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    Ernsthaft, Netflix? Beim Serien-Hit "Rentierbaby" liegt der Streamingdienst mit einer Sache gewaltig daneben
    Markus Trutt
    Markus Trutt
    -Redakteur
    Vom Spurenverwischen mit Dexter bis zu Weltraum-Abenteuern mit Picard. Markus hat ein Herz für Serien aller Art – und schüttet es gern in Artikeln aus.

    Mit „Rentierbaby“ hat Netflix einen Überraschungshit gelandet – und das, obwohl die Miniserie beim Streamer ziemlich irreführend kategorisiert wird. Denn eine Comedyserie ist die an die Nieren gehende Stalkergeschichte beim besten Willen nicht.

    Netflix

    Rentierbaby“ ist eine dieser Netflix-Serien, die vorher kaum jemand auf dem Schirm gehabt haben dürfte und die dann erst durch Mundpropaganda nach und nach immer mehr Aufmerksamkeit bekommen hat. Mittlerweile steht die Miniserie in über 70 Ländern (auch in Deutschland) an der Spitze der aktuell meistgestreamten Serien auf Netflix und selbst solche, die sie (noch) nicht geschaut haben, haben nach diesem Erfolg inzwischen eine ungefähre Ahnung, worum es hier geht.

    Umso geschockter müssen aber all jene gewesen sein, die kurz nach Release eher zufällig auf den jetzigen Streaming-Hit gestoßen sind, nicht nur aufgrund des düsteren Inhalts der Serie an sich, sondern auch wegen der Tatsache, dass man auf diesen nur leidlich vorbereitet wird: Netflix stuft „Rentierbaby“ bei der Genrezuteilung nämlich tatsächlich als Comedyserie ein – und verfehlt damit ohne Frage den Kern der Sache.

    Das war wohl nichts, Netflix! Netflix
    Das war wohl nichts, Netflix!

    "Der Marsianer" lässt grüßen

    Der Fall erinnert ein wenig an die fragwürdige Golden-Globe-Auszeichnung von „Der Marsianer“ als Beste Komödie vor einigen Jahren (nur weil Matt Damon als gestrandeter Astronaut mit seiner schwierigen Lage ein wenig flapsig umgeht). Nur dass „Rentierbaby“ nun noch einmal wesentlich abgründiger ausfällt, als das Sci-Fi-Drama von Ridley Scott.

    Ja, „Rentierbaby“ hat (sehr schwarzen) Humor, einige trockene Off-Kommentare von Autor und Hauptdarsteller Richard Gadd und bietet hin und wieder auch kleine Momente absurder Situationskomik – bei der einem das Lachen aber eher im Halse stecken bleibt. Wer hier jedoch waschechte Comedy-Unterhaltung erwartet, ist absolut falsch gewickelt. Oder wie es jemand auf X (ehemals Twitter) treffend ironisch formuliert hat: „Diese Comedyserien sind schmerzhaft anzuschauen.“

    Dass die Hauptfigur Komiker ist, macht ihre Erlebnisse noch lange nicht zur Komödie (schließlich ist auch sowas wie „Joker“ keine Comedy). Die Story über den Stand-Up-Comedian Donny Dunn (Gadd), für den eine Frau eine gefährliche Obsession entwickelt, ist vielmehr eine hochemotionale und schwer verdauliche Geschichte über Stalking, Missbrauch und Traumabewältigung, die in einer Folge sogar eine entsprechende Trigger-Warnung verpasst bekommen hat.

    Ein Mix aus Drama und Thriller, bisweilen gar mit Horrorelementen, der umso verstörender wird, wenn man sich vor Augen führt, dass das Geschilderte auf den eigenen Erfahrungen von Richard Gadd basiert.

    Man muss Netflix in erster Linie natürlich dafür dankbar sein, dass man Gadd die Gelegenheit gegeben hat, seine ergreifende Erfahrung einem Millionenpublikum näher zu bringen. Die viel zu kurz greifende Kategorisierung als Comedyserie bleibt allerdings dennoch ein irreführender Faux-pas mit fadem Beigeschmack.

    Psycho-Comedyserie ab 18

    Kurioserweise bezeichnet der Streaminganbieter „Rentierbaby“ an anderer Stelle bei einer Inhaltszusammenfassung dann in der Tat als düsteren Psycho-Thriller und verpasst der Serie zusätzlich zur Genre-Einteilung immerhin noch die (allerdings nicht sonderlich aussagekräftigen) Labels „ausgefallen“ und „Psycho“.

    Hinzu kommt, dass man sich bei der hauseigenen Alterseinstufung für ein Ab-18-Siegel entschieden hat, was etwa keinesfalls der Darstellung besonders blutiger Gewalt zu verdanken, sondern primär den behandelten Themen und ihrer unbequem authentischen Aufbereitung geschuldet ist.

    Umso wünschenswerter wäre es, dass Netflix auch die offizielle Genreeinteilung noch einmal anpasst oder zumindest ergänzt, damit die Serie nicht plötzlich in einer Liste mit Titeln wie „Sex Education“, „The Office“ oder vielleicht sogar „Mr. Bean“ auftaucht (schließlich wird „Rentierbaby“ mit dem Label „britische Comedyserie“ in gewisser Weise in eine Reihe mit ebensolchen Titeln gestellt). Ansonsten könnte jemand, der oder die leichte Comedy-Zerstreuung sucht, ein blaues (wenn auch sehr sehenswertes) Wunder erleben.

    Streaming-Tipp auf Netflix: "Rentierbaby" ist eine der wichtigsten Serien des Jahres – und die Gründe dafür tun weh!

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