Es ist der 4. September 2018, wir sind als Teil einer dreiköpfigen Journalistenrunde am Set von Sonys Hermann-Hesse-Verfilmung „Narziss und Goldmund“ auf der Burg Hardegg im Thayatal in Niederösterreich, direkt an der österreichisch-tschechischen Grenze. Normalerweise ist die idyllisch-rustikale, 1145 errichtete Burg für Besucher zugänglich, doch während der zweiwöchigen Dreharbeiten wird diese Location authentisch ins Mittelalter zurückversetzt. Wir befinden uns am 15. von insgesamt 38 Drehtagen, die hauptsächlich in Österreich und Tschechien bis zum 3. Oktober erfolgen, bevor es später noch mal für zwei Tage Schneeaufnahmen nach Südtirol geht. Regen ist angesagt, der aber morgens erst einmal auf sich warten lässt. Anderthalb Tage haben wir nun die Möglichkeit, hautnah die Filmaufnahmen unter der Regie von Stefan Ruzowitzky (Auslands-Oscar für „Die Fälscher“) auf Burg Hardegg zu beobachteten und konnten dabei im persönlichen Gespräch mit den Schauspielern und der Crew sehen, wie viel Herzblut hier in die Produktion fließt.
Darum geht’s in "Narziss und Goldmund"
„Narziss und Goldmund“ spielt im Mittelalter am Kloster Mariabronn, wo der junge Goldmund (Jannis Niewöhner) von seinem Vater zum Studium geschickt wird und sich mit dem frommen Klosterschüler Narziss (Sabin Tambrea) anfreundet. Während Narziss asketisch nach den strengen Regeln der Glaubensgemeinschaft lebt und handelt, zieht es den nach Leben gierenden Goldmund irgendwann in die Welt hinaus, wo er auf Reisen voller Abenteuer, Wein und Frauen geht und seine große Liebe Lene (Henriette Confurius) trifft. Es sind zwei völlig unterschiedliche Lebenskonzepte, die hier aufeinanderprallen. Der Vernunfts- und Geistesmensch Narziss steht dem Körper- und Genussmensch Goldmund gegenüber und doch verbindet die beiden eine so tiefe Freundschaft, dass sie über drei Dekaden andauert.
Die Besetzung des Historien-Dramas ist schon einmal erstklassig. Neben den genannten Hauptdarstellern Jannis Niewöhner („Rubinrot“, „Jugend ohne Gott“) und Sabin Tambrea („Ludwig II.“, „Ku’damm 56“) sowie Henriette Confurius („Das kalte Herz“) stehen unter anderem auch noch André M. Hennicke („Der Untergang“) Emilia Schüle („Jugend ohne Gott“), Sunnyi Melles („Safari – Match Me If You Can“), Uwe Ochsenknecht („Willkommen bei den Hartmanns“), Jessica Schwarz („Jesus liebt mich“), Georg Friedrich („Wilde Maus“) und Kida Khodr Ramadan („4 Blocks“) vor der Kamera.
Kein "Billigmittelalter“
Die Vorlage ist weltbekannt. 1930 veröffentlichte Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse seine in mehr als 30 Sprachen übersetzte Erzählung „Narziss und Goldmund“, die sich seitdem 2,5 Millionen Mal in gedruckter Form verkaufte und bis heute Schullehrstoff ist. Stefan Ruzowitzky verfilmt den Literaturklassiker nun mit viel Aufwand und großem Budget fürs Kino neu. „Wir zeigen ein authentisches Bild des Mittelalters, aber kein ‚Billigmittelalter‘“, erzählt Ruzowitzky. Er schrieb auch das Drehbuch (Co-Autor Robert Gold), das auf Hermann Hesses weltbekannter gleichnamiger Erzählung basiert. Und dennoch soll seine Adaption inszenatorisch modern sein.
Blickt man auf den Produzenten leuchtet das sofort ein. Christoph Müller (er produziert gemeinsam mit Helge Sasse, Tommy Pridnig und Peter Wirthensohn) hat die in Deutschland überragend erfolgreiche Roman-Verfilmung „Der Medicus“ (3,6 Millionen Besucher) mitproduziert und mitgeschrieben, steht zudem für Erfolge wie „Er ist wieder da“, „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ oder „Goethe!“. „Modernes Mittelalter“, dieses Schlagwort hört man immer wieder von allen Beteiligten. Und mit den talentierten Jannis Niewöhner und Sabin Tambrea „haben wir eine Besetzung für das junge Publikum“, so Müller. Der 54-Jährige drehte mit 27 Jahren auf Burg Hardegg schon einmal einen Studentenfilm, jetzt schließt sich weitere 27 Jahre später der Kreis.
"Wer Hesse liest, ändert sein Leben"
Neben „Narziss und Goldmund“ treibt der Nordrhein-Westfale zeitgleich auch noch seine beiden weiteren Projekte, das Gerichtsdrama „Der Fall Collini“ (mit Elyas M’Barek und Alexandra Maria Lara) und das Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ (mit Heike Makatsch und Heiner Lauterbach), voran. Es ist sein zweiter Tag am Set und er versprüht eine Menge Energie und Enthusiasmus. Kein Wunder, „Narziss und Goldmund“ ist sein „Herzensprojekt“. Sieben Jahre befindet sich der Film jetzt schon konkret in der Entwicklung, davon geträumt, den Stoff zu verfilmen, hat er noch länger. „Wer Hesse liest, ändert sein Leben“, sagt Müller. Und Hesse-Fans gibt es überall. Müller erzählt, dass man Kontakt zu Prominenten knüpft, die Hesse bekennend verehren, um sie später ins Marketing einzubinden – zu Pep Guardiola, dem ehemaligen Fußball-Trainer von Bayern München, zu Udo Lindenberg, Franz Beckenbauer und Rammstein. Hesse ist nach wie vor modern.
Erste Drehbeobachtungen mit Kindern
Da die Freundschaft der beiden Hauptfiguren über drei Dekaden andauert, sehen wir nicht nur Niewöhner und Tambrea, die Narziss und Goldmund im Alter von etwa 18 bis 40 Jahren spielen, sondern auch die Kinderdarsteller Oskar von Schönfels („Jenseits des Spiegels“) und Jeremy Miliker (Österreichs jüngster Romy-Gewinner, für „Die beste aller Welten“). Am Morgen und Mittag unseres Besuches am Set drehen die beiden jungen Versionen der Titelfiguren. Mittelalterfeeling. Es rieselt künstlichen Schnee bei 20 Grad Außentemperatur. Granulat schwebt überall, es riecht ein bisschen verkokelt von der Windmaschine, die die Partikel (natürlich nur eine ökologisch harmlose Zellulosemischung) unter Getöse verteilt. In einer Ecke hängt auf einer improvisierten Tafel ein Storyboard mit den Szenen des Tages – in groben Zeichnungen. Auf dem Burghof hat sich eine Gruppe von rund zehn Klosterschülern versammelt und malträtiert den jungen Goldmund. Der Mönch Lothar (André M. Hennicke) schreitet rüde ein und befreit Goldmund aus dem Pulk. Goldmund brüllt: „Er hat Narziss beleidigt, die dreckige Hundsfott!“.
Lothar verpasst einem Jungen eine Ohrfeige und zieht Goldmund am Ohr gepackt zu sich, während Narziss die Szene aus dem Hintergrund schaut. Ein paar Mal wird geprobt, dazu legt sich der attackierte Goldmund-Darsteller Miliker auf eine Weichbodenmatte auf dem Boden, die beim gefilmten Dreh verschwindet. Regisseur Ruzowitzky beobachtet die Szene nicht durch die Kamera, sondern steht in der Zeit am Monitor im Burgsaal ein paar Meter weiter und kommt anschließend heraus, um Anweisungen für Verbesserungen zu geben. Während wenige Meter von uns gedreht wird, ist Hauptdarsteller Sabin Tambrea inzwischen am Set, obwohl er erst in einigen Stunden seine nächste Szene hat. Filmdreharbeiten bedeuten warten. Warten. Warten. Der 33-Jährige trägt eine stilechte Tonsur, die sich in der Praxis („schon drei Sonnenbrände“) und in der Freizeit nicht gerade als alltagskompatibel erweist. Und so verdeckt er diese seltsame Haarpracht privat mit einem Hut. Bis zum 10. Oktober muss Tambrea noch aushalten, dann darf die Restmähne abgeschnitten werden. Für ihn sowieso kein Problem, „mehr für meine Umwelt“, scherzt Tambrea – ein lustiger, offener und bekennend sarkastischer Mensch. In Jogginghose und Klosterkostüm schlendert er mit seiner Spiegelreflexkamera über das Set und macht private, feinfühlige Fotos – ausschließlich in Schwarz-Weiß. Regisseur Ruzowitzky: „Er drückt sich so aus.“
Starkregen, Dürre, Krankheitsfälle - aber keine Panik
In der Zwischenzeit marschiert eine Gruppe von Kinderdarstellern im Mönchsgewand – und kollektiv mit Undercut frisiert – samt Eltern vom Burghof Richtung Tal, als ihre Szenen im Kasten sind. Mittagspause. Der angekündigte Regen ist da. Es schüttet wie aus Kübeln. Im großen Rittersaal der Burg, die als Zentrale der Crew dient, wird gegessen. Regisseur Ruzowitzky berichtet von den Widrigkeiten während des Drehs. Starkregen, Dürre, Krankheitsfälle – das alles wirbelte den Drehplan durcheinander. „Ich rege mich nicht mehr über den Regen auf“, so Ruzowitzky. Überhaupt hält sich die Hektik an einem naturgemäß hektischen Set in Grenzen. Man hat den Eindruck, dass jeder weiß, was zu tun ist. Es herrscht Selbstdisziplin. Ruzowitzky ist nun gewiss auch kein Heißsporn oder tobender Derwisch. In Jeans, schwarzer Steppjacke und Outdoorschuhe dirigiert er seine Crew ruhig, aber bestimmt, sagt „Achtung… Fertig… Los!“ statt „Action“, wenn gedreht wird, und vermittelt den Eindruck, alles im Griff zu haben.
Mit dem Ende der Mittagspause verzieht sich prompt der Regen. Perfekt. Am Nachmittag hat sich inzwischen auch Jannis Niewöhner am Set eingefunden. Der 26-Jährige hatte sich am Vorabend mit einer Gemüsepfanne den Magen verdorben, löffelt jetzt in der Kantine im Rittersaal tapfer Suppe. Bei der letzten Szene des Tages ist Niewöhner im Einsatz. Es ist eine Bild-Collage, die im Film ein ganzes Jahr von Goldmunds Reise darstellt. Die Szene spielt in einem Kellerraum der Burg, wo eine Bar aufgebaut ist. Das Licht in dieser Spelunke ist schummrig, Niewöhner trinkt mit Kumpanen an einem Tisch und gerät mit ihnen in einen Streit, nimmt sein Glas und zerschlägt es auf dem Kopf seines Nebenmanns. Kein Problem, gutes, altes Zuckerglas! Tut beim Zerbersten absolut nicht weh. Niewöhner und Ruzowitzky diskutieren nach einem Take, ob Goldmund kurz absetzen soll, bevor er sein Glas mit einem Schluck leert – oder eben nicht. Niewöhner ist für Absetzen, Ruzowitzky will die Bewegung in einem Zug haben. Kleine Details. Mit seiner blondierten Haarpracht und einem coolen Hipstermantel würde Niewöhner so in Berlin (wo er auch wohnt) nicht weiter auffallen. Stichwort: moderne Adaption. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Wer nicht direkt beteiligt ist, fährt schon zurück ins 20 Kilometer entfernte Hotel, wo der Großteil der Crew untergebracht ist. Ruzowitzky spricht mit einem Übersetzer, der seine Anweisungen an die tschechischen Schauspieler und Komparsen weitergibt: „Okay, eine machen wir noch.“ Dann, 18.45 Uhr, Drehschluss für heute.
Der Balanceakt: Anspruchsvolles Mainstreamkino
Im Hotel treffen wir Regisseur, Produzent und die Hauptdarsteller wenig später zum Abendessen. Christoph Müller zeigt uns auf seinem Tablet einen dreiminütigen Rohschnitt von einigen Szenen und Einstellungen, um ein Gefühl für den Look des Films zu bekommen. Klar ist: Kameramann Benedict Neuenfels („Styx“, „Die Hölle“, „Das Mädchen im Eis“) fängt in Cinemascope atmosphärische Kinobilder ein. Das sieht richtig gut aus. Zu Tisch erzählt Veteran André M. Hennicke wilde Geschichten von früher, es wird gelacht. Niewöhner: „Es ist schon etwas Besonderes, den Goldmund zu spielen. Ich habe das Buch als Jugendlicher mit 19 gelesen. Die beiden haben so eine schöne Form der Freundschaft, eine eigene Form der Liebe. Es geht um zurückgestelltes Verlangen.“ Derweil hat Tambrea gerade eine positive Nachricht bekommen: die Zusage für eine neue Rolle. Er verrät es uns, die offizielle Verkündung muss aber noch warten ;-)
Dann erzählt Ruzowitzky von der großen Herausforderung seines Films: „Narziss kommt sehr lange nicht vor“, verweist er auf ein Problem der Buchvorlage für eine filmische Adaption. „Jetzt haben wir ein dramaturgisches Modell mit Rückblicken. So können die Freunde zusammen sein“, erklärt er seinen Kunstgriff, mit verschachtelten Rück- und Vorblenden zu arbeiten. Deswegen gibt es im Film eine Rahmenhandlung: Der erwachsene Goldmund ist zu Narziss ins Kloster Mariabronn zurückgekehrt und berichtet von seinen Abenteuern. „Wir verfilmen eine fiktive Geschichte von Hesse, der hatte nie Anspruch auf Realität“, so der studierte Theaterwissenschaftler und Historiker Ruzowitzky über die Freiheiten: „‘Narziss und Goldmund‘ ist das ‚Game Of Thrones‘ der 30er Jahre.“ Der Film werde ein „Balanceakt“, Qualitätsarthouse, aber keine Geschichtslehrstunde. Anspruchsvolles Mainstreamkino. Die Prämisse der Erzählung ist zeitlos: Was fange ich mit meinem Leben an? Für welches Lebensmodell entscheide ich mich? Ruzowitzky: „Die Gesellschaft ist desorientierter als vor 20 Jahren. Das ist der Fluch des Internets.“ Zu viele Informationen, die verarbeitet werden wollen. Und so sehr der Anspruch inszenatorisch aktualisierte Bezüge herzustellen auch ist, so rein bleibt die Sprache. Denn über allem wachen die Erben Hermann Hesses, die Internationale Hermann Hesse Gesellschaft hat ein Mitspracherecht bei der Verfilmung. „Es wurde um jedes Detail verhandelt“, berichtet Produzent Müller.
Für Deutschland oder Österreich ins Oscarrennen?
Der nächste Tag: Morgens geht es noch einmal bis mittags ans Set. Sabin Tambrea und André Hennicke duellieren sich verbal in einer Szene in einem Burgzimmer. Wir beobachten das Geschehen am Monitor. Nicht weit entfernt steht Filmtonmeister Frank Heidbrink im fluffigen „Headfull Of Honey“-Hoody. Der erfahrene Mann, der schon für Oliver Stone, Til Schweiger und Volker Schlöndorff gearbeitet hat, ist unzufrieden mit dem Ton: Ein fieses, tinnitusartiges Piepen stört ihn. Zwischen den Szenen kommt Tambrea – heute in seiner Maske als alter Narziss – vorbei, checkt am Handy seine E-Mails, plaudert: „Ab und zu nennt mich Stefan Ruzowitzky ‚Sabinchen‘, wenn er sehr zufrieden ist – unverschämterweise (lacht) nennt mich kleine Narziss [Oskar von Schönfels] auch manchmal so.“ Niewöhner, der sich inzwischen zu uns gesellt hat, schaltet sich ein: „Sabins Spiel gibt mir Sicherheit. Wir sind unterschiedliche Typen, ergänzen uns aber sehr gut. Sabin hat wirklich schwarzen Humor.“
Wer weiß, vielleicht geht die deutsch-österreichische Co-Produktion ins Oscarrennen. Für wen, ist derzeit nicht wirklich klar. Deutschland als auch Österreich könnten den Film einreichen. „Wer zuerst kommt“, sagt Ruzowitzky, wird sich den Zuschlag sichern. Beide Länder lassen sich argumentieren. Wir sind auf jeden Fall gespannt und werden dieses hochspannende Prestige-Projekt weiter begleiten.
„Narziss und Goldmund“ startet am 2. Januar 2020 in den deutschen Kinos.
Auf den nächsten beiden Seiten geht's weiter mit ausführlichen Interviews mit Sabin Tambrea und André M. Hennicke.