Ich finde "Chantal im Märchenland" furchtbar – und trotzdem ist es der beste Film der "Fack Ju Göhte"-Reihe
Pascal Reis
Pascal Reis
-Redakteur
Pascal liebt das Kino von „Vertigo“ bis „Daniel, der Zauberer“. Allergisch reagiert er allerdings auf Jump Scares, Popcornraschler und den Irrglauben, „Joker“ wäre gelungen.

FILMSTARTS-Redakteur Pascal Reis ist absolut kein Fan der „Fack Ju Göhte“-Reihe und konnte auch mit „Chantal im Märchenland“ nichts anfangen. In einem Punkt unterscheidet sich der neueste Teil aber angenehm von seinen Vorgängern.

Die „Fack Ju Göhte“-Reihe als bahnbrechende Erfolgsgeschichte zu bezeichnen, wäre vielleicht sogar etwas untertrieben. Mehr als 21 Millionen Besucher und Besucherinnen konnten die drei Originalfilme zusammen in die Lichtspielhäuser locken. Mit der von Jella Haase („Kleo“) gespielten Chantal sollte das Franchise zudem eine der ikonischsten Figuren der jüngeren deutschen Kinolandschaft erschaffen.

Mit „Chantal im Märchenland“ bekam diese 2024 ihre eigene „Fack Ju Göhte“-Fortsetzung spendiert und durfte in einem wundersamen Zauberland ein Abenteuer voller Hexen, queerer Prinzen und – ja – wasserspeienden Drachen erleben. Klingt spaßig? Ist es für mich ganz und gar nicht. Der vierte Ableger der „Fack Ju Göhte“-Reihe, den ihr bei Netflix streamen könnt, ist aber trotzdem der angenehmste Teil der Reihe.

Darum kann ich mit dem Franchise so gar nichts anfangen

Über Humor lässt sich bekanntlich vortrefflich streiten, keine Frage. Und dass die vulgären Zoten inklusive überstrapaziertem Assi-Sprech, auf die „Fack Ju Göhte“ permanent baut, reichlich Anklang gefunden haben und finden, steht außer Frage. Gegen schallendes Gelächter im Kinosaal lässt sich abseits der individuellen Perspektive recht schwer argumentieren. Mein Problem mit den „Fack Ju Göhte“-Filmen ist daher auch nicht einfach nur das auf Obszönität basierende Comedy-Verständnis, sondern auch die fragwürdige Niveaulosigkeit dahinter.

Die originale Trilogie schreibt es sich auf die Fahne, ohne Rücksicht auf Etikette gegen politische Korrektheit anzutreten, allerdings fehlt es den Filmen nicht nur völlig an Selbstironie. Noch schwerwiegender: Anstatt Klischees über antiquierte Pädagogikmaßnahmen, Gesamtschulen und Schülern aus bildungsschwächeren Schichten zu hinterfragen, bestätigt „Fack Ju Göhte“ diese nicht nur, sondern befeuert sie auch.

Auch im Märchenland sind Selfies Pflicht. Constantin Film
Auch im Märchenland sind Selfies Pflicht.

Das Verkennen von Weltliteratur sowie der allgemeinen Bedeutung von bildender Kunst wird hier im höchsten Maße verherrlicht und das ohne ironischen Bruch. Hier geht es so nur darum, in alle Richtungen zu schießen, nicht aber, vor der eigenen Türe zu kehren. Das ist für mich geistlos und infantil. Hinzu kommt, dass die Stoßrichtung der Witze in der Originalreihe von Teil zu Teil in eine menschenverachtendere Richtung geht.

Zu oft werden die Späße auf Kosten von Ausgeschlossenen, Traumatisierten und Benachteiligten gemacht. Gerade „Fack Ju Göhte 3“ ist hier für mich an Geschmacklosigkeit kaum noch zu überbieten. Jugendliche, die keinen Ausweg mehr sehen, sich nach Geborgenheit sehnen und suizidale Gedanken offenbaren, werden verhöhnt und für den nächstbesten stupiden Gag in ihrer Verletzlichkeit bloßgestellt. Der Zwang, alles einer Pointe unterordnen, ist dann am Ende im besten Fall unüberlegt und im schlimmsten Fall richtig bedenklich.

Darum ist "Chantal im Märchenland" besser

„Chantal im Märchenland“ konnte ich als Unterhaltungsfilm zwar auch nichts abgewinnen, denn ich finde Jella Haase einfach nicht witzig in ihrer Rolle als Aldi-Prinzessin Chantal. Da ist inzwischen auch das Alter der Schauspielerin von Relevanz. Mit Anfang 30 beherrscht Haase ihren Part inzwischen mit schlafwandlerischer Routine, doch eigentlich passt dieser überhaupt nicht mehr zu ihr. Das macht ihren Auftritt für mich einfach unlustig.

Darüber hinaus sind die meisten guten Ideen, die sich aus dem Märchenland-Setting ziehen lassen, nach 20 Minuten durchgespielt. Danach befindet sich „Chantal im Märchenland“ in einer Endlosschleife dröger Kalauern, die immer und immer wieder nach dem gleichen Muster abgespielt werden.

In einer kleinen Rolle mit von der Partie: Frederick Lau. Constantin Film
In einer kleinen Rolle mit von der Partie: Frederick Lau.

Mit einer viel zu langen Laufzeit von 120 Minuten zieht sich der Film so ungemein, ABER: All die gesellschaftskritischen Platzpatronen und schlimmen Verfehlungen, die ich der „Fack Ju Göhte“-Reihe zuvor angekreidet habe, werden in „Chantal im Märchenland“ angenehm umschifft. Hier wird niemand bloßgestellt oder gedemütigt. Am Ende gibt es sogar - ganz dem Märchensetting entsprechend - eine ehrenwerte Moral von der Geschicht'. Die wird allerdings viel zu dick aufs Brot geschmiert, wenn Chantal die Bedeutung von Freundschaft und Feminismus gleich mehrfach verdeutlicht.

Auch wenn das in der Umsetzung dann extrem schmalzig und angestrengt daherkommt, ist das aber letztlich deutlich angenehmer, als dabei zuzusehen zu müssen, wie ein Junge den psychischen Druck nicht mehr aushält und sich dazu gezwungen fühlt, vom Dach zu springen – weil sich daraus bestimmt ein knackiger Gag spinnen lässt.

Ein deutlich besseren deutschen Film legt euch FILMSTARTS-Autorin Monta Alaine ans Herz. Um welchen es sich handelt, erfahrt ihr in ihrem Streaming-Tipp:

Streaming-Tipp: "Der Fuchs" von Adrian Goiginger

Dies ist eine Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.

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