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    "Bridgerton" Staffel 3: Erst begeistert, dann enttäuscht – darum ist der Umgang mit Cressida eine Frechheit
    Annemarie Havran
    Annemarie Havran
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    „Braveheart“, „Gladiator“, „Bridgerton“, „Downton Abbey“ und Co.: Historische Stoffe – sie müssen nicht unbedingt realistisch sein – haben es Annemarie angetan.

    Cressida Cowper lässt sich in der 3. „Bridgerton“-Staffel endlich mal ein bisschen hinter die kühle Fassade blicken, nur um am Ende dann doch wieder das herzlose Miststück zu sein, das bestraft gehört. Hier wäre eine bessere Entwicklung drin gewesen!

    Netflix

    Justice for Cressida! Nicht, dass ich persönlich ein allzu großer Fan der jungen Frau mit den überdimensionierten Ärmeln wäre. Unbedingt befreundet sein möchte ich mit ihr nicht. Aber wie mit ihrer Figur in „Bridgerton“ Staffel 3 auf Netflix umgegangen wird, hat mich enttäuscht – und ich hoffe sehr auf Besserung in den folgenden Staffeln.

    Denn zunächst hat alles eigentlich sehr clever mir einer guten Drehbuch-Entscheidung angefangen. In meinen Notizen, die ich mir beim Schauen neuer Filme und Serien für meine Arbeit als FILMSTARTS-Redakteurin mache, steht ganz dick unterstrichen das Stichwort: „Cressida Figurenentwicklung!“. Ich war nämlich sehr angetan von der neuen Seite, die in „Bridgerton“ Staffel 3 Teil 1 von der bisher nur als intrigante Oberzicke aufgetretenen Cressida Copwer (Jessica Madsen) präsentiert wurde.

    Cressida ist selbst ein Opfer – und schlägt deshalb um sich

    Über ihre neue Freundschaft mit Eloise (Claudia Jessie) bekamen wir endlich Einblicke in das Leben der auf Bällen immer so kühl und arrogant agierenden jungen Frau und erfuhren: Sie ist so viel mehr als einfach nur das stereotype Mean Girl, das zum Beispiel in Highschool-Komödien keine andere Funktion hat als der Hauptfigur die Suppe zu versalzen. Cressida ist nicht grundlos gemein – sie ist einsam und wird erstickt von dem Erwartungsdruck ihres lieb- und verständnislosen Elternhauses, das von ihr verlangt, auf Biegen und Brechen einen gut situierten Ehemann zu finden, ohne auch nur ansatzweise das eigene Glück im Sinn haben zu dürfen.

    Netflix
    Ungemütlich!

    Erstickt im wahrsten Sinne des Wortes, denn als ich in Teil 1 der dritten „Bridgerton“-Staffel gesehen habe, in welch düsterem, mit turmhohen dunklen Holzmöbeln vollgestopften Zuhause ohne Licht und Luft sie aufgewachsen ist, dachte ich nur: „Oje, kein Wunder, dass sie so geworden ist“. Das Heim der Cowpers ist nicht das einzige Sinnbild, das in „Bridgerton“ ganz bewusst für den Käfig, in dem Cressida steckt, eingesetzt wurde:

    Cressidas schwere Kleider mit den auffällig überdimensionierten Schulterpartien und Ärmeln kann man nicht nur als eine Art Rüstung verstehen. Sie schützt sie nämlich nicht nur nach außen, sondern hält sie eben auch gefangen: wie ein Käfig. Diese Absicht bestätigte Kostümdesigner John Glaser auf der Homepage von Shonda Rhimes’ Produktionsfirma Shondaland: „Sie ist wie ein Schmetterling, der in einem Mausoleum gefangen ist, wie ein Vogel in einem Käfig. Wir wollten zeigen, dass sie gefangen ist, also haben wir uns überlegt: ‚Lasst sie uns in ihren Kleidern einsperren.‘“

    Cressida will auf eigenen Füßen stehen – um jeden Preis

    Als sich Cressida dann entschließt, die Identität von Lady Whistledown zu enthüllen, um sich die Belohnung von 5.000 Pfund zu sichern und mit diesem Geld ein Leben ohne Ehemann bestreiten zu können, dürfte ihr nicht nur mein Verständnis (wenn nicht sogar Sympathie) sicher gewesen sein.

    Zu dem Zeitpunkt hätte sie auch noch nicht absehen können, welche Grausamkeit sie der Person hinter dem Pseudonym, nämlich Penelope (Nicola Coughlan), damit zufügt – und hey, selbst wenn, ich habe nicht gesagt, dass die Mittel, die Cressida anwendet, oder ihr Verhalten, das sie an den Tag legt, entschuldbar sind. Es ist nun aber endlich verständlich, warum sie oft so hart und erbarmungslos handelt und auftritt, was es in den ersten beiden „Bridgerton“-Staffeln noch nicht war.

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    Zunächst präsentiert sie sich selbst als Lady Whistledown, kommt damit jedoch nicht durch. Die Methoden, zu denen Cressida greift, werden dann immer verzweifelter und natürlich auch zweifelhafter, bis hin zur erbarmungslosen Erpressung von Penelope und Colin (Luke Newton). Die Ehe mit einem uralten Lord, der sie am liebsten zuhause einsperren (!) möchte, droht ihr zwar nicht länger – dafür aber die Abschiebung durch ihre Eltern zu einer ähnlich erbarmungslosen Tante aufs Land. Geld würde für Cressida die einzige Möglichkeit bieten, Selbständigkeit zu erlangen.

    Happy End für die einen, Strafe für die anderen...

    Natürlich hätte ich nicht erwartet, dass Cressida jetzt plötzlich zu einem Gutmenschen geworden ist, von der Erpressung, den Lügen und Grausamkeiten Abstand nimmt. So wurde sie schließlich von ihrer Mutter erzogen, die ihr erzählt, in dieser Welt kämpfe eben jeder nur für sich selbst, vor allem Frauen – und das ohne jede Rücksicht. Doch dass „Bridgerton“ Cressida zum Ende der dritten Staffel hin eben doch wieder nur als das ultimative Böse darstellt, das bestraft gehört und auch wird, und sie keine Chance auf Wiedergutmachung bekommt, hat mich dann doch enttäuscht.

    Denn was geschieht? Für Penelope, Colin und Co., die auch nicht immer nur ehrlich, anständig und fair gespielt haben, geht wieder mal alles gut aus, während Cressida ohne jegliche Aussicht auf Glück von ihrer knorrigen Tante eingesackt und aus London verbannt wird – diesmal nicht nur bestraft von ihren Eltern, sondern gewissermaßen auch vom Drehbuch, das sagt: Seht her, wer dem Glück unserer Protagonist*innen im Weg steht, bekommt die Konsequenzen zu spüren.

    Nicht nur verständnislose Eltern, sondern auch unsensible Bridgertons

    Vermittelt wird dieser erneute Fall in Ungnade, nachdem sich Cressida doch gerade ein wenig die Gunst des Publikums sichern konnte, auch durch das Verhalten von Eloise, die ihre neue Freundin beim ersten Auftreten von Problemen fallen lässt wie eine heiße Kartoffel. Zugewandt hatte sich ihr die Bridgerton-Tochter sowieso schon nicht aus Freundlichkeit, sondern nur, weil sie einen Lückenbüßer für ihre auf Eis liegende Freundschaft mit Penelope brauchte. Auch nicht gerade ein feiner Wesenszug von Eloise.

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    Eloise (Claudia Jessie) und Cressida (Jessica Madsen): Freundschaft auf wackeligen Beinen

    Doch obwohl Eloise Einblicke in Cressidas Zuhause, in ihre familiäre Situation bekommen hat, ist da kein Funken Mitgefühl, als Cressida dann zu drastischen Methoden greift, um sich ihre Freiheit zu erkämpfen. Hier kennt Eloise kein Pardon, ebensowenig Colin, der Cressida darauf verweist, dass ihr doch bestimmt von ihren Eltern irgendwann verziehen werde und sie nach London zurückkehren dürfe, die Strafe sei doch also gar nicht so schlimm – worauf Cressida einmal mehr einen Einblick in die Tragik ihres Daseins gibt. Nicht alle Elternhäuser seien so liebevoll wie das der Bridgertons, gibt sie Colin desillusioniert zu verstehen.

    Für Cressida gibt es keine Unterstützung von irgendwem, nur Strafe. Und diese wird in der Serie auch noch so präsentiert, als sei sie verdient, als solle man sich nun freuen, dass die Bösewichtin besiegt und aus dem Weg geräumt wurde. Die Unterstützung und die Bereitschaft zum Verzeihen, die sich die anderen Figuren in der Serie gegenseitig gewähren, selbst wenn es zuvor Streit und Zerwürfnisse gab, werden Cressida nicht zuteil – und hier ist meine große Hoffnung, dass sich das in den folgenden Staffeln ändern wird.

    Bekommt Cressida in Staffel 4 eine zweite Chance?

    Cressida muss nach London zurückkehren, und ihrer Figur muss Gerechtigkeit widerfahren. Wir müssen sie nicht mögen, wir müssen ihr nicht alles verzeihen. Natürlich heiligt der Zweck nicht jedes Mittel. Aber sie sollte wie alle anderen Figuren in dieser Feelgood-Serie zumindest die Möglichkeit bekommen, sich ihr Glück zu erkämpfen, gehört und wahrgenommen zu werden – und sich letztendlich weiterzuentwickeln.

    Denn so wie in den finalen Folgen von Staffel 3 mit Cressida umgegangen wurde, wie sie von ihrer Familie, ihrer vermeintlichen neuen Freundin Eloise und der feinen Londoner Gesellschaft abgestraft und im Stich gelassen wurde, besteht die Gefahr, dass sich der Hass in Cressida erst einmal nur noch weiter verhärtet. Wieder einmal wurde ihr bestätigt: Sie ist auf sich allein gestellt und machtlos. Zu diesem Punkt zurückzukehren, nachdem sie sich zu Beginn der Staffel langsam zu öffnen begonnen hatte, ist ein Rückschlag für die Figurenentwicklung.

    Ich würde mir wünschen, dass Cressida also eine neue Chance bekommt, die Grausamkeit und das Einzelkämpfertum, die von ihren Eltern in ihr gesät wurden, zu überwinden, und Vertrauen in sich selbst und in andere zu gewinnen. Wobei es eben jenen anderen zufällt, auch mal die Nase über den eigenen Tellerrand zu strecken und sich einzugestehen, dass nicht jeder und jede so privilegiert ist, in einem wohlwollenden Haushalt aufgewachsen zu sein. Denn gegen Cressidas Eltern ist sogar Penelopes auf Ansehen und Reichtum fixierte Mutter Lady Featherington (Polly Walker) ein Ausbund an elterlicher Liebe und Freundlichkeit!

    Der Grundstein dafür wurde gelegt, auch wenn Cressida am Ende von Staffel 3 doch wieder nur das Mean Girl ist und nun eben unglücklich in Wales statt unglücklich in London vor sich hin vegetieren darf. In einer Serie, deren Markenzeichen es ist, Liebe zu verbreiten und jedem und jeder möglichst ein Happy End zu bescheren, wäre das ein trauriger Ausgang für eine doch gerade erst interessant gewordene Figur.

    "Bridgerton": Wird nach Francesca das nächste Geschwister umbesetzt? Dieser Hinweis versteckt sich in Staffel 3 Teil 2

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