Ein kleines Häuschen vor dem steilen Aufstieg zur Burg Hardegg: Hier hat die Filmcrew von „Narziss und Goldmund“ die Maske eingerichtet. Rund zwei Stunden verbringen die Hauptdarsteller pro Tag an diesem improvisierten Ort. In einem mit Requisiten und Kostümen vollgestellten Hinterzimmer sprechen wir mit Sabin Tambrea über den Film und seine Rolle, über Gott und die Welt.
FILMSTARTS: Wir haben von Produzent Christoph Müller schon gehört, dass Jannis Niewöhner seit drei Jahren mit dem Projekt „Narziss und Goldmund“ in Verbindung steht. Wie bist du denn an Bord gekommen, wie kam es dazu? Auf jeden Fall kurzfristiger…
Sabin Tambrea: Es gab eine einfache Castinganfrage, das war ungefähr vor vier, fünf Monaten. Dann folgte das übliche Prozedere. Man lernt die Texte, geht zum Casting und hört dann erstmal nichts mehr. Das war auch in diesem Fall so.
Eine unverhoffte Chance
FILMSTARTS: Hattest du denn vorher schon gehört, dass jemand an einer modernen Hesse-Verfilmung von „Narziss und Goldmund“ arbeitet?
Sabin Tambrea: Ja, ich habe vor langer Zeit schon von diesem Projekt gehört, aber ich wagte gar nicht, daran zu denken, dass ich dafür in Frage kommen würde, weil im Vorfeld schon bestimmte Namen gefallen sind, die sehr prominent und kräftig sind. Da habe ich mich nicht drin gesehen. Leider.
FILMSTARTS: Hattest du in deiner Jugend auch eine Hesse-Phase? Wann hast du das Buch gelesen?
Sabin Tambrea: Ich habe „Narziss und Goldmund“ früh gelesen, aber ich glaube, ich war mit ungefähr 13 Jahren einfach zu jung. Da habe ich den gesamten Kosmos noch nicht erfassen können. Das habe ich jetzt im Vorfeld der Dreharbeiten nachgeholt. Das war etwas, was mir entgangen ist – damals. Aber wenn man noch nicht so weit ist, muss man es auch nicht forcieren.
FILMSTARTS: Du musstest es in der Schule nicht lesen?
Sabin Tambrea: Nein, komischerweise nicht. Vielleicht habe ich aber auch so viel gefehlt, dass ich es nicht einmal gemerkt habe. (lacht)
Hesses Verständnis für die Jugend ist unglaublich
FILMSTARTS: Wie ist das Leseerlebnis, wenn man das Buch mit Anfang 30 liest? Wahrscheinlich doch anders, als wenn man sich als Jugendlicher stark mit dem freiheitsliebenden Goldmund identifiziert…
Sabin Tambrea: Ich finde das Verständnis Hermann Hesses unglaublich, das er für diese jungen Figuren hat. Das ist nicht diese Draufsicht, die man manchmal als Erwachsener hat oder diese Wertung. Es ist komplett wertungsfrei, mit einer großen Liebe für die Sehnsüchte und Ängste von jungen Menschen. Das finde ich ganz großartig, wie Hesse das hinbekommen hat.
FILMSTARTS: Dir hat das Buch also gefallen?
Sabin Tambrea: Ja, ich liebe die Sprache. Das ist eine wunderbare Poesie, und dann ist da noch diese Musikalität in der Sprache. Das ist wirklich ganz toll.
FILMSTARTS: Wieviel von der alten Sprache ist denn noch im Film? Oder sind nicht nur die Geschichte, sondern auch die Dialoge modernisiert worden?
Sabin Tambrea: Nein, da versuchen wir originalgetreu zu sein. Das Einzige, was einem wirklich modern verkommen wird, ist wenn Kida Khodr Ramadan aus „4 Blocks“ anfängt mit … „Bruder“. (lacht) Das passt trotzdem in diesem Kontext. Die Modernisierung bezieht sich eher auf die Bildsprache. Die Sprache bekommt man nicht ohne Weiteres ins Heute, ohne sie zu beschädigen, wie Hesse sie geschrieben hat.
Ein Atheist als Geistesmensch
FILMSTARTS: Wie sieht es mit deiner Figur Narziss aus? Inwieweit kannst du dich da mit diesem asketischen Geistesmann identifizieren?
Sabin Tambrea: Na ja, ich bin überzeugter Atheist als Privatmensch. Für mich war die große Herausforderung, jemanden zu spielen, der wirklich keine Zweifel daran hat, dass es einen Gott gibt und dass man die Bibel so nimmt, wie es dort geschrieben steht. Das ist für mich unvorstellbar. Normalerweise wäre es für mich als Schauspieler spannend zu zeigen, dass Narziss irgendwann an Gott zweifelt…
FILMSTARTS: … aber genau das ist es ja gerade nicht…
Sabin Tambrea: … Ja, genau, das ist es nicht. Und deswegen ist es für mich so eine große Herausforderung, einfach diese komplette Überzeugung zu spielen, dass es einen Gott gibt. Deshalb kann ich mich nicht wirklich mit Narziss identifizieren, aber das ist auch nicht notwendig, um ihn zu spielen.
FILMSTARTS: Kannst du sagen, welcher dieser beiden Pole Geistesmensch (Narziss) und Genussmensch (Goldmund) dir näher ist?
Sabin Tambrea: Goldmund! (antwortet sehr schnell)
Vorbereitung in echtem Kloster
FILMSTARTS: Das kam sehr schnell… Hast du „Narziss-Menschen“ am Set getroffen, die ihm näher stehen als Goldmund?
Sabin Tambrea: Ich war zur Vorbereitung mehrere Tage im Kloster, genau wie Jannis auch. Ich habe dort mit den Menschen gelebt und wir haben den Tag zusammen verbracht. Wir hatten um 6.00 Uhr das erste Gebet in der Kirche, dann wurde um 8.00, 9.00, 10.30 Uhr gebetet, danach das Mittagsgebet, später das Abendgebet. Das sind lauter „Narzisse“ im Kloster.
FILMSTARTS: Hast du deine Teilnahme ernst genommen als Atheist oder wie bist du das angegangen?
Sabin Tambrea: Ja, alles andere würde keinen Sinn machen. Ich musste schauen, wie geht jemand damit um, dass Gott sein Lebensinhalt ist. Wie bewegt man sich? Ich musste mich komplett ernsthaft darin hineinbegeben, um es auch spielen zu können. Sonst wäre ich der Falsche für die Rolle.
FILMSTARTS: Wo bist du da gewesen?
Sabin Tambrea: Im Kloster Zwettl, das ist etwa eine halbe Stunde von hier entfernt.
FILMSTARTS: Da warst du dann aber allein und nicht mit Jannis, oder?
Sabin Tambrea: Wir waren einzeln dort zu Besuch. Aber beide im selben Kloster. Wir haben sogar im selben Bett, in derselben Zelle geschlafen. Das war total beeindruckend.
FILMSTARTS: War das ein Schweigekloster?
Sabin Tambrea: Nein, viel geredet wurde trotzdem nicht. Ich war vier Tage dort, habe alles mitgemacht. Ich wollte nichts auslassen. Das ging um 6.00 Uhr los, der letzte Termin war um 18.00 Uhr abends. Und dann ging es in die Nachtruhe.
FILMSTARTS: Hast du auch gebetet oder hast du das ausgelassen?
Sabin Tambrea: Gebete sind mir nicht bekannt, aber ich war dabei, wie bei den Chorgesängen. Da habe ich auch aktiv mitgemacht. Musikalisch bin ich gebildet und konnte das auch gleich mitsingen. Beim Beten mit dem Auf-die-Knie-Fallen und Zum-Altar-Gucken, da habe ich eher die Mönche beobachtet. Wie verhalten sie sich? Wie falten sie die Hände?
FILMSTARTS: Hat das innerlich etwas mit dir gemacht, als du das alles beobachtet und gesehen hast, wie das alles funktioniert?
Sabin Tambrea: Nein.
FILMSTARTS: Bist du nicht ins Zweifeln gekommen?
Sabin Tambrea: Meditativ kann man sagen. Du hast diese wunderbare Chormusik, die Orgelklänge. Und auch die Architektur der Kirche hat mich beeindruckt. Um 6.00 Uhr morgens, als wir gebetet haben, war es noch komplett dunkel und mit jedem weiteren Gebet ändert sich komplett das Licht.
Geistesmensch Vs. Körpermensch
FILMSTARTS: Du hast gesagt, du haderst mit der Religion. Steht Narziss aber nicht noch für ganz andere Prinzipien? Die Vernunft und das Geistige…
Sabin Tambrea: Ja, wir haben bisher nur darüber gesprochen, wie er zu Gott steht. Narziss ist für mich – ich muss jetzt das Religiöse ausklammern – aber der Vernunftmensch, der Gebildete, der Geistesmensch. Es ist ein Film über zwei Lebenskonzepte, eigentlich die einzigen zwei vernünftigen Lebenskonzepte. Der gebildete Geistesmensch und der selber herausfindende, offene Körpermensch. Das sind die beiden Extreme, von denen dieser Film handelt.
FILMSTARTS: Es gibt wahrscheinlich wenige Menschen, die nur das eine oder das andere sind…
Sabin Tambrea: Ja, es bewegt sich auch zwischen diesen beiden Polen – bestenfalls. Heutzutage gibt es schließlich noch die neue Form, der ungebildete Mensch, der nichts gegenüber offen ist. Also das, wogegen wir nun ankämpfen müssen.
Gute Zusammenarbeit ist Lebenszeit
FILMSTARTS: Wie ist denn die Zusammenarbeit mit Regisseur Stefan Ruzowitzky?
Sabin Tambrea: Es macht mit Stefan unglaublich Spaß. Es ist ernsthaft, es ist tiefgründig und es ist sehr bereichernd. Er nimmt ganz viel an, was man anbietet, schlägt es aber auch ohne Probleme zur Seite, wenn es seiner Meinung nach nicht zur Rolle passt. Das ist eine ganz ehrliche und offene Zusammenarbeit.
FILMSTARTS: Ist das für dich der Normalzustand der Arbeit? Oder hattest du schon Regisseure, mit denen du nicht klargekommen bist?
Sabin Tambrea: Klar, es gibt immer Regisseure, wo es besser passt oder eben weniger gut – ohne, dass das Ergebnis schlecht werden muss. Man muss dann manchmal mehr Umwege gehen, um ein Ziel zu erreichen. Aber hier ist das ein sehr direkter, effizienter Weg.
FILMSTARTS: Ist dir die gute Zusammenarbeit wichtig oder nur ein Bonus?
Sabin Tambrea: Ja, das ist Lebenszeit. Ich war dieses Jahr ungefähr ein halbes Jahr an Filmsets, das wäre mir zu anstrengend, wenn es immer knirschen würde. Es ist nicht durchgehend harmonisch, aber ich brauche das schon, eine gute Zusammenarbeit. Ich lache sehr gerne, ich mache gern viele Witze, die meiner Meinung nach witzig sind, (lacht) da freue ich mich auch, wenn andere darüber lachen.
FILMSTARTS: Ihr musstet relativ nah am Buch bleiben, weil die Hermann-Hesse-Gesellschaft darüber wacht, erschwert das den Dreh?
Sabin Tambrea: Das betrifft eher die Produzenten, die im Vorfeld zehn Jahre am Drehbuch gearbeitet haben. Da wurde wirklich um jedes Wort verhandelt: „Das muss bleiben, das kann raus.“
FILMSTARTS: Du hast jetzt nicht das Gefühl, du bist unfreier in deiner Interpretation?
Sabin Tambrea: Nein, weil ich generell nie anfange, am Set Texte in meine Sprache zu übersetzen. Ich lerne den Text, der da steht und dann bringe ich ihn auch so. Das heißt aber nicht, dass es eine originalgetreue Abfilmung des Romans ist. Es gibt schon Abweichungen, teilweise deutlich. Der Verlag und die Hesse-Erben sind damit einverstanden, weil es ein Gefühl des Romans wiedergibt. Man kann ein literarisches Werk nicht eins zu eins verfilmen. Sonst schlafen einem die Leute ein. Deshalb musste die Geschichte etwas dramatisiert werden.
FILMSTARTS: Guckst du eigentlich auch auf das Publikum, wenn der Film im Kino ist oder konzentrierst du dich rein auf deine Aufgabe?
Sabin Tambrea: Ich bin inhaltlich beim Autor und Regisseur. Das ist genug, worauf man achten sollte und muss. Wenn ich jetzt anfange würde, „von wo sehe ich gut aus?“, das ist Sache des Kameramanns.
Dreh-Abenteuer im schönen, aber rüden Rumänien
FILMSTARTS: Du hast erzählt, dass du 2018 ein halbes Jahr nur am Set warst. Was unterscheidet dieses hier von anderen?
Sabin Tambrea: Ich habe vorher nur in Rumänien gedreht. Und das sind schon andere Drehumstände. Da bin ich schon froh, hauptsächlich in Deutschland zu drehen, weil der Schauspieler dort etwas mehr wertgeschätzt wird, als ich es jetzt in Rumänien erlebt habe. Da wird wirklich jeder Cent in die Produktion gesteckt. Da stehst du schon mal sechs Stunden ohne einen warmen Aufenthaltsraum im Schnee und wartest darauf, dass der kreative Herr Direktor entscheidet, dass du dran bist.
FILMSTARTS: Sprichst du denn noch perfekt Rumänisch?
Sabin Tambrea: Ja, mit einem bisschen deutschen Akzent. Rumänisch ist schließlich meine Muttersprache.
FILMSTARTS: Sprichst du Rumänisch auch noch privat?
Sabin Tambrea: Mit meinen Eltern. Ich war zwei Jahre alt, als ich mit meiner Mutter und meiner Schwester nachkam. Mein Vater war vorgeflüchtet. 1986 kamen wir nach Deutschland… Was unterscheidet die Sets weiter? Hauptsächlich die Drehumstände. Und, was ich ganz furchtbar fand: Hier in Österreich haben wir ein grünes Set, das heißt, wir haben sehr wenig Abfall und versuchen, umweltschonend zu drehen. In Rumänien gab es bei jedem Essen einen Plastikteller für jeden, dazu Plastikgeschirr, Plastikbecher. Nach jeder Mahlzeit hatten wir 40 Müllsäcke. Das hat mich sehr erschreckt, wie wenig Bewusstsein für Umweltverschmutzung da vorhanden ist. Aber ansonsten ist es schön, auch in Rumänien. (lacht)
FILMSTARTS: Außerdem gibt es dort auch sehr gute Filme von Regisseuren wie Cristi Puiu, Cristian Mungiu oder Calin Peter Netzer…
Sabin Tambrea: Oh ja, das habe ich schon im Hinterkopf gehabt, und mich bei dem Gedanken ertappt habe, wenn ich mal wieder drei Stunden in der Kälte gestanden habe (lacht).
FILMSTARTS: Was hast du genau in Rumänien gespielt und waren das rumänische oder deutsche Figuren?
Sabin Tambrea: Ich habe zwei Filme gedreht. Einmal „Gomera“ von Corneliu Porumboiu, der läuft immer in Cannes [zum Beispiel mit „Der Schatz“]. Da spiele ich einen Pur-Rumänen, und bei „Hackerville“, der HBO-Serie, kann man es nicht sagen, was es ist. Aber ich spreche kein Wort Deutsch, dafür Rumänisch, Englisch und Russisch.
„Narziss und Goldmund“ startet am 2. Januar 2020 in den deutschen Kinos.
Auf der nächsten Seite geht's weiter mit einem ausführlichen Interview mit André M. Hennicke.