Den Löwenanteil seiner Regiearbeiten hat Spike Lee selbst geschrieben – weshalb bei ihm Look, Feeling und Inhalt zur Einheit verschmelzen. Der Kopf hinter „Malcolm X“ und „BlacKkKlansman“ stößt so sein Publikum mit Raffinesse, Vehemenz und Erschütterung auf tief verwurzelte, gesellschaftliche Missstände. Daher klingt es unvorstellbar, dass Lee ein Projekt übernimmt, das für „The Da Vinci Code“-Regisseur Ron Howard gedacht war.
Doch genau das geschah! Herausgekommen ist Lees kommerziell erfolgreichster Film: Ein zugänglicher, extrem spannender Thriller, der sich trotzdem organisch in Lees Vita fügt. Nun läuft er wieder im TV: Arte zeigt „Inside Man“ in der Nacht vom heutigen 22. auf den morgigen 23. Februar 2024 ab 0.15 Uhr. Außerdem findet ihr den Thriller derzeit bei Netflix.
"Inside Man": Ein Novize, Ron Howard und Spike Lee
Dalton Russell (Clive Owen) überfällt mit seiner vierköpfigen Truppe eine New Yorker Bankfiliale und glaubt, den perfekten Plan zu haben: Russell nimmt Geiseln und lässt sie als Räuber verkleiden, um die Polizei zu verwirren. Die Verhandlungen mit den gewieften Gangstern übernimmt Detective Keith Frazier (Denzel Washington), der kürzlich unter Korruptionsverdacht geriet und unter Druck steht, seine Integrität zu beweisen.
Weiter sorgt die einflussreiche Anwältin Madeleine White (Jodie Foster) für Zündstoff: Bankchef Arthur Case (Christopher Plummer) hat höchstpersönlich gefordert, dass sie sich in diese explosive Situation einbringt. Fraglich, ob durch diese Vielzahl an Forderungen stellenden Dickschädeln ein schnelles, friedliches Ende folgen wird...
Eines der bewegendsten Meisterwerke der Filmgeschichte neu bei Amazon Prime Video – hier bleibt kein Auge trockenDas Skript zu „Inside Man“ verfasste der damalige Drehbuchnovize Russell Gewirtz, der sich dafür fünf Jahre Zeit nahm. Mit dem Ansatz, das Publikum ratlos in einen Bankraub zu werfen und nach einer Vielzahl an Twists zu enthüllen, was weshalb passiert, weckte das Interesse von Ron Howards Produktionsfirma – und zunächst wollte der oscarprämierte „A Beautiful Mind“-Regisseur selbst die Inszenierung übernehmen.
Letztlich stieg Howard jedoch aus, um das Boxdrama „Das Comeback“ zu drehen. Daraufhin trugen „Die Farbe Lila“-Autor Menno Meyjes und „Hotel Ruanda“-Macher Terry George zu einer Drehbuch-Revision bei, indem sie weitere thematische Elemente und Subplots zufügten. Auf dem Regiestuhl nahm dann letztlich der für erzürnt-nachdenkliche Arbeiten stehende Spike Lee Platz. Und obwohl „Inside Man“ zu seinen wenigen Filmen zählt, die er nicht selbst geschrieben hat, erwies es sich als perfektes Match!
Bankraub-Nervenkitzel mit explosiver Politkritik
Bereits die Musik durchzieht die mit leise brodelndem Thrill erzählte Bankraub- und Geiselnahme-Story mit unverkennbarem Spike-Lee-Flair: Der Score stammt von Jazzmusiker Terence Blanchard, der dem Geschehen eine kühl-altmodische Rhythm-And-Blues-Note verleiht. Über „Inside Man“ schwebt aber vor allem der indische Folk-Pop-Ohrwurm „Chaiyya Chaiyya“ des „Slumdog Millionär“-Oscar-Gewinners A. R. Rahman.
Dadurch, dass Lee den Film mit diesen Klängen eröffnet, drückt er ihm ein New Yorker Selbstverständnis auf, das nur wenige US-Filmschaffende im Repertoire haben: Fünf Jahre nach 9/11 setzt er dem in den USA hochgekochten Rassismus Musik entgegen, die Lees Gegenseite als „fremd“ und „bedrohlich“ bezeichnen würde, obwohl sie vital und hingebungsvoll-froh ist – und im kulturellen Schmelztiegel New York zum Alltag gehört.
25 StundenIm weiteren Verlauf touchiert „Inside Man“ die Folgen der Bush-Politik, die rasante Verharmlosung von Gewalt in der US-Popkultur und Nachrichtenlandschaft, kulturelle Ignoranz sowie die Gewissenlosigkeit, mit der Mächtige selbst aus größtem Elend Profit schlagen. Aller thematischen Dichte zum Trotz lieferte Lee aber einen Film ab, der auch ganz schlicht als fesselnde Thriller-Unterhaltung funktioniert!
Owen und Washington beweisen in ihren Rollen sogar großes komödiantisches Talent: Owen punktet als gewitzt-raffinierter, arroganter Räuber, der mit seiner über den Dingen stehenden Coolness amüsiert. Washington unterhält wiederum als kernig-verbissener Cop, der mit knockentrockenen, zielgenauen Sprüchen Löcher in den Ernst der Lage sowie die Ignoranz oder Selbstgefälligkeit seines Kollegiums bohrt.
Gekonnt konterkariert wird diese Lässigkeit durch die rau-elektrisierenden Bilder des „Iron Man“-Kameramanns Matthew Libatique und die Intensität, mit der die Nebenfiguren (u. a. gespielt von Willem Dafoe und Chiwetel Ejiofor) Angst, Verzweiflung und Gier zum Ausdruck bringen.
Die klug gestreuten, teils hämisch-neckischen Vorausdeutungen der Enthüllung runden diesen klug-kurzweiligen Thriller ab: Am Ende kann man kaum anders, als bewundernd zu grinsen und gleichzeitig gedankenverloren den Kopf zu schütteln.
Nicht einmal 2.000 Zuschauer haben sich den Film im Kino angeschaut – jetzt könnt ihr diese übersehene Perle im Streaming-Abo nachholen