Es muss irgendwo an der Stelle gewesen sein, wo mir in „Ant-Man And The Wasp” in einem ungelenken Einschub erklärt wird, warum die Bösewichtin Ghost (Hannah John-Kamen) böse Sachen macht, als ich weggedämmert bin. Ich habe damit leider auch die Sequenz verpennt, in der Michael Peña als Sidekick Luis seinen großen Auftritt hat. Eine witzige Szene – wie ich von anderen weiß. Zu „Ant-Man And The Wasp” kann ich selbst darum gar nicht so viel sagen. Und von dem ausgehend, was ich gesehen habe, ist der Film schon in Ordnung. Marvel macht keine schlechten Filme – aber leider auch keine, die mir noch etwas bedeuten.
Eine gut geölte Maschine
Auf Kevin Feige und das Marvel-Filmstudio ist ganz Hollywood neidisch: Gemeinsam mit seinen Produzentenkollegen und mit Kreativen wie Joss Whedon, Joe und Anthony Russo oder den Autoren Christopher Markus und Stephen McFeely verwandelte Feige die Resterampe an Marvel-Comichelden – das, was der vormals finanziell massiv angeschlagene Konzern nicht an andere Studios verliehen hatte – in perfekt geölte Zahnrädchen einer Maschine, die spätestens seit „Captain America 2” (2014) einen Hit nach dem anderen produziert.
„Niemand weiß irgendwas” – dieser Eröffnungssatz aus den Memoiren des Drehbuchautors William Goldman wird gerne zitiert, wenn es darum geht, die Prognosefähigkeit im Filmgeschäft zu beschreiben. Erfolg lässt sich schwer voraussehen, weil das Publikum gar nicht so einfach einzuschätzen ist. Doch Kevin Feige und die Marvel-Studios haben Disney mit ihren Helden-Filmen eine seltene, praxiserprobte Garantie gegeben: Diese Filmreihe wird auch nach den ausstehenden, terminierten MCU-Filmen „Captain Marvel” (März 2019), „Avengers 4” (April 2019) und „Spider-Man: Far From Home” (Juli 2019) weiterhin so verlässlich einen Hit nach dem anderen hervorbringen, wie es menschenmöglich vorauszusagen ist.
Mir haben diese Filme gefallen. Ich mochte das Rezept, das allen zugrunde liegt: Dazu gehört der Held, der stets ein Außenseiter ist, ob er nun wie Tony Stark intelligenter als sein Umfeld ist, wie Steve Rogers aus einer anderen Zeit stammt oder wie Scott Lang früher ein Dieb war. Dazu gehört, dass die Filme in ihren Stimmungen fein austariert sind: Immer ist von allem was dabei, stets garniert mit ein paar augenzwinkernden Sprüchen, aber nie wird ein Film von einem Gefühl dominiert – ein Marvel-Drama existiert in diesem Cinematic Universe genauso wenig wie eine Marvel-Komödie oder ein Marvel-Horrorfilm, auch wenn der eine Teil mehr in diese und der andere Teil mehr in jene Richtung ausschlagen mag.
Auf einen Bestandteil des Marvel-Rezepts sind die Konkurrenten von Warner (DC-Helden), Fox (X-Men) und Sony (Spider-Man-Nebenfiguren) besonders neidisch: Jede Geschichte muss mit der anderen verbunden sein. Es muss immer weiter gehen. Doch was aus finanzieller Sicht sinnvoll ist und für viele Zuschauer seinen Reiz hat, führte bei mir mit dazu, dass ich die neuen Marvel-Filme, so gut sie auch sind, nur noch an mir vorbeirauschen lasse, anstatt in ihnen zu versinken.
Es geht um nichts
Ich habe mich irgendwann gefragt, warum mir die Geschichten, in denen meist die Welt oder das Universum auf dem Spiel stehen, so erschreckend egal geworden sind. Ich glaube, es liegt zum Teil daran, dass die Vernichtung nur eine theoretische Gefahr ist oder in ihren Auswirkungen unterbelichtet – und die Helden unantastbar sind: Sie sterben nicht. Und vielleicht schlimmer: Sie machen keine schweren Fehler. Denn mit toten Helden lassen sich keine Fortsetzungen drehen und fehlerhafte will (so glaubt das Studio) niemand sehen.
Vielleicht wird jede Heldengeschichte langweilig, wenn sie nur lange genug dauert. Ja, auch jemand wie der starköpfige Tony Stark verändert sich im Laufe seines Plots, der über drei Solo- und vier „Avengers“-Filme geht und in dem er vom egoistischen Playboy zum verantwortungsbewussten Anführer und Peter-Parker-Ersatzvater wird, zwischendrin mit einer Phase starker Selbstzweifel in „Iron Man 3“. Doch je länger wir Tony zusehen, desto sicherer wissen wir, dass dieser Mann nicht brechen wird – und nicht sterben. Dem MCU fehlt die erzählerische Konsequenz.
„Avengers 3: Infinity War”, lässt sich hier einwenden, ist selbstverständlich verdammt apokalyptisch. Es wird gestorben. Doch zum einen ist der Plot so vollgepackt, dass die Tode kaum mehr als Zwischenstopps sind. Gamora stirbt, geopfert von ihrem eigenen (Zieh-)Vater Thanos, aber das habe ich am Ende dieses atemlosen, zweieinhalbstündigen Dauergetöses fast schon wieder vergessen. Zum anderen glaube ich nicht, dass die Tode, die auf Thanos' Fingerschnipsen zurückgehen, permanent sind. Und selbst wenn wir uns in „Avengers 4” von einigen der Weggeschnipsten wirklich verabschieden müssen, war es ja bereits ein Problem, dass ich das am Schluss von „Infinity War" nicht geglaubt habe.
Keiner darf sich mehr austoben
Außerdem ist die Leichtigkeit weg: „Black Panther“ mag wegen seiner Wakanda-Helden saucool und „Ant-Man And The Wasp” ein Film sein, in dem die Fans nach dem Schocker „Avengers 3“ ein bisschen durchatmen konnten, in dem es eher um Persönliches ging und der seine Gags hat, aber wirklich locker geht anders. Die lockersten Marvel-Filme sind die, in denen der Regisseur einfach mal ein bisschen drauflos machte – und daher war „Thor 3: Tag der Entscheidung“ bis auf weiteres der letzte Teil, in dem ich Spaß hatte. Wie Regisseur Taika Waititi („5 Zimmer, Küche, Sarg“) hier die Götterdämmerung Ragnarök inszeniert, hat nämlich etwas Subversives: Noch lustloser, und man hätte Waititi wegen Arbeitsverweigerung feuern müssen.
Es ist, als gähne uns der neuseeländische Regisseur und Komiker in jeder der Szenen mit dem Aufstieg der bösen Göttin Hela (Cate Blanchett) und ihrer Schreckensherrschaft über Asgard durch die Leinwand direkt ins Gesicht – nur um sich bei Thors Abenteuer abseits seiner Heimatwelt umso doller auszutoben. Waititi dachte sich wahrscheinlich: „Den Teil mit der Gesamthandlung interessiert zwar keine Sau, aber ich muss ihn halt machen, na gut, meinetwegen. Doch dafür haue ich mit Thor, Hulk und Jeff Goldblums Grandmaster auf die Kacke, dass dem Kevin Feige das Basecap von der Rübe fliegt. ”
Aber Regisseure, die ihr eigenes Ding durchziehen (dürfen), waren bei Marvel schon immer die Ausnahme. James Gunn tat es mit seinen frechen Guardians – und diese Filme stehen nicht nur deswegen stärker abseits der Reihe, weil sie weit weg von der Erde spielen. Vor allem musste sich Gunn nicht groß damit rumquälen, seine Geschichten mit der übergeordneten Handlung zu verknüpfen und konnte seine eigene Sicht auf die Welt einbringen, seinen Mix aus pointiert-frivolem Humor und Herz. Seit Gunn jedoch von Disney-Filmchef Alan Horn wegen geschmackloser alter Tweets gefeuert wurde, ist leider kein einziger Regie-Individualist mehr im Aufgebot.
Das Marvel-Rezept hat sich bewährt, aber zumindest derzeit ist niemand in Sicht, der es ein bisschen aufpeppt. Nur aus alter Verbundenheit und Berufsgründen werde ich weiterhin ins Kino gehen – weckt mich bitte, wenn mal wieder wirklich was passiert.