Druck? Oder verstärkt ihn die interne Konkurrenzsituation sogar noch?
Jonas Rivera: Ich denke, letzteres ist der Fall. Es nimmt definitiv nichts vom Druck. Ich bin selbst ein großer „Star Wars“-Fan und ich will, dass „A Toy Story“ mit diesen Filmen auf einer Stufe steht. Ich will auch niemanden enttäuschen – nicht das Publikum, aber auch nicht das Studio. Ich will einen Film machen, der die Leute tief berührt, der aber auch erfolgreich genug wird, dass man uns anschließend fragt, ob wir nicht noch einen machen wollen.
FILMSTARTS: Mittlerweile habt ihr die technischen Möglichkeiten, eure Filme so realistisch aussehen zu lassen, wie ihr wollt. Aber das ist ja nicht das eigentliche Ziel. Wie entscheidet ihr, wie fotorealistisch ihr werden wollt?
Jonas Rivera: Man muss sich des Problems auf jeden Fall erst mal bewusst sein. Wir haben definitiv die Mittel, es absolut real aussehen zu lassen, aber das wäre für mich ein Verrat am ersten „Toy Story“. Unser Produktionsdesigner Bob Pauley, der schon als Charakterdesigner am ersten Teil beteiligt war, hat deshalb drei Regeln aufgestellt:
1. Die Formen im Film haben den Stil von Karikaturen. Die Modelle etwa von Tischen sind deshalb immer leicht abgerundet und softer als in der realen Welt.
2. Die Texturen sind so real wie möglich, egal ob das Plastik von Woody oder das Fell von Ente Ducky. Der Zuschauer soll das Gefühl bekommen, er könnte diese Oberflächen tatsächlich anfassen.
3. Die Beleuchtung der Szenen ist bewusst theatralisch. So sieht es zwar echt aus, wirkt im selben Moment aber immer auch ein Stück weit überhöht.
Vom ersten Film an war unsere Hoffnung immer, dass wir dem Geist der Reihe auf diese Weise treu bleiben, ganz egal wie weit die Technik ansonsten auch voranschreitet.
(Wir haben das Interview bereits im März 2019 geführt, vor Kinostart des „König der Löwen“-Remakes. Sonst könnte man bei Riveras Antwort ja fast auf die Idee kommen, dass sie zugleich auch ein kleiner Diss in Richtung der fotorealistischen Neuauflage sein könnte.)
Ein bisschen Angeben muss auch mal sein ...
FILMSTARTS: Auch wenn die Figuren bei euch an erster Stelle stehen, ist speziell die erste Szene von „A Toy Story“, in der die Spielzeuge im strömenden Regen eine Rettungsaktion starten, aber schon auch da, um direkt mal einen Pfahl in den Boden zu rammen und der Konkurrenz zu zeigen: „Hey Leute, schaut mal, was wir mittlerweile draufhaben...“
Jonas Rivera: Stimmt schon. Die Szenen im Regen waren wirklich komplex, haben aber auch viel Spaß gemacht. Die Effekte und speziell die Beleuchtung sind wirklich sehr beeindruckend, da stecken auch eine Menge Arbeit und Zeit dahinter. Ich mag aber auch, dass es ein Ort ist, den wir schon kennen, nämlich das Haus von Andy. Doch dann sehen wir ihn auf eine Weise, wie wir ihn noch nicht kennengelernt haben. Und so haben wir direkt zum Auftakt eine Metapher für den ganzen Film (Rivera schnippst nach der Antwort mit den Fingern).
FILMSTARTS: In „A Toy Story“ gibt es eine neue Figur namens Forky, ein selbstgebasteltes Spielzeug aus einer Plastikgabel und Pfeifenreinigern, das mit seiner plötzlichen Existenz aber nicht klarkommt, weil es sich weiterhin für „Müll“ hält. Deshalb versucht Forky ständig, sich in Abfalleimer zu stürzen. Wie viel existenzielle Angst kann ein Kinderfilm vertragen?
Jonas Rivera: Wir haben da einen Versuch-und-Irrtum-Ansatz. Wir haben Sachen ausprobiert, die viel zu weit gegangen sind. Und dann sind wir eben wieder ein wenig zurückgerudert. Oder wir haben zu viel rausgenommen – und dann hatte die Szene plötzlich nicht mehr genug Biss. Wir haben da diese Sache namens „Sequenitis“. Man ist bei der Arbeit so sehr mit einer einzelnen Szene beschäftigt, dass man vergisst, dass drumherum noch ein ganzer Film existiert. Eine Pointe mag für sich richtig lustig sein – aber zusammengeschnitten kann sie plötzlich deplatziert wirken. Wenn wir prüfen wollen, ob ein einzelner Gag funktioniert, dann schauen wir uns trotzdem immer mindestens fünf Minuten des Films an, um wenigsten ein bisschen Kontext zu haben.
Kommen "Toy Story 5" und "Toy Story 6"
FILMSTARTS: Ist denn „A Toy Story“ nun eigentlich direkt der Start einer neuen Trilogie?
Jonas Rivera: Eine große Frage. Man soll ja auch niemals nie sagen. Ich persönlich bin jedenfalls sehr zufrieden mit dem Ende. Aber das war ich bei Teil 3, Teil 2 und sogar beim ersten Film auch schon. Wir haben definitiv noch nicht darüber gesprochen und es ist auch noch niemand mit einer Idee vorgeprescht. Das muss auch organisch passieren. Ich glaube, wenn uns jemand aktiv bittet, einen fünften „Toy Story“-Film zu machen, dann wäre das der Todesstoß für die Reihe. Es muss von uns kommen – es kann also jederzeit sein, dass jemand eine Idee hat, die den Funken entzündet.
„A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando“ läuft seit dem 15. August in den deutschen Kinos.
A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando