Mit „Rocca verändert die Welt“ läuft seit dem 14. März 2019 ein wunderbarer deutscher Kinderfilm in den Kinos. Im Mittelpunkt steht mit Rocca (gespielt von Newcomerin Luna Maxeiner) eine Art „deutsche Pippi Langstrumpf“ – ein kluges, unangepasstes und fröhliches Mädchen, das auf einer Raketenbasis in Kasachstan aufgewachsen ist, weil ihr Vater (Volker Bruch) Astronaut ist. Doch da der nun ins All muss, soll sie die Zeit in Hamburg bei ihrer Oma Dodo (Barbara Sukowa) verbringen. Und dort mischt sie mit ihrer unbedarft-zupackenden Art bald alles mächtig auf.
Auch das Leben des obdachlosen Flaschensammlers Caspar verändert die Optimismus versprühende Rocca sofort. Gespielt wird dieser von Fahri Yardim, mit dem wir in Berlin über seinen wunderschönen neuen Film, über die leisen Töne, die er als Schauspieler in diesem bedient und über die Heldinnen seiner Kindheit, in die er dauernd verknallt war, gesprochen haben.
Tolle deutsche Kinderfilme
FILMSTARTS: Es gibt ja in der Öffentlichkeit ein teilweise sehr kritisches Bild über das deutsche Kino. In Diskussionen sehe ich oft den Hang zur Behauptung, wir machen es schlechter als all die anderen. Ich halte das nicht nur für falsch, sondern möchte es bei einer Sache sogar ins Gegenteil verkehren: Wir machen meiner Ansicht nach nämlich mit die besten Live-Action-Kinderfilme der Welt. Ein Beispiel dafür ist nun „Rocca verändert die Welt“, für dich schon das zweite Mal nach „Rico, Oskar und der Diebstahlstein“, dass du in einem richtig wunderbaren Kinderfilm mitspielst. Damit bist du quasi Experte. Warum sind deutsche Kinderfilme so gut?
Fahri Yardim: Das ist eine gute Frage, aber ich bin da nicht der Experte, der sich anmaßen würde, es zu wissen. Erst einmal ist es ja eine schöne Feststellung, dass es was gibt, das wir feiern können. Dass wir mal aus dem selbstkritischen Modus raushüpfen und vergnügt jodeln.
Du hast Recht! „Rocca verändert die Welt“ ist einer der schönsten Kinderfilme, die ich seit langer, sogar seit sehr langer Zeit gesehen habe, weil er tatsächlich über dieses action-bunte Bonbonding hinauswächst. Er hat mich auf eine kostbare Weise berührt und bewegt. Filme, die das schaffen, sind sowieso die kraftvollsten.
Plädoyer für bedingungslose Freundlichkeit
FILMSTARTS: „Rocca verändert die Welt“ behandelt sehr aktuelle Themen und das ist immer auch ein kleines Minenfeld. Denn oft gibt es dann die eine angestrebte Aussage und die wird mit viel Nachdruck dem Zuschauer eingebläut. Doch ihr habt wirklich viele verschiedene Aussagen, die nebeneinanderstehen. Möchtest du trotzdem was herausstellen?
Fahri Yardim: Die Schwere der Themen wird durch den Zauber dieses Mädchens warm eingebettet. Sie erinnert an die urmenschliche Kraft der Freundlichkeit und Ihre unverschämte Offenheit dient ihr dabei als Superkraft. Die größte Stärke des Films aber ist, dass er besonders auch die Erwachsenen anspricht. Man geht aus dem Film mit einem gestärkten Vorsatz, sich der Welt wieder bedingungslos freundlich zu nähern. Viel mehr geht nicht .
FILMSTARTS: Diese Offenheit, mit der Rocca auf andere Menschen zugeht, spielt natürlich auch bei der Wandlung deiner Figur eine Rolle. Du spielst einen Obdachlosen, was gerade auch wieder ein unglaublich aktuelles Thema ist. Wie war dein Zugang zu dieser Rolle?
Fahri Yardim: Ja, es ist eine verdammt tragische Geschichte, die Caspar auf die Straße wirft. Umso schöner ist, wie Rocca seinen Lebensmut wieder erweckt, indem sie sein Selbstmitleid durch ihre Freundlichkeit geradezu herausprügelt.
Ich bin dem Thema „Obdachlosigkeit“ eher instinktiv als in tiefer Vorbereitung begegnet. In der Großstadt gibt es eh eine permanente Berührung. Und dadurch erhält sich ein schockierender Spiegel einer ungerechten Gesellschaft. Es ist beschämend, dass wir in diesem reichen Land diese Tragik ermöglichen. Hierin lag auch eine Motivation, die Rolle zu spielen. Den Unbeachteten Beachtung schenken, auch indem ich ihnen mein von Scheinwerfern gewärmtes Gesicht leihe.
Laut und Leise
FILMSTARTS: Was mir an deiner Darstellung von Caspar sehr gut gefällt: Es ist eine eher leisere Figur und ich hatte den Eindruck, dass du dich auch ein bisschen zurückgenommen hast. Du zeigst sehr gut, wie die Figur leidet und bist dabei über weite Strecken weniger expressiv als man es von vielen deiner anderen Rollen kennt. Ich habe allgemein den Eindruck, dass du gerade ein bisschen öfter leisere Rollen als noch vor vier bis fünf Jahren spielst. Ist das ein Zufall oder eine bewusste Entscheidung?
Fahri Yardim: Es gab zwar immer wieder kleinere Rolle, die leiser angelegt waren, aber meistens in Filmen, die dann keine Sau gesehen hat. Vielleicht war ich zu leise. es stimmt, meine Schauspielerei begann laut. Ich wedelte mit Armen und fiel eher mit exzentrischem Spiel auf. Es war die Lücke, die für mich bereit stand, es war die Möglichkeit des Eintretens in eine Welt, die dir nicht viele Chancen bietet. Daher bin ich dankbar, auch wenn es im Nachhinein oft clownesk anmutet. Und natürlich wuchs allmählich der Wunsch, sich von diesem Gezappel zu emanzipieren und die Vielfalt zu entdecken. Daher finden sich in den letzten Rollen häufiger solche wieder, die ernsthafteren Anteilen Auslauf schenken. Wurde auch Zeit. Meine Liebe zum Kontrast wünscht sich allerdings längst schon wieder ins laute Fach zurück.
FILMSTARTS: Regisseurin Katja Benrath war bereits oscarnominiert (für ihren Kurzfilm „Watu Wote: All Of Us“) und hat damit eine der größten Ehren erreicht, die man als Filmschaffender bekommen kann. Gleichzeitig ist dies aber ihr erster Langfilm. Wie ändert sich da dein Ansatz als Schauspieler, gerade weil du mittlerweile ja auch schon zu den alten Hasen gehörst?
Fahri Yardim: Sie ist eine Traumbesetzung für die Rolle als Regisseurin, weil sie für dieses feinfühlige Thema die passende Persönlichkeit mitbringt. Sie ist die halbe Miete. Um einen Film so berührend erzählen zu können, musst du die Rührung in dir tragen. Sie hat einen Teil ihrer Persönlichkeit in diesen Film fließen lassen und das macht ihn, befürchte ich, so wertvoll. Hättest du da einen erfahreneren Technik-Fanatiker drangesetzt, dann sähe der Film vielleicht noch hübscher aus, aber der Zuschauer wäre erfroren.
Es stimmt, dass sich mit der Erfahrung als Schauspieler auch die Haltung am Set ändert. Du wächst aus einer gewissen Unterwürfigkeit heraus. Ich hatte früher stärker das Gefühl, ich müsste den Anderen und speziell den Regisseuren gefallen. Inzwischen gefalle ich mir lieber erst mal selbst, was schwer genug ist. Aufgefallen ist mir bei diesem Film mehr denn je, ich habe mich mutiger gefühlt.
Dauernd verknallt in der Kindheit
FILMSTARTS: Rocca ist eine moderne Pippi Langstrumpf, was bei mir auch für ein bisschen Nostalgie gesorgt hat, weil es die Kinderfilm-Reihe ist, mit der ich aufgewachsen bin und die ich ganz oft geschaut habe. Was waren so die Sachen, die du damals gesehen hast?
Fahri Yardim: „Der kleine Vampir“ war damals ganz groß. Ich war sehr verknallt in Anna. Und natürlich auch in „Pippi Langstrumpf“. In die war ich noch heftiger verknallt - ich war damals ziemlich oft verknallt, eigentlich durchgehend. Aber ja, „Pippi“ habe ich quasi weginhaliert. Dann gab es noch „Bim Bam Bino“ auf Tele 5. Und gehört habe ich natürlich ganz viel „Die drei ???“. Das waren so meine Hauptdinger.
FILMSTARTS: Gibt es eigentlich schon Pläne für eine „Rocca“-Fortsetzung?
Fahri Yardim: Mit mir hat man noch nicht gesprochen, was nur bedeuten kann, dass ich nicht mehr vorkomme. Ein Skandal! Rocca allerdings bietet sich unbedingt an, weitererzählt zu werden. Sie ist wie gesagt eine moderne Pippi Langstrumpf und dafür gab es auch genug Stoff. Aber was geplant ist, weiß ich nicht.
„Rocca verändert die Welt“ läuft seit dem 14. März 2019 in den deutschen Kinos. In unserer FILMSTARTS-Kritik verraten wir euch, warum der Film „zum Heulen schön und verdammt spaßig“ ist.