ACHTUNG SPOILER: Im folgenden Text geht es unter anderem um das Ende von „Avengers 3: Infinity War“
Der graue Himmel passt zum traurigen Anlass: Am Ende von „Batman V Superman: Dawn Of Justice“ wird der wohl größte aller Superhelden zu Grabe getragen. Der Gerechtigkeitskämpfer vom Planeten Krypton hat sich für die Menschheit geopfert und sein Leben gelassen. Regisseur Zack Snyder bemüht sich nach Kräften darum, diesem Moment die Ausdrucksstärke und Emotionalität zu verleihen, die seiner Tragweite entsprechen und tatsächlich wird dieses Finale zu einer der eindrücklichsten Szenen eines problematischen Films. Doch dann richtet sich der Blick noch einmal auf das Grab und es öffnet sich für jeden sichtbar ein erzählerisches Hintertürchen: Superman ist doch nicht tot.
Die zuvor sorgsam aufgebaute Trauerstimmung weicht mit einem Mal etwas ganz anderem und das hat mit „Batman V Superman“ nichts mehr zu tun. Denn die Beantwortung der nun plötzlich im Vordergrund stehenden Frage, wie das möglich ist, wird mit einem unverblümten Hinweis verschoben – und schließlich 18 Monate und einen halben Film später (!) in „Justice League“ nachgereicht.
Die Emotion bleibt auf der Strecke
Was die Konkurrenz von Warner und DC in ihrer Erzählwelt mit dem Mann aus Stahl andeutete, bringen Disney und Marvel nun im vieldiskutierten Finale von „Avengers: Infinity War“ zu einem neuen widersprüchlichen Extrem: Das Publikum wird zumindest kurzfristig geschockter Zeuge wie sich über ein Dutzend der beliebtesten Helden im Marvel Cinematic Universe (MCU) buchstäblich in Luft auflöst und der Bösewicht sein zerstörerisches Ziel erreicht. Zugleich gibt uns einer der Avengers kurz bevor er im Nichts vergeht den Hinweis auf einen Ausweg und in der Abspannszene wird das Symbol einer neuen Heldin ins Spiel gebracht.
Man zielt ganz offensichtlich auf die maximale Wirkung des (vermeintlichen) Heldentodes, aber die Tragik darf sich nicht entfalten, denn gleichzeitig will man sich alle Optionen offenlassen. Doch dieser Spagat geht schief und letztlich bleibt die Emotion dabei genauso auf der Strecke wie der Einzelfilm „Avengers 3“. Statt eines befriedigenden Kinoerlebnisses ist dieser Blockbusterbesuch nur eine Zwischenstation, der zunächst ein einjähriges Ratespiel mit geschätzten 14.000.605 Lösungsmöglichkeiten folgt, ehe mit dem bereits abgedrehten vierten „Avengers“-Film, dessen Titel wiederum mit zu den Geheimnissen dieser allumfassenden Erzählmaschine gehört, womöglich Antworten geliefert werden.
Am Ende zählt nur, wie es in "Avengers 4" weitergeht
Es gehört zu den Reizen von Superheldenfilmen, dass in ihnen Naturgesetze nicht immer gelten müssen. Auch der Tod ist da nicht zwangsläufig unbesiegbar, aber er sollte doch seinen Schrecken behalten und nicht wie eine von vielen Drehbuchoptionen daherkommen, die nach Belieben rückgängig gemacht werden können. Genau an diesem Wendepunkt ist das Franchise-Erzählen mit „Infinity War“ angekommen.
Supermans Tod hatte wenigstens noch in „Dawn Of Justice“ selbst sichtbare Auswirkungen und Reaktionen hervorgebracht, bei den Russo-Brüdern gibt es nach zwei einigermaßen dramatischen Todesfällen im früheren Handlungsverlauf am Ende nur einige Großaufnahmen geschockter Gesichter, dann kommt der Abspann. Ganz davon abgesehen, dass man von der allumfassenden Dimension von Thanos‘ Tat kaum etwas zu sehen oder zu spüren bekommt: Er hat das halbe Universum getötet, aber wir dürfen nur um einen Baum und um einen Jungen im Spinnenkostüm bangen.
Avengers 3: Infinity WarWie mein Kollege Björn Becher in seiner Kritik schon treffend geschrieben hat: Das Ende von „Avengers 3“ lässt sich eigentlich erst nach „Avengers 4“ einordnen – und genau das ist für mich das Problem. Ich bin sicher, dass die Situation logisch und nachvollziehbar aufgelöst werden wird und vielleicht gibt es im nächsten Film sogar Platz für die Emotionen, die jetzt fehlen. Aber dadurch kann „Avengers 3“ nicht nachträglich zu einem besseren Film werden, er kann sich nur seinen Platz im Gesamtgefüge verdienen.
In klassischen Cliffhangern wird offengelassen, ob die Bombe explodiert oder wenigstens, welchen Schaden sie anrichtet. Hier geht sie hoch und entfaltet ihre maximale Wirkung. Das sollte niederschmetternd sein und endgültig oder sich wenigstens für eine Weile so anfühlen. Das ist aber unmöglich, wenn man schon während des Abspanns mit Warten beschäftigt ist - zuerst auf die Post-Credit-Sequenz, die speziell in diesem Fall nach einer einfachen Schwarzblende auf die Haupthandlung hätte folgen sollen. Stattdessen ist das fast so grausam, wie wenn Fernsehsender Sekunden nach dem Ende einer Sendung plärrende Werbung einspielen - auch wenn das Publikum inzwischen schon darauf konditioniert ist, bei Marvel-Filmen sitzenzubleiben.
Das Kino nähert sich dem Fernsehen an
Mit den ins Endlose ausufernden Erzähluniversen à la MCU, DCEU oder „Star Wars“ nähert sich das Kino erzählerisch dem Fernsehen an und beraubt sich dabei allmählich seiner ureigenen Stärken – was die in den vergangenen Jahren oft gehörte Behauptung, das Fernsehen sei das neue Kino, ad absurdum führt. Wenn in „Game Of Thrones“ oder „The Walking Dead“ die Todesfälle wie Paukenschläge zur nächsten Folge überleiten, dann sind das nur Kapitelübergänge in einer großen Erzählung (obwohl auch dort der kurzfristige Schock oft wichtiger zu sein scheint als die nachhaltige Emotion). Wenn man das im Kino imitiert, dann droht man dem einzelnen Werk seine Individualität zu rauben. Wo Taika Waititi, James Gunn oder Ryan Coogler immerhin noch kleine persönliche Akzente setzen konnten, bewähren sich die Russo-Brüder vor allem als Logistiker, die das große Marvel-Zahnrad ölen. So wird „Infinity War“ zum abwechslungsreichen Potpourri ohne eigenen Charakter.
Das Erzählkorsett wird immer enger
Diese Einordnung weitgehend gesichtsloser Einzelfilme in eine Reihe hat bei „Harry Potter“ mit den Büchern als Leitfaden ganz gut funktioniert, aber natürlich ist auch da der inszenatorisch und erzählerisch eigenständigste Film der Reihe der beste. Wahre Kinoevents aber sind zunächst einmal Filme wie „E.T.“ oder „Titanic“, die ganz für sich stehen können. Wenn der Spagat zwischen Eigenständigkeit und Einbindung ideal gelingt, dann kann selbst ein Trilogie-Mittelstück wie „Das Imperium schlägt zurück“ da mithalten, aber das fällt nun auch den neuen „Star Wars“-Filmen zunehmend schwer. Das Korsett aus Erwartungen, Regeln und Geschäftsplänen wird im Franchise-Kino immer enger, wovon auch die diversen Regie-Querelen im Sternenkriegsuniversum zeugen.
Dabei kann es sich durchaus auszahlen, wenn man auf Diversität setzt. „Black Panther“ und „Wonder Woman“ hatten zuletzt den Zeitgeist auf ihrer Seite und zudem davon profitiert, dass sie einzeln wahrnehmbare Geschichten erzählt haben. Nun müsste noch etwas gestalterischer Wagemut dazukommen. „Avengers 3“ mag mit seinem Nicht-Ende extrem sein, aber er ist das Gegenteil von gewagt. Eine monatelange Spekulation über Dr. Stranges Zeitstein-Sperenzchen oder über Captain Marvels Rolle (und warum wird sie erst jetzt gerufen?) ersetzt nicht das angemessene Mitfiebern mit den vom Wind verwehten Helden. Man kann den Nervenkitzel eines offenen Endes haben oder die verheerende emotionale Wirkung eines irreparablen Verlustes, aber nicht beides gleichzeitig.