„Wie ein wilder Stier“, „GoodFellas“, „Casino“, „Departed“, „The Wolf Of Wall Street“ oder zuletzt „Killers Of The Flower Moon“ – wenn Martin Scorsese einen neuen Film präsentiert, reagieren die allermeisten Kinofans in der Regel mit Begeisterung. Nicht so 1976 in Cannes, als „Taxi Driver“, der in den USA damals bereits zu einem veritablen Hit avanciert war, seine europäische Premiere erfuhr.
Viele der Zuschauer*innen im großen Saal des wichtigsten Filmfestivals der Welt äußerten schon während der Vorführung immer wieder lautstark ihren Unmut. Als dann nach fast zwei Stunden Laufzeit der Abspann auf der Leinwand startete, war von Bernard Hermanns jazzigem Score schließlich nichts mehr zu hören – wurde dieser doch von einem lauten, anhaltenden Buhen komplett übertönt.
Das verwöhnte Publikum an der französischen Rivera war offensichtlich alles andere als einverstanden mit Scorseses Porträt eines traumatisierten Vietnam-Veterans namens Travis Bickle (Robert De Niro). In seinem Alltag als Taxifahrer in New York City hat der Mann es mit allen möglichen Menschen zu tun, die ihn entweder einfach ignorieren oder offen respektlos behandeln. Als es ihm mit Worten nicht gelingt, eine zwölfjährige Prostituierte (Jodie Foster) auf den Weg zur Tugend zu bringen, steigert er sich in einen Wahn. Bickle besorgt sich mehrere Pistolen und beginnt seinen Körper zu trainieren. Sein Ziel ist es, die Straßen der Stadt im Alleingang von „menschlichem Abschaum“ zu säubern...
Der Meisterregisseur selbst war bei der Vorführung in Cannes nicht anwesend. Er hatte gehört, dass der Jury-Vorsitzende Tennessee Williams seinen Film hassen würde und flog – begleitet von seinem Hauptdarsteller De Niro – anstatt die Preisverleihungen abzuwarten lieber zurück in die USA. Dort legte das Duo letzte Hand an sein Nachfolge-Projekt, das Film-Noir-Musical „New York, New York“. Den Award für den besten Film des Festivals, die Palme d'Or, bekam „Taxi Driver“ trotz der Publikumsreaktionen und der angeblichen Ressentiments von Schriftsteller-Titan Williams dennoch zugesprochen!
Es gab eine Vorgeschichte
Es ist nicht so, dass niemand im sonst so fachkundigen Cannes-Publikum die eigentlich unbestreitbare Klasse von „Taxi Driver“ erkannt hätte. So gab es durchaus einen Teil der Zuschauer, der versuchte, Applaus zu spenden und die Verleihung des Preises zu bejubeln. Die überwiegende Masse hatte – ähnlich wie vermutlich Tennessee Williams – allerdings wohl deutliche Probleme mit der offenen Darstellung von Gewalt in Scorseses Meisterwerk.
Bezüglich dieses Themas war man damals in Cannes besonders sensibilisiert. Hatte es doch beim vorjährigen Festival einen Bombenanschlag auf denselben Saal gegeben. Wenige Tage vor der „Taxi Driver“-Aufführung hatte die französische Polizei zudem erneut einen Sprengsatz im Gebäude gefunden, der gerade noch rechtzeitig entschärft werden konnte. Die Stimmung war deshalb verständlicherweise sehr angespannt. Vor diesem Hintergrund kamen die aggressiven Worte und Darstellungen im Film, speziell der blutige Höhepunkt zwischen den Figuren von De Niro und dem einen Zuhälter verkörpernden Harvey Keitel, überhaupt nicht gut an.
Als dann auch noch die Nachricht die Runde machte, dass die Jury bei der Verleihung des Hauptpreises die vom Publikum unisono gefeierten europäischen Wettbewerbsbeiträge wie Roman Polanskis „Der Mieter“, Bernado Bertoluccis „1900“ und Ingmar Bergmans „Von Angesicht zu Angesicht“ zugunsten des brutalen „Taxi Driver“ übergehen würde, war es vorbei mit der Contenance der zahlenden Kinogänger. So kam es, dass einer der besten Filme des legendären Martin Scorsese in Cannes gnadenlos ausgebuht wurde.
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