Keinen Film habe ich in den vergangenen Jahren öfters gesehen und keiner schüttelt mich trotzdem jedes Mal aufs Neue durch, löst ihn mir eine Anspannung aus, lässt mich mitfiebern und treibt mir sogar den Schweiß auf die Stirn: Die Rede ist von „Uncut Gems“ alias „Der schwarze Diamant“, den für mich und die FILMSTARTS-Redaktion besten Netflix-Film aller Zeiten.
Falls ihr also nicht wisst, was ihr euch heute Abend anschauen sollt, dann ist das Netflix Original vielleicht die perfekte Wahl für euch.
Eigentlich wurde „Der schwarze Diamant“ von der für außergewöhnliche, mutige und vor allem immer originelle Filme bekannten Produktions- und Verleihfirma A24 gemacht, doch außerhalb der USA trat man die Rechte an Netflix ab. Deswegen gilt das meisterhafte Thriller-Drama der Brüder Josh und Benny Safdie als Netflix Original – und ist dabei einer von nur vier sogenannten Netflix-Filmen, die in der FILMSTARTS-Kritik 5 Sterne ergattern konnten.
Diese Höchstwertung haben sonst nur David Finchers „Mank“, das Drama „Pieces Of A Woman“ sowie Alex Garlands Sci-Fi-Meisterwerk „Auslöschung“, das Netflix ebenfalls nur eingekauft hat, aber trotzdem als sogenanntes Original vermarktet wird.
"Der schwarze Diamant": So viel mehr als Adam Sandler in Bestform
Doch nun zurück zu „Der schwarze Diamant“, den ich schon mehr als ein Dutzend Mal bei Netflix gestreamt sowie auf aus den USA importierter Blu-ray gesehen habe (und das Glück hatte, auch einmal im Kino in New York auf großer Leinwand schauen zu können). Der sonst ja meist eher auf Comedy-Rollen festgelegte und für diesen Film zu Recht in den höchsten Tönen gelobte Adam Sandler spielt hier den New Yorker Diamantenhändler Howard Ratner. Der ist spielsüchtig, hat immer mehrere Wetten am Laufen und wittert den großen Coup. Er hat seine Finger an einen Schwarzen Opal bekommen, der ihn nicht nur von seinen Spielschulden befreien, sondern darüber hinaus auch für einen fetten Zahltag sorgen soll.
Doch als er den Diamanten Basketballstar Kevin Garnett ausleiht, geht alles drunter und drüber. Verfolgt von Schlägern und während er nebenbei noch die fragilen Beziehungen zu Ehefrau Dinah (Idina Menzel), der Geliebten Julia (Julia Fox) und seinen beiden Kindern managt, muss Howard seine Haut retten...
Die Safdies mit Sandler voll in ihrem Element
Schon in ihren Kurzfilmen und vorherigen Dramen etablierten die Safdies ihren Stil, den sie in „Good Time“ mit Robert Pattinson auf einen ersten Höhepunkt brachten und der in „Uncut Gems“ dann seine komplette Klasse erreicht. Sie filmen mitten im Geschehen, werfen ihre Figuren und den Cast um Adam Sandler auch gerne ins echte Leben (Sets sind oft nicht abgesperrt, viele Nebenrollen werden nicht von professionellen Schauspieler*innen verkörpert) und erzeugen dabei ein ganz eigenes Chaos. In diesem ziehen sie mit allen Mitteln des Filmemachens über Bilder bis Sound die Anspannung beim Zuschauenden an und entwickeln so immer wieder einen sensationellen Sog.
Den angesprochenen „Good Time“ gibt es übrigens in der deutschen Synchronfassung gerade gratis (mit Werbeunterbrechungen) bei Amazon Prime Video:
Das angesprochene Chaos darf nicht mit mangelnder Kontrolle verwechselt werden – ganz im Gegenteil. Die Safdie-Brüder haben eine genaue Vorstellung, wie ihre Filme aussehen sollen – und das zeigt sich gerade in „Der schwarze Diamant“ auf eindrucksvolle Weise. Obwohl die Kamera immer wieder unglaublich nah an den Figuren zu kleben scheint, wird gar nicht so oft auf eine Handkamera, die ihnen nahekommt, gesetzt.
Der herausragende Kameramann Darius Khondji („Sieben“, „Panic Room“) positionierte sich oft sogar ziemlich fern der Action und mit einem Stativ. Damit haben die Schauspieler*innen viel Freiraum, sich zu bewegen. Dass sie auch mal die Kamera blockieren, quasi durchs Bild laufen und uns die Sicht versperren, ist bewusst einkalkuliert. Das Verfolgen mit Schwenks macht die Szenen rasant wie beim Einsatz einer Handkamera, aber ohne deren Wackelei, die oft jegliche Übersichtlichkeit zerstört.
Übersicht im Chaos
Das fällt den meisten Menschen bewusst gar nicht auf, es entfaltet aber unterbewusst seine Wirkung. „Der schwarze Diamant“ wirkt so wild und chaotisch, bleibt aber jederzeit übersichtlich. Man verliert beim Zuschauen nie völlig die Orientierung, weiß wo man ist, wo die einzelnen Figuren sind.
All das findet sich beim Sound wieder. In „Der schwarze Diamant“ sind die Figuren nicht nur fast durchgehend am Schreien sowie dauernd erregt, erzürnt und auf 180. Auch andere Sound-Geräusche sind verstärkt, eine Türklingel oder der Buzzer sind extrem laut, dazu kommt ein sehr präsenter Score. Weil das angesprochene Schreien der Figuren sich laufend überlagert, sich Leute nicht ausreden lassen, sondern quasi übereinander reden und zudem noch Dialoge im Hintergrund zu vernehmen sind, entsteht so ein enervierender Klangteppich – doch auch hier gibt es Kontrolle im Chaos.
Was den meisten wohl erst beim wiederholten Ansehen bewusst auffallen dürfte: Figuren wiederholen sich ständig. Wie bei der Kameraarbeit hat das einen unterbewussten Effekt. Trotz aller (dadurch auch multiplizierter) Schreierei, trotz aller gegeneinander ankämpfenden Geräusche bekommt man am Ende trotzdem mit, was sich abspielt und kann so dem Film jederzeit folgen.
Ich finde das persönlich brillant – und es ist ein Grund, warum ich „Der schwarze Diamant“ einfach schon handwerklich bewundere. Dies ist aber erst beim wiederholten Schauen entstanden, denn viel wichtiger ist der Effekt, den all das auslöst: „Der schwarze Diamant“ stresst mich auf positive Weise. Filme sollen ja Emotionen auslösen, uns Lachen oder Weinen lassen, uns zum Mitfiebern bringen. Und genau das macht „Der schwarze Diamant“ bei mir – und zwar auch beim zehnten Durchgang wie damals beim allerersten Mal.
"Uncut Gems": Mitfiebern auch beim 15. Schauen
Ich fiebere wieder erst mit Howard und später mit Julia mit. Ich werde durchgeschüttelt, erlebe eine Achterbahnfahrt an Emotionen und werde mitgerissen. „Der schwarze Diamant“ ist dabei ganz sicher kein einfacher Film. Es ist kein Film, den ich einfach mal so zwischendrin schauen kann und dann zum Tagesgeschäft übergehe oder mich danach schlafen lege. Ich brauche danach wirklich, um erst mal wieder runterzukommen, weil es fast ein Rausch ist. Doch wie es der Film selbst beim 11., 12., 13., 14. und zuletzt bei mir beim 15. Mal schafft, diese Gefühle auszulösen, flasht mich immer wieder aufs Neue.
Für mich kommt hier nur Sidney Lumets „Dog Day Afternoon“ alias „Hundstage“ mit seinem brillanten Hauptdarsteller-Duo Al Pacino und John Cazale (einem der besten Schauspieler aller Zeiten, der in seinem zu kurzen Leben quasi nur Meisterwerke gemacht hat) ran. Auch das ist ein Film mit viel Brüllen, viel Stress und purem Chaos, das aber trotzdem immer wieder übersichtlich wird, ohne dass die dafür eingesetzten Mittel offensichtlich sind.
Ich wünsche euch nun zum Abschluss viel „Spaß“ mit „Uncut Gems – Der schwarze Diamant“ und hoffe, dass euch der Streaming-Tipp gefallen hat, bei dem ich ja nicht mal die meisterhafte Leistung von Adam Sandler erwähnt habe.
„Uncut Gems – Der schwarze Diamant“ gibt es in Deutschland exklusiv auf Netflix! Hier ist auch noch ein weiterer Streaming-Tipp für euch:
Streaming-Tipp: Diesen (fast) vergessenen 80er-Jahre-Action-Kracher solltet ihr unbedingt nachholen!Dies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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