Das langlebigste Kino-Franchise aller Zeiten musste sich in den letzten Jahrzehnten regelmäßig neu erfinden: Als Sean Connery die zunehmend ungeliebte Rolle als James Bond nach „Man lebt nur zweimal“ vorübergehend an den Nagel hängte und George Lazenby in seine viel zu großen Fußstapfen trat, wäre „007“ anschließend fast in der Versenkung verschwunden. Nach Roger Moores Weltraum-Trip in „Moonraker“, der Ende der 70er-Jahre stark von „Star Wars“ inspiriert war, ließ sich das Spektakel kaum noch steigern. Und nach Pierce Brosnans zunehmend abgehobenen Einsätzen in der Rolle des britischen MI6-Agenten drückten die Filmemacher kurz nach der Jahrtausendwende die Reset-Taste, um das Franchise nach dem realitätsfernen „Stirb an einem anderen Tag“ wieder im glaubwürdigeren Hier und Jetzt zu verorten.
Kurz vor Pierce Brosnans letztem Bond-Film sorgte „Die Bourne Identität“ für volle Kinosäle, erntete ein starkes Publikumsecho und läutete damit prompt eine neue Ära des Agentenfilms ein. Die Bond-Macher haben es nämlich immer schon verstanden, auf Zeichen der Zeit zu reagieren, ohne ihren Markenkern zu sehr auszuhöhlen: Sie orientierten sich bei der Neuausrichtung der fünf Filme mit Daniel Craig, der 2006 im Reboot „Casino Royale“ debütierte und 2021 in „Keine Zeit zu sterben“ abdankte, auch am Erfolgsprinzip von Doug Limans mitreißendem Action-Thriller.
„Die Bourne Identität“ läuft am heutigen 10. August 2024 um 20.15 Uhr auf RTL Zwei. Falls ihr den Termin verpasst, ist der Thriller alternativ als (4K/UltraHD-)Blu-ray, DVD oder kostenpflichtiges Video-on-Demand zu haben.
Darum geht es in "Die Bourne Identität"
Italienische Fischer lesen im Mittelmeer den Körper eines Mannes auf, der zwei Kugeln im Rücken hat, aber noch lebt. Als der Schwerverletzte unter Deck zu sich kommt, stellt er erschrocken fest, dass er sein Gedächtnis verloren hat. Wer ist dieser Mann – und warum wollte man ihn töten? In Marseille geht der Genesene von Bord. Über ein Implantat in seiner Hüfte, das die Nummer eines Schweizer Bankkontos trägt, führt sein Weg nach Zürich. Im Schließfach, das er offenbar dort angemietet hat, entdeckt er neben zahlreichen falschen Pässen auch dicke Geldbündel und eine Waffe. Was hat das alles zu bedeuten?
Wir genießen gegenüber dem Namenlosen einen Wissensvorsprung: Jason Bourne (Matt Damon) ist ein erstklassig ausgebildeter Elite-Agent, eine Tötungsmaschine, die im Rahmen des „Treadstone“-Programms der CIA in Paris stationiert wurde. Im Auto der Weltenbummlerin Marie Helena Kreutz (Franka Potente), die Bourne bei einem Zwischenfall in der US-Botschaft kennenlernt, flüchtet er vor der Polizei und seinen Auftraggeber*innen, für die er zur tickenden Zeitbombe geworden ist, nach Paris. Dort erwartet man ihn aber schon…
So inspirierte Bourne Bond und Bond Bourne
Bei Jason Bourne und James Bond beginnen der Vor- und der Nachname mit den gleichen zwei Buchstaben – das ist aber bei weitem nicht die einzige Gemeinsamkeit der Erfolgsreihen. Bond hat Bourne inspiriert und umgekehrt. Als „Die Bourne Identität“ im September 2002 in den Kinos startete, stand die 007-Reihe kurz vor den eingangs erwähnten dringend notwendigen Neustart: Bond brauste zwei Monate später auf der Kinoleinwand in einem unsichtbaren Auto über zugefrorene Seen, der Bösewicht in „Stirb an einem anderen Tag“ haust in einem Eispalast! Das erste Abenteuer von Jason Bourne bildet da einen glaubwürdigeren Gegenentwurf zum 007-Kosmos: Kein Bombast, keine futuristischen Gadgets und keine überbordenden visuellen Effekte, sondern geerdete Settings und beinharte Action, die das Geschehen in der Realität verankern.
Dass Bourne sein Gedächtnis verloren hat, macht ihn auch menschlicher. Er ist kein stets überlegener Superheld, wie es 007 oft war, sondern ein sensibler, sympathischer Kerl. Unsicher offenbart er sich seiner Weggefährtin (Potente als Pendant zum klassischen „Bond-Girl“), fast widerwillig steckt er im makellosen Körper einer Kampfmaschine. Wir fühlen und leiden mit ihm. Ein ähnliches Muster kennzeichnet die Bond-Filme mit Craig: Musste 007 bis in die 1990er Jahre fast ohne Gefühle auskommen – Ausnahmen wie der unterschätzte „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ bestätigen die Regel – betrauert Bond etwa in Craigs Erstling „Casino Royale“ den Tod seiner geliebten Vesper Lynd (Eva Green) und begibt sich in „Ein Quantum Trost“ auf einen Rachefeldzug.
Ähnlich wie in den Craig-Filmen wirken auch die Kampfszenen beim ersten Bourne-Abenteuer sehr geerdet, was sie nicht minder aufregend macht: Statt auf trickreiche Gimmicks zu setzen, wie wir sie aus den älteren Bond-Streifen kennen, sind diese Sequenzen unheimlich physisch geprägt. Bourne vertrimmt nach seiner Ankunft in Zürich nicht nur zwei Streifenpolizisten, sondern auch andere Agenten, die ihn aus dem Verkehr ziehen sollen. Seine Reflexe überraschen jeden Gegner, er kämpft mit der Präzision eines Roboters. Und wirkt doch echt.
Umgekehrt haben sich die Bourne-Macher hier und da von 007 inspirieren lassen: Die halsbrecherische Verfolgungsjagd im roten Mini Cooper durch den Pariser Gegenverkehr erinnert an den Bond-Film „Im Angesicht des Todes“, in dem der damals weit über 50-jährige Roger Moore bei seinem letzten Einsatz für das Bond-Franchise in einem nicht gerade fabrikneuen Renault um den Eiffelturm heizt. Das weltumspannende Netzwerk aus Agent*innen, die für denselben Geheimdienst arbeiten und im Ernstfall nie mit dem Protagonisten mithalten können, kennen wir ebenfalls aus Bond-Abenteuern. Und natürlich auch den abtrünnigen Elite-Agenten, der sich mit seinem Arbeitgeber überwirft.
Darum ist das ersten Bourne-Abenteuer so sehenswert
„Die Bourne Identität“ ist unheimlich gut gealtert und hat nicht nur die 007-Filme inspiriert, sondern bildet auch den Auftakt zu seinem eigenen Franchise mit vier Fortsetzungen. Verschnaufpausen gibt es nur wenige: Von einem starken Soundtrack begleitet, geht es in rasantem Tempo durch Zürich und Paris. Aber auch die Gefühlswelten von Bourne und seiner Begleiterin bekommen ausreichend Raum. So gewinnen die Charaktere an Tiefe und der Film verkommt nicht zum seelenlosen Action-Spektakel. Wer die Bourne-Reihe noch nicht kennt, darf außerdem bei der Spurensuche in der Vergangenheit mitfiebern: Was ist wohl passiert, ehe der Elite-Agent ins Mittelmeer gestürzt ist? Und was verbirgt sich hinter dem „Treadstone“-Programm, das später sogar eine eigene Spin-off-Serie bekam?
Dass Bournes Vorgesetzte – allen voran der gestresste Alexander Conklin (Chris Cooper) – in diesem Film erst spät die Zentrale verlassen und als Figuren recht holzschnittartig wirken, ist unterm Strich locker zu verkraften: „Die Bourne Identität“ bietet ein sehr unterhaltsames, temporeich arrangiertes und mit feinen humorvollen Zwischentönen gespicktes Versteckspiel im Herzen Europas.
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Dies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.