Vertraut man der Rangliste von IMDb, dann handelt es sich bei der neuen HBO-Miniserie „Chernobyl“ über die Nuklearkatastrophe 1986 um die beste Serie aller Zeiten. Der Überraschungshit von Drehbuchautor Craig Mazin stellt sogar „Breaking Bad“, „The Wire“ und „Game Of Thrones“ in den Schatten. Der Kreml teilt die Begeisterung für die Nacherzählung der folgenreichen Katastrophe, die sich in der Ukraine und damit auf dem Gebiet der damaligen Sowjetunion ereignete, allerdings ganz und gar nicht, wie die regierungskritische Moscow Times berichtet. In Russland hagelt es demnach Kritik an der US-Produktion und der Staatssender NTW arbeitet an einer eigenen Serie, in der die Geschichte von Tschernobyl aus einer äußert fragwürdigen Perspektive gezeigt werden soll.
Russische Medien regen sich über "Chernobyl" auf
In seinem Kommentar berichtet der Journalist Ilya Shepelin von den empörten Reaktionen russischer Medien auf „Chernobyl“. Die populäre Zeitung Komsomolskaja Prawda werfe die Frage in den Raum, ob die Serie dazu diene, Russlands Macht als Atomnation gezielt zu schwächen. Eine andere Zeitung mit dem Namen Argumenty i Fakty bezeichne die Show als „Karikatur und nicht die Wahrheit“.
Zur Erinnerung: „Chernobyl“ ist keine Doku-Serie, sondern ein Drama. Craig Mazin nahm sich bewusst einige kreative Freiheiten. So ist zum Beispiel die Wissenschaftlerin Ulana Khomyuk (Emily Watson) frei erfunden. Es war bei der Serie nie das Ziel, hundertprozentig akkurat zu sein. Dennoch erntet sie viel Lob für ihre Authentizität und die bedrückende, realitätsnahe Stimmung, die sie vermittelt.
Die russischen Mainstream-Medien sind bei „Chernobyl“ laut Moscow Times besonders penibel, nehmen die HBO-Show demnach bis ins kleinste Detail auseinander und kritisierten minimale historische Ungenauigkeiten, wie sie bei nahezu jeder Serie dieser Art auftauchen. Eine eigene Serie des russischen Staatssenders NTW, die eine andere Sichtweise auf die Geschehnisse bieten soll, sei daher bereits abgedreht. Doch offenbar geht es den russischen Machthabern dabei nicht um eine korrekte Darstellung der Ereignisse. Denn die neue Serie stütze sich auf eine Verschwörungstheorie.
Die USA als Sündenbock
Die russische Serie soll von einem CIA-Agenten handeln, der sich in Tschernobyl einschleicht und dort die nukleare Katastrophe einleitet. Die Schuld für das Unglück würde also ganz klar den USA in die Schuhe geschoben werden. In der Realität deutet nichts auf einen derartigen Verlauf der Ereignisse hin, es handelt sich dabei also um nichts weiter als eine Verschwörungstheorie. Der tatsächliche Grund für die Reaktorexplosion wurde bereits ausgiebig von Wissenschaftlern erforscht und HBOs „Chernobyl“ stellt diese auch dementsprechend dar.
Wahrscheinlich ist es eben genau diese faktenbasierte Aufarbeitung der Ereignisse, die in den russischen regierungstreuen Medien für Unmut sorgt. Die sowjetischen Machthaber reagierten damals erst sehr spät auf die Warnungen des Forschers Valery Legasov (in der Serie gespielt von Jared Harris). Sie setzten hunderttausende Menschenleben aufs Spiel, um den katastrophalen Fehler vor dem Westen geheimzuhalten, was letzten Endes aber ohnehin nicht gelang. Verschwiegenheit und Gesichtswahrung waren wichtiger als Menschen. Ironischerweise verhalten sich die russischen Regierungs-Medien nun so ähnlich, wie sich damals im Umgang mit Tschernobyl verhalten wurde. Die Wahrheit soll unter den Teppich gekehrt werden.
"Chernobyl": Der wahre Horror hinter der Katastrophen-SerieWer „Chernobyl“ noch nicht gesehen hat, kann das hierzulande via Sky nachholen. Heute erschien die fünfte und letzte Folge der Mini-Serie auch in Deutschland.