Ein Land rutscht ab: Wenn sein Herrscher spricht, kommt bloß zorniges, hetzerisches Geschimpfe aus ihm heraus. Er schart schon mit den Füßen, um seine Heimat in den nächsten Krieg zu stürzen und schafft zugleich ein Feindbild im Inneren: Er lädt sämtliche Schuld für den Zustand des heruntergewirtschafteten Landes auf den Juden ab...
Als „Der große Diktator“-Regisseur und -Hauptdarsteller Charlie Chaplin diesen Stoff im Herbst 1940 auf die große Leinwand brachte, hielten sich die USA noch aus dem Zweiten Weltkrieg heraus und Hollywood scheute vor Hitler-Karikaturen zurück. Chaplins Geniestreich wird attestiert, einen Beitrag zum Umdenken in den Vereinigten Staaten geleistet zu haben – und das, obwohl die rechtskonservativen, boulevardesken und mächtigen Blätter des Medienmoguls William Randolph Hearst den Film in der Luft zerrissen.
Multitalent Chaplin schuf mit seiner beispiellosen Verschmelzung aus Slapstick-Spektakel, Verwechslungskomödie, Drama und antifaschistischer Satire also einen Film, der seiner Zeit voraus war. Und auch wenn Chaplin festhielt, dass er es nicht zustande gebracht hätte, einen zwischendurch so leichtgängigen Film wie „Der große Diktator“ zu inszenieren, hätte er von den abscheulichen Ausmaßen der Nazi-Verbrechen gewusst: Sein cineastischer Meilenstein erwies sich in den zurückliegenden 84 Jahren als vollkommen zeitlos.
Das gilt auf thematischer Ebene, da Hass und Hetze leider noch immer grassieren und erschreckend oft Demokratien ins Wanken bringen. Aber „Der große Diktator” ist auch als Unterhaltungsfilm zeitlos, da Chaplins Gespür für zwischenmenschliche Momente und erst recht sein komödiantisches Talent nichts an Wirkung verloren haben.
„Der große Diktator” kehrt am 5. November 2024 als Teil der „Best of Cinema”-Reihe in die deutschen Lichtspielhäuser zurück. Und es lohnt sich, diese Gelegenheit zu nutzen – sei es, um sich wieder einmal vor Augen zu führen, wie ungebrochen wichtig dieser Film ist, oder um seinen Biss, seine Dramatik und seine Komik erstmals zu erleben.
Große Komik...
Nachdem Chaplin in „Moderne Zeiten“ Stummfilm und Tonfilm vermischte, wechselte er mit „Der große Diktator“ vollauf ins Tonfilm-Metier – und nutzte ihn für allerlei Sprachwitz: Der titelgebende, von Chaplin selbst gespielte Tyrann rutscht etwa in seinen hasserfüllten Ansprachen in völliges Kauderwelsch. Mit dieser Gaga-Kunstsprache entlarvt Chaplin nicht nur hetzerische Polemik als das stupide Getöne, das sie in Wahrheit ist – Chaplin fand auch eine schlicht und ergreifend lustige Balance aus phonetischem Wirrwarr und deutschen Lehnwörtern.
Chaplin spielt aber auch seine berühmte Stärke für physische Komik aus. Etwa direkt zu Filmbeginn, wenn der ebenfalls von ihm verkörperte, namenlose Protagonist während des Ersten Weltkriegs an der Front von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt. Oder in der ebenso komischen wie dank ihres makellosen Timings atemberaubenden Sequenz, in der er als Friseur einen Kunden rasiert und kämmt – und zwar perfekt im hektischen Rhythmus von Brahms Ungarischem Tanz Nr. 5.
...und noch größere Relevanz
Bittere Komik entwickelt „Der große Diktator“ dagegen in einer ebenso denkwürdigen Sequenz über den Widerstand: Zum Wohle der Menschheit hat eine Gruppe den Plan ins Auge gefasst, den kriegstreiberischen Herrscher durch ein Suizid-Sprengstoffattentat auszuschalten – doch niemand will sich vom Zufall zum Märtyrer wählen lassen, woraus Chaplin ein wahres Pointenfest macht. Schlussendlich sind es aber zwei Szenen, die den Rest von „Der große Diktator“ überstrahlen:
Die eine zeigt den wortlos mit einem Globus tanzenden Tyrannen Anton Hynkel, der die Welt für seinen Spielball hält. Die andere lässt den einstigen Stummfilmstar Chaplin in der Heldenrolle zu einem ausführlichen, passionierten Monolog ausholen, der als eindringliches, eloquentes Plädoyer für Frieden, Demokratie und Menschenwürde Filmgeschichte geschrieben hat. Dass beide Sequenzen mit dem Vorspiel aus Richard Wagners „Lohengrin“ untermalt sind, ist ein weiteres Beispiel für Chaplins hervorragendes Gespür als Regisseur:
Hynkels tänzerische Allmachtsfantasie inklusive Musikbegleitung endet abrupt und somit unbefriedigend. Wagners Komposition findet für den Helden des Films dagegen zu ihrem feierlichen Abschluss. Ganz nebenher hatte die Verwendung dieses Stücks aber auch einen biografischen Grund: Chaplin war großer Verehrer von Wagners Schaffen – und musste verwundert feststellen, dass er diese Begeisterung mit Hitler teilte. Auf der Kinoleinwand versuchte sich Chaplin an einer raffinierten Korrektur: Zumindest im Kontext von „Der große Diktator“ wird der Komponist symbolisch dem Faschismus entrissen.
Die "Best Of Cinema"-Reihe: Großes Kino präsentiert von FILMSTARTS
Charlie Chaplins eindringliches Meisterwerk ist selbstredend nicht der letzte Film, der in der „Best Of Cinema“-Reihe zu sehen sein wird. Jeden Monat gibt es einen neuen Klassiker oder Kultfilm, der deutschlandweit zurück auf die großen Leinwände kommt. Und dieses Programm ist genauso hochkarätig wie abwechslungsreich!
So geht es nach der ebenso komischen wie bedeutungsschweren Schwarz-Weiß-Satire farbenfroh und überaus musikalisch weiter. Denn im Dezember 2024 steht Damien Chazelles Oscar-Abräumer „La La Land“ an. Was ihr sonst noch in der „Best Of Cinema“-Reihe erwarten könnt, erfahrt ihr im folgenden Artikel:
Ein Muss für Film-Fans: Serienkiller-Meisterwerk, Action mit Arnie und Sly & mehr könnt ihr schon bald wieder im Kino erleben