+++ Meinung +++
Seit der Jahrtausendwende gab es im Kino bereits einen ganzen Hafen verschiedene Spider-Men zu sehen, unter ihnen drei verschiedene Peter Parkers in Realfilmen, die von Tobey Maguire, Andrew Garfield und Tom Holland gespielt wurden. Hollands neuestes „Spider-Man“-Abenteuer „Spider-Man: Far From Home“ läuft seit Anfang Juli 2019 in den deutschen Kinos.
Zwar handelt es sich bei Peter Parker anfangs immer um einen wissenschaftlich interessierten Highschool-Schüler aus Queens, der von einer radioaktiven Spinne gebissen wird und fortan unter Maske und Decknamen gegen Kriminelle kämpft. Doch es gibt eben auch teilweise starke Unterschiede zwischen den Versionen, etwa was Reife, Attitüde und Beliebtheit betrifft.
Ist das überhaupt noch Spider-Man?
Die Persönlichkeit des Wandkrabblers ist jedoch nicht das einzige Element, das sich von Spider-Man zu Spider-Man unterscheidet. Auch die Verhältnisse, in denen Peter Parker lebt, unterliefen seit Sam Raimis erster Leinwandadaption „Spider-Man“ von 2002 einen Wandel, der von den Produzenten der aktuellen Filmreihe Kevin Feige (Marvel) und Amy Pascal (Sony/Pascal Pictures) aber kontinuierlich unter den Tisch gekehrt wird.
Bei der neuen Version von Spider-Man handelt es sich nämlich nicht wie in den Comics der 60er-Jahre und dem ersten Kino-Film um einen in Armut hineingeborenen Underdog, sondern um einen überprivilegierten und stark geförderten Senkrechtstarter, der immer am richtigen Tisch mit den richtigen Leuten sitzt.
Kevin Feige stellte die Figur vor ihrem MCU-Debüt 2015 im Interview mit der L.A. Times mit diesen Worten vor: „Wenn man sich die frühen ‚Spider-Man‘-Comics anschaut und das, was so großartig daran ist, was Stan Lee und Steve Ditko da gemacht haben, sieht man, dass sie sich gedacht haben ‚was wäre, wenn einer der stärksten Helden, den wir haben, ein Schüler wäre, der Hausaufgaben machen muss und kein Milliardär oder ein genialer Wissenschaftler oder ein ausgebildeter Auftragskiller oder ein weiterer Wissenschaftler, der einen Unfall hatte, sondern einfach ein Kind?‘“
Bei Tom Hollands Spider-Man handelt es sich zwar um ein Kind, jedoch spätestens seit seiner offiziellen Aufnahme in die Avengers nicht mehr um „einfach ein Kind“. Auch wenn Feige hier in erster Linie auf das Alter des Helden anspielt, das ihn von anderen MCU-Figuren unterscheidet, so schwingt in seiner Aussage doch auch mit, dass Spidey von Beginn an als Jedermann konzipiert war und man sich dieser Vorgabe mit der Besetzung des jungen Tom Holland wieder stärker annähern möchte. Das trifft aber zumindest im MCU nicht zu. Im Gegenteil: Es wird konstant herausgestellt, wie hochbegabt Peter ist und wie jeder in seinem Freundeskreis mit Ausnahme von Flash Thompson ihn dafür respektiert.
Iron-Man-Anzug statt 20 Dollar
Darüber hinaus ist auch Peter Parkers sozial-ökonomische Realität in den neuen Filmen eine komplett andere, was man vor allem daran sieht, dass sie nie zum Thema gemacht wird. Wo Tobey Maguires Peter in „Spider-Man 2“ sogar ein Geburtstagsgeschenk von 20 US-Dollar von seiner Tante May (Rosemary Harris) zu ihrer größten Scham zurückweist, da diese nach dem Tod ihres Ehemannes in die Armut abgerutscht und von einer Räumungsklage betroffen ist – für mich übrigens die beste Szene des gesamten Films –, scheint es Tom Hollands Peter Parker an nichts zu fehlen.
Außerdem ist er mit mehreren der reichsten und einflussreichsten Menschen auf dem Planeten befreundet, die sich alle um ihn kümmern wollen. Zwar öffnen sich auch für Maguires Peter über seine Verbindung zu Harry Osborn (James Franco) manche Türen, die anderen verschlossen bleiben, allerdings bekommt er keine Praktikumszeugnisse und Stipendien vom angesehensten Geschäftsmann der Welt ausgestellt und auch keine High-Tech-Ausrüstung zugesteckt, mit der er praktisch komplette Einsicht in die persönlichen Daten seiner Mitmenschen hat.
Für Amy Pascal gilt Parker aber anscheinend immer noch als unterprivilegiert. So sprach sie nach Kinostart von „Spider-Man: Far From Home“ im Gespräch mit Empire über den Helden, als sei er arm wie eine Kirchenmaus: „Er hat keine Mittel. […] Das ist, was wir alle an ihm lieben. All seine Probleme sind wie die unseren. Er hat überhaupt kein Geld, die richtigen Leute mögen ihn nicht und er hat nicht die Dinge, die jeder andere hat. Er muss Hausaufgaben machen.“
Mit Ausnahme des letzten Satzes trifft meiner Meinung nach keine dieser Aussagen auf den aktuellen Peter Parker zu. Ich will nicht sagen, dass seine Probleme weniger gewichtig sind als die vergangener Spider-Männer, aber um seine finanzielle Zukunft muss sich der junge Spund garantiert keine Gedanken machen und ein High-End-Science-Fiction-Kampfanzug mit eingebauter künstlicher Intelligenz zählt auch garantiert nicht zu den Dingen, die jeder andere hat. Außerdem datet seine Tante (Marisa Tomei) in dieser Version der Geschichte Happy Hogan (Jon Favreau), den Bodyguard der wohl reichsten Frau der Welt, der Peter mit väterlicher Güte behandelt und versucht, ihn aus jeder noch so prekären Situation herauszuholen.
Die Verantwortlichen sollten also aufhören, so zu tun, als handle es sich bei Spider-Man noch immer um die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft aus den frühen Comics, vor allem nicht, nachdem in „Far From Home“ bereits thematisiert wurde, dass sich der Held in einem sehr exklusiven Kreis befindet, der mit ganz anderen Anforderungen daherkommt. Selbst Nick Fury bzw. Talos (Samuel L. Jackson) schmeißt es ihm dort an einer Stelle treffend ins Gesicht, nachdem Peter behauptet, nicht zur Superhelden-A-Liga zu gehören:
„Bitch, please. Du warst im Weltraum.“
„Spider-Man: Far From Home“ läuft derzeit in den deutschen Kinos.