Achtung, der folgende Text enthält Spoiler zu „Chappie“!
„Wer denkt, existiert.”
Das erkannte schon der Philosoph Decartes im 17. Jahrhundert - und die Denker und Künstler der Gegenwart spinnen diese These immer weiter, vor allem im Science-Fiction-Genre. Denn wenn eine Maschine über eine echte Künstliche Intelligenz verfügt, „existiert” sie dann nicht auch? Die Faszination des Synthetischen und nicht Echten findet schon seit Jahrzehnten speziell auch auf der Kinoleinwand Ausdruck. Was, wenn sich die Maschinen gegen uns wenden („Terminator”) oder wenn sie Teil unserer Gesellschaft werden („Blade Runner”)?
Der südafrikanische Regisseur Neill Blomkamp kann sich dem Reiz des Dystopischen offenbar nicht entziehen. Nach „District 9” und „Elysium”, in denen er jeweils ein sehr düsteres und auf die Abgründe der Gegenwart zurückverweisendes Zukunftsszenario entwarf, zeichnet er auch in seinem dritten Langfilm „Chappie” eine an einem gewissen Punkt offenbar falsch abgebogene Gesellschaft. „Chappie” erweist sich dabei wie seine Vorgänger als eine im Kern wahnsinnig interessante Zukunftsvision mit einer klaren, gesellschaftskritischen Aussage. Aber die Auflösung, die Blomkamp am Ende des Films für den zentralen Konflikt präsentiert, ist – gerade mit einigem Abstand betrachtet - ziemlich beängstigend.
ChappieWährend in „Elysium” die Menschheit bereits fast am Ende ist, scheint die Zukunft in „Chappie” noch deutlich näher an unserer Gegenwart zu liegen: Angesiedelt ist das Geschehen wie schon bei „District 9” in Blomkamps Heimatstadt Johannesburg, wo die Polizei auf mechanische Einsatzkräfte zurückgreift, um der um sich greifenden Kriminalität Herr zu werden. Die Roboter-Cops mit ihren an Hasen erinnernden Köpfen erfreuen sich bei den Behörden einer wachsenden Beliebtheit, was natürlich vor allem den für die Produktion zuständigen Waffenkonzern und dessen Geschäftsführerin Michelle Bradley (Sigourney Weaver) freut. Der junge Entwickler Deon Wilson (Dev Patel) will jedoch noch viel mehr bewirken und entwickelt die erste vollständige Künstliche Intelligenz. Als er den dafür zuständigen Chip im Körper einer nicht mehr kampftauglichen Roboter-Einheit einsetzt und aktiviert, erwacht Chappie (im Original gesprochen von Sharlto Copley) zum Leben…
Die Dystopie wird zur Farce
Sieht man sich alle drei bisherigen Filme von Neill Blomkamp an, wird man das Gefühl nicht los, dass der Regisseur und Autor von Natur eher pessimistisch ist. In „Chappie” wird das vor allem in der finalen Auflösung deutlich. Der Sci-Fi-Blockbuster kommt einem Abgesang auf die Menschheit gleich, während Blomkamp die Künstliche Intelligenz und den Transhumanismus als (einzig) mögliche Zukunft propagiert. Nun ist „Chappie” natürlich ein dystopischer Film, in dem der Filmemacher die möglicherweise fatale Entwicklung unserer Gesellschaft herausarbeiten will. Aber Blomkamp inszeniert den Transhumanismus nicht als mögliche Gefahr, sondern als (universelle) Lösung.
Bei genauerem Hinsehen fällt vor allem eines auf: Die Menschen sind in „Chappie” das große Übel, praktisch jeder humane Charakter ist böse, egoistisch und unverbesserlich. Blomkamp zeichnet ein derart krankes Bild der Gesellschaft, dass man sich natürlich wünscht, dass diese Szenerie doch bitte niemals Wirklichkeit werden möge. Dabei ist „Chappie” zum großen Teil gar keine Zukunftsmusik, sondern recht nah an unsere Gegenwart angelehnt: Abgesehen von den Polizeirobotern könnte „Chappie“ sogar fast schon als zeitgenössischer Film durchgehen.
Blomkamp rechnet mit der Menschheit ab
Mitten hineingeboren in dieses dunkle, dreckige und raue Johannesburg wird der Roboter Chappie, den Blomkamp vom ersten Moment an als emotionalen Ankerpunkt etabliert. Wir leiden mit keinem der menschlichen Protagonisten, sondern fühlen stets mit Chappie, der wie ein Kind erst lernen muss zu sprechen und seine Umwelt richtig wahrzunehmen. Chappie lässt sich eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen, er malt, er ist neugierig – Blomkamp gibt seiner eigentlich komplett künstlichen Figur eine Seele, während die menschlichen Figuren um ihn herum ihre schon längst verloren zu haben scheinen. Dev Patel mag zwar den scheinbaren Helden und Sympathieträger spielen, schließlich spricht sich Chappies Erbauer gegen jede Form von Kriminalität aus, doch auch der friedlich gesinnte Deon ist in Wahrheit ein vom System getriebener Workaholic ohne Ecken und Kanten, der zudem auf verantwortungslose Weise handelt.
Die meiste Zeit des Films bekommen wir auch gar nicht ihn, sondern das südafrikanische Künstler-Duo Die Antwoord zu sehen, wobei dessen Mitglieder Ninja und Yo-Landi ihre betont asozialen Kunstfiguren nun auch auf der Leinwand verkörpern. Das Rave-Rap-Duett verspielt dabei schnell sämtliche Sympathien, vor allem weil Ninja ein boshafter Widerling ist, der Chappie nur für seine kriminellen Zwecke ausnutzen will. Und als der Roboter, der sich konsequent weigert zu kämpfen, in einer Szene auf eine Gruppe Jugendlicher trifft, schlägt diese ihn ohne zu zögern zusammen - und setzt ihn dann auch noch in Brand.
Im weiteren Verlauf des Films fallen sämtliche Polizei-Roboter aufgrund einer technischen Störung aus, woraufhin die Einwohner der Stadt sofort auf die Straßen ziehen und die örtlichen Geschäfte plündern. Blomkamp wirft einen fast schon verachtenden Blick auf die Gesellschaft: Der Mensch hat in diesem Film keine Zukunft, denn er kennt nur Gewalt, Hass und Zerstörung. Die einzige Begegnung von Chappie und einem organischen Wesen, die nicht durch eine Konfrontation geprägt ist, ist die mit einem streunenden Hund. Ein Moment, der Bände spricht – und einen an Zynismus kaum zu übertreffenden Blick auf die Menschheit offenbart.
Obwohl es also im Film eigentlich nur Bösewichte gibt, dient der von Hugh Jackman gespielte Vincent Moore als zentraler Antagonist. Interessant ist dabei, dass dieser sich stets gegen eigenständig handelnde Maschinen ausspricht und die von ihm entwickelten Roboter von Menschen gesteuert werden müssen (weshalb sie auch niemand mehr kaufen will). Und wenn der Bösewicht will, dass Maschinen nicht selbst denken, dann ist der Zuschauer natürlich quasi automatisch dafür, dass sie es doch dürfen sollen. Blomkamp lässt für sein Publikum kaum Grauzonen - und dabei sind doch gerade die das Markenzeichen der meisten zeitlosen Sci-Fi-Klassiker.
Auch mit seiner Bildsprache unterstreicht Blomkamp die anti-humane Ideologie seines Films: Menschliche Figuren werden bewusst distanziert dargestellt, einen persönlichen Zugang zu ihnen bekommt man kaum. Chappie dürfen wir dagegen stets aus nächster Nähe bewundern - immer wieder wechselt Blomkamp sogar in die subjektive Sicht des Roboters und lässt uns die Welt aus seiner Perspektive betrachten. In diesen Momenten bereitet Blomkamp endgültig dem Transhumanismus eine Bühne, wenn sich unsere menschliche Wahrnehmung mit der künstlichen Wahrnehmung von Chappie überlappt.
Wenn es die Menschlichkeit nur noch im Künstlichen gibt
Am Ende wird diese Einstellung noch offensichtlicher. Deon stirbt im Kugelhagel, doch um ihn zu retten, transferiert Chappie das Bewusstsein seines Erbauers in den Körper eines weiteren Roboters. Auch der getöteten Yo-Landi wird dieses Schicksal zuteil, die Verbindung von Mensch und Maschine ist komplett. Blomkamp verwendet die Digitalisierung des menschlichen Bewusstseins hier also als Konfliktlösung und erklärt den Menschen selbst zum verlorenen Geschöpf mit entbehrlichem Körper. Der bislang immer nur von seinem Umfeld manipulierte Chappie darf endlich individuell auf eigene Faust handeln, während auf Deon sein neuer Körper keine negativen Auswirkungen zu haben scheint: Seine Seele wird einfach per USB-Stick übertragen, der Körper ist nun gar unsterblich. Der Mensch wird zum personifizierten Smartphone.
Der Körper spielt keine Rolle mehr - genauso wenig wie das vielleicht zentralste Element, was einen lebendigen Organismus definiert: seine Sterblichkeit. Was macht dann eigentlich noch den Menschen aus? Wo die „Blade Runner”-Filme diese Frage auf ebenso emotionale wie ambivalente Weise aufarbeiten, scheint sich Blomkamp in „Chappie” eindeutig zu positionieren und den Transhumanismus als einzig wahre Idee zu begreifen. Ein kritischer Blick fehlt – das ist radikal, aber auch verstörend.
Würde Blomkamp seine Titelfigur auch nur einen Moment in einem weniger positiven Licht darstellen, würde der Film, so wie er ist, nicht mehr funktionieren. Aber den Transhumanismus mit einem solch naiven Leichtsinn zu transportieren, birgt auch eine gewisse Gefahr. Statt in seinem Film die Chance zu ergreifen, eine reflexive Auseinandersetzung mit dieser durchaus möglichen Zukunft zu wählen, scheint Blomkamp unser (unausweichliches?) Schicksal längst akzeptiert zu haben. Und am Ende ist es wohl genau dieser Moment der Akzeptanz, an dem der Mensch seine Menschlichkeit verliert.