Bester Schnitt, Bestes Originaldrehbuch, Bester Nebendarsteller, Bester Hauptdarsteller und Bester Film – in diesen fünf Kategorien geht die Rassismus-Tragikomödie „Green Book – Eine besondere Freundschaft“ bei der 91. Oscarverleihung am 24. Februar an den Start. Und eigentlich bringt die Geschichte über die Freundschaft zwischen dem italo-amerikanischen Rausschmeißer und Fahrer Frank Vallelonga (Viggo Mortensen) sowie dem schwarzen Starpianisten Don Shirley (Mahershala Ali) in den 1960er Jahren alles mit, was die Academy-Wähler traditionell besonders mögen, weshalb wir „Green Book“ sogar den Sieg in der Hauptkategorie zutrauen! Aber neben den vielen lobenden Stimmen gibt es auch viele, die den Film kritisch sehen – vor allem, weil auch hier wie so oft in der Geschichte Hollywoods eben nicht der diskriminierte Schwarze, sondern eine weiße Erlöserfigur im Mittelpunkt steht. Aber auch außerhalb des Films selbst gibt es auch noch eine ganze Reihe von weiteren „Green Book“-Kontroversen, die dem Film schlussendlich sogar seine Oscar-Chancen kosten könnten.
Wie viel Wahrheit steckt in der Geschichte?
Ein Grund ist etwa der zweifelhafte Wahrheitsgehalt von „Green Book“. Das Drehbuch, das unter anderem von Nick Vallelonga, dem Sohn des 2013 verstorbenen Frank Vallelonga, stammt, soll unter anderem auch auf Interviews mit dem realen, ebenfalls 2013 verstorbenen Don Shirley basieren. Doch nach der Veröffentlichung des Films meldete sich die Familie von Shirley zu Wort und kritisierte den Film aufs Heftigste. So hieß es in dem Statement etwa, dass sie zu keinem Zeitpunkt zu den wahren Ereignissen befragt wurden und Vallelonga in Wahrheit nie mehr als ein Angestellter des berühmten Pianisten gewesen sei. Die besondere Freundschaft sei hingegen vollkommen frei erfunden.
Vor allem Shirleys Bruder Maurice betonte vehement, dass die Geschichte hinter „Green Book“ größtenteils erfunden sei und nannte sie sogar eine „Symphonie der Lügen“. Und auch Shirleys Neffe Edwin Shirley III kritisierte die Darstellung seines Onkels, indem er anprangerte, dass er im Film als „entfremdet von seiner Familie und der schwarzen Gemeinschaft“ dargestellt würde, während er in Wahrheit ein sehr aktives Mitglied der Bürgerrechtsbewegung gewesen sei und unter anderem Martin Luther King zu seinen Freunden zählte.
Immerhin habe Hauptdarsteller Mahershala Ali sich im Anschluss an die Kontroverse an die Familie gewandt und sich persönlich entschuldigt. Er habe nicht gewusst, dass es noch nahe Verwandte von Shirley gibt und betonte nach seinem Golden-Globe-Gewinn für diese Rolle noch einmal hinter den Kulissen der Award-Show (via Bustle): „Ich respektiere die Familie und ich respektiere Dr. Shirley. Ich hatte einen Job zu erledigen […] und in diesem Fall wusste ich nichts von ihnen. Ich habe sie kontaktiert und ich habe mit dem Studio gesprochen. Aber nun muss ich mich Neuem zuwenden.“
Viggo Mortensen und das N-Wort
Für eine weitere Kontroverse sorgte dann Viggo Mortensen bei einem Screening des Films im November 2018: Während einer Diskussion über den neuen Rassismus in Amerika ließ er das N-Wort fallen. In den USA schlug das natürlich schnell hohe Wellen und der Schauspieler entschuldigte sich auch postwendend: „Ich habe das volle N-Wort ausgesprochen, als ich darüber sprach, dass viele Menschen es in der Zeit, in der unser Film spielt, wie selbstverständlich benutzt haben. Ich wollte damit niemanden verletzten oder angreifen, habe aber direkt gemerkt, dass ich es getan habe. Dafür entschuldige ich mich.“
Auch von Co-Star Mahershala Ali erhielt er dafür eine Schelte. Der Oscargewinner betonte, dass das Wort „immer verletzend“ sei und es nicht zur Diskussion stehe, dass das Wort von keinem Nicht-Schwarzen benutzt werden dürfe. Die Entschuldigung von Viggo Mortensen akzeptierte er jedoch, weil dieser ja auch genau das aussagen wollte (via The Hollywood Reporter).
Farrelys Penis und Vallelongas Trump-Tweet
Nachdem „Green Book“ bei der Golden-Globe-Verleihung am 6. Januar 2019 dreifach ausgezeichnet wurde (Bester Film, Bestes Drehbuch und Bester Hauptdarsteller), kamen dann sogar noch zwei weitere Kontroversen dazu. Wenn man erst einmal die Scheiße an den Hacken kleben hat...
Zum einen wurden noch einmal Berichte hervorgekramt, laut denen Regisseur Peter Farrelly in den 1990er Jahren mehrfach einen sehr speziellen „Witz“ gemacht habe, der vor allem in der heutigen Zeit alles andere als witzig klingt – und es natürlich auch damals nicht war. Und zwar soll er am Set seiner Filme seine Hose runtergezogen und den Darstellern seinen Penis gezeigt haben. Mehrere der betroffenen Schauspieler bestätigten diese Berichte bereits 1998 gegenüber Newsweek, unter anderem Cameron Diaz, mit der Farrelly „Verrückt nach Mary“ gedreht hatte.
Dass dies tatsächlich der Wahrheit entspricht, leugnet auch der Filmemacher selbst nicht: „Das ist die Wahrheit. Ich war ein Idiot“, entschuldigte sich Farrelly in einem öffentlichen Statement. „Ich habe das vor vielen Jahren gemacht und ich dachte, es wäre lustig. Aber die Wahrheit ist, dass es mir jetzt sehr peinlich ist und ich mich schäme. Es tut mir wirklich leid.“
Aber der Regisseur ist nicht der einzige der am Film Beteiligten, der sich in der Vergangenheit nicht nur mit Ruhm bekleckerte. So setzte der Autor Nick Vallelonga am 25. November 2015 etwa den folgenden Tweet ab:
„In Jersey City jubelten Muslime, als die Türme einstürzten. Ich habe es, genau wie du, gesehen“, unterstützte Vallelonga eine Aussage von Donald Trump, der gleich Tausende Muslime gesehen haben will, die am 11. September 2001 nach dem Einsturz der Türme gejubelt hätten. Der Tweet wurde umgehend gelöscht, machte aber trotzdem weltweit die Runde und stellt nicht nur die aktuellste, sondern wohl auch die derzeit größte Kontroverse um „Green Book“ dar. Auch Vallelonga ließ umgehend ein Statement veröffentlichen, in dem er sich mehrfach entschuldigt und Besserung gelobt, aber denoch hagelte es Kritik. So nannte es unter anderem „La La Land“-Produzent Jordan Horowitz „widerlich“, dass eine Person wie Vallelonga auch noch einen Golden Globe erhalten habe:
Mindert das die Oscar-Chancen?
Für einen Film, der als einer der großen Favoriten ins Oscar-Rennen gegangen ist und auch schon viele andere Awards absahnen konnte, ist eine solche Häufung von Kontroversen schon recht außergewöhnlich. Hat das alles der Reputation von „Green Book“ nun so sehr geschadet, dass er bei der kommenden Oscarverleihung womöglich leer ausgeht?
Vermutlich nicht. Denn sonst hätte man die Auswirkungen wohl schon bei den Nominierungen gemerkt – und „Green Book“ geht, wie bereits ganz zu Anfang erwähnt, in fünf Kategorien ins Rennen. Und auch die Buchmacher rechnen dem Roadmovie-Drama noch immer große Siegchancen zu. Laut der Wettquoten-Vergleichsseite oddschecker liegt „Green Book“ in der Hauptkategorie derzeit hinter Alfonso Cuaróns „Roma“ auf Platz 2, ebenso beim Besten Originaldrehbuch (hinter „The Favourite“). Während Hauptdarsteller Viggo Mortensen als großer Außenseiter ins Rennen geht, wird Nebendarsteller Mahershala Ali sogar als Favorit in seiner Kategorie gehandelt. Beim Besten Schnitt sollte „Green Book“ jedoch wiederum keine Chance haben, was für eine Tragikomödie ohne spektakuläre Actionsequenzen aber auch nicht verwunderlich ist.
Auch die Award-Experten von awardswatch und GoldDerby sehen in „Green Book“ noch immer einen ernstzunehmenden Favoriten – genau wie wir. Und gefallen hat uns der Film im Übrigen auch ziemlich gut, in unserer FILMSTARTS-Kritik kommen wir deshalb zu dem Fazit, dass er „seinem Publikum ebenso berührende wie kurzweilige Oldschool-Wohlfühlkino-Unterhaltung“ biete. Vier von möglichen fünf Sternen gibt es dafür.
Green Book - Eine besondere FreundschaftSeit dem 31. Januar 2019 könnt ihr „Green Book“ in den deutschen Kinos sehen.