Ende 2017 konnte „Dark“ die Bewährungsprobe als Vorreiter für deutsche Netflix-Serien mit Bravour bestehen. Nicht nur wir waren begeistert von dem gerade hierzulande recht ungewöhnlichen und dennoch so stilsicheren Vorstoß in düstere Genregefilde, auch international schlug „Dark“ hohe Wellen. Das blieb natürlich dem Streaminggiganten Netflix selbst nicht verborgen. Für die Zeit ab 2019 sind inzwischen schon sechs weitere hiesige Netflix-Serien angekündigt. „Dogs Of Berlin“ ist als zweite deutsche Produktion aber immer noch Neuland und wird von entsprechender medialer Aufmerksamkeit begleitet. Leider kann die Polizei-Serie das Vorjahres-Kunststück von „Dark“ nicht wiederholen.
Darum geht's in "Dogs Of Berlin"
Im Berliner Problem-Stadtteil Marzahn wird ausgerechnet am Vorabend eines wichtigen Fußball-Länderspiels zwischen Deutschland und der Türkei die Leiche des türkischstämmigen, aber für die deutsche Nationalelf antretenden Starspielers Orkan Erdem (Cino Djavid) gefunden. Nur zufällig ist Polizist Kurt Grimmer (Felix Kramer) als einer der Ersten vor Ort. Mit allen Mitteln versucht der erfahrene Ermittler, den aufsehenerregenden Fall vor der Öffentlichkeit geheim zu halten – nicht nur weil sich so drohende Unruhen wegen der ohnehin schon angespannten Lage um Erdems Person vielleicht vermeiden lassen, sondern auch, weil er eine einmalige Gelegenheit sieht, sich aus privaten Problemen herauszumanövrieren.
Damit die Polizei möglichst gut dasteht, wenn der Todesfall schließlich publik gemacht wird, bekommt Grimmer schließlich den deutsch-türkischen Kollegen Erol Birkan (Fahri Yardım) an die Seite gestellt. Doch bei der beschwerlichen Suche nach dem Täter in den Kreisen von Neonazis, arabischen Clans und der serbischen Wettmafia droht dem ungleichen Duo, die Kontrolle schon bald zu entgleiten.
Große Bilder und nichts dahinter?
Eines muss man Regisseur Christian Alvart lassen. Wenn es darum geht, große kinoreife Bilder, die auch den internationalen Vergleich nicht scheuen brauchen, auf die Bildschirme und Leinwände zu bringen, macht ihm von seinen deutschen Kollegen kaum jemand etwas vor. Das ließ er selbst mit kleinerem Budget schon mit seinem Thriller „Antikörper“ erahnen, demonstrierte er in seinen US-Ausflügen „Fall 39“ und „Pandorum“ sowieso und konnte er sogar mit seinen Til-Schweiger-„Tatorten“ oder zuletzt der Fitzek-Adaption „Abgeschnitten“ deutlich machen.
Auch bei „Dogs Of Berlin“ gelingt es dem Wahlberliner, der die Serie nicht nur komplett inszeniert, sondern auch selbst erdacht hat, direkt zu Beginn meisterlich, allein über die visuelle Ebene in die Geschichte hineinzuziehen, wenn er etwa mit zwei ausgefeilten, längeren Kamerafahrten (eine vom Balkon eines Hochhauses nahtlos auf die Straße bis hin zum Tatort) unaufgeregt, aber unheilvoll und elektrisierend ins nächtliche Marzahn abtaucht. Immer wieder kann Alvart mit einer solchen dynamischen Kameraarbeit und den finster-formvollendeten Bildern, mit denen er die Unterwelt der Hauptstadt atmosphärisch illustriert, optische Akzente setzen.
Wie in vielen anderen Alvart-Werken ist es daher vielmehr der Rest abseits der bloßen Inszenierung, bei dem sich die Schwächen auftun. Beim anfänglichen Aufbau der Geschichte macht der Filmemacher im Kern aber zumindest noch viel richtig. Der Einstieg mit einem ebenso simplen wie effektiven Vorausblick auf eine drohende Eskalation der kommenden Ereignisse und der mysteriöse Fall mit brisantem aktuellen Bezug machen Lust auf mehr. Doch beim Drumherum lässt „Dogs Of Berlin“ dann aber leider zu oft zu wünschen übrig.
Inhaltliche Probleme und hässlicher Fußball
Das fängt bei jeder Menge pseudo-coolen, oftmals aber eher peinlichen Dialogen an („Unser erster Mord und wir verkacken royal!“), zieht sich über die bedeutungsschwangeren, jedoch mit ihren Plattitüden absolut aufgesetzt und oberflächlich bleibenden Off-Kommentare über Schicksal und Vorherbestimmung und erstreckt sich bis hin zu so manchen Ungereimtheiten in der Verknüpfung von Handlungsstationen, die immer wieder hanebüchenen Zufällen überlassen wird (Ja, wir wissen es, Schicksal!). Häufig kratzt die eigentlich so ernste und düstere Geschichte dadurch auch an der Grenze zu unfreiwilliger Komik. Und wer bei der Figur des getöteten deutsch-türkischen Profiballtreters nicht reflexartig an Mesut Özil denkt, hat offensichtlich noch nie ein Fußballspiel gesehen.
Kleinigkeiten tragen immer wieder dazu bei, einen aus der Geschichte herauszureißen – ob nun die seltsam-albernen Zooms auf die Gesichter neu auftretender Charaktere oder so manche unnötig überzeichnete (Witz-)Figur (ganz schlimm ist hier etwa die Nr. 2 des arabischen Tarik-Amir-Clans, die vom geerdeten Ton etwa eines „4 Blocks“ meilenweit entfernt ist). Auf ohnehin schon wenig subtile Anspielungen wird man dann regelmäßig auch noch extra mit der Nase gestoßen. So wird dem aufrechten Erol Birkan nach einer Schlägerei nicht nur eine Schutzmaske verpasst, sondern tatsächlich auch noch explizit ausgesprochen, dass er damit jetzt wie Zorro oder ein Superheld aussehe. Und wenn dann an anderer Stelle auch noch „Star Wars“ zitiert wird, um völlig ernst gemeint darüber zu philosophieren, wie Angst zu Hass und Hass zum Bösen führen, macht es Alvart einem endgültig schwer, das Geschehen für voll zu nehmen. Hier soll vieles cool wirken, um der Coolness willen, wofür Geschichte und Plausibilität gerne mal vernachlässigt werden.
Zwischenzeitlich gelingt es gerade in einem besonders zentralen Moment nicht mal mehr der ansonsten so makellosen Inszenierung, den einen oder anderen Schwachpunkt abzufedern. So ist das erwähnte Fußballspiel zwischen Deutschland und der Türkei, das immerhin den Hintergrund einer ganzen Folge bildet, aufgrund hundsmiserabler Green-Screen-Effekte absolut furchtbar anzuschauen – ein völlig überraschender Ausreißer nach unten, der dem restlichen hochwertigen Look der Serie absolut nicht gerecht wird.
Die wahre Stärke von "Dogs Of Berlin"
Großer Pluspunkt in all dem sind aber die beiden Hauptfiguren und deren Darsteller. Während Fahri Yardıms Erol Birkan als rechtschaffener Ermittler bewusst nicht allzu viele Ecken und Kanten hat, aber auch dank Yardıms Performance lebendig wird, ist es vor allem Kurt Grimmer, der sich als das spannende Herzstück von „Dogs Of Berlin“ herauskristallisiert. Nach der anfänglichen Angst, es mit einem weiteren oberlässigen Alleskönner-Polizisten zu tun zu haben, bricht Alvart die Erwartungen hier gekonnt auf. Als raue, aber charmante Hauptfigur eingeführt, ist es durchaus ein mutiger (und dabei voll und ganz aufgehender) Schritt, nicht nur zunehmend Grimmers Abgründe aufzuzeigen, sondern ihn letztlich sogar zum absoluten Arschloch zu machen, dem so ziemlich jedes Mittel recht ist, um seine eigene Haut zu retten.
Auch dank Felix Kramer (war auch schon in einer Nebenrolle in „Dark“ dabei), der mit seinem famosem Spiel hier genau die richtigen Töne im richtigen Moment trifft, ist es irgendwann nicht mehr die Geschichte des zentralen Mordfalls, sondern vielmehr die Abwärtsspirale Grimmers, die den Reiz von „Dogs Of Berlin“ ausmacht und trotz aller Unzulänglichkeiten noch am ehesten zum Weiterschauen anregt.
Fazit
Christian Alvart legt mit „Dogs Of Berlin“ ein gewohnt tolles Gespür für die Inszenierung, jedoch ein weniger feines für eine nachvollziehbare Storyentwicklung und einen konistenten Ton an den Tag. So ist die zweite deutsche Netflix-Serie unterm Strich eine (meist) toll anzusehende Krimi-Geschichte mit spannender Ausgangslage und guten Darstellern, aber leider auch so einigen Ärgernissen, die sie schnell ins Straucheln bringen und verhindern, dass sie an die Qualität ähnlich gelagerter hiesiger Serien-Highlights wie „4 Blocks“ oder des starken Auftakts von Netflix’ Deutschland-Offensive anknüpfen kann.
Alle zehn Folgen der ersten „Dogs Of Berlin“-Staffel können ab sofort bei Netflix abgerufen werden. Unserem Urteil liegen die ersten vier Episoden zugrunde, die uns vorab zur Verfügung gestellt wurden.