Wer an Weltuntergangs-Kino denkt, dem kommen als allererstes wohl Katastrophenfilm-Papst Roland Emmerich und seine Filme wie „The Day After Tomorrow“ und „2012“ in den Sinn, Blockbuster wie „San Andreas“ mit Dwayne Johnson oder „Geostorm“ und „Greenland“ mit Gerard Butler. Denn das Ende der Welt ist im Kino nicht selten gleichbedeutend mit Spektakel, mit CGI-Bombast und Zerstörungswut. Was verglichen zu jenen großbudgetierten Produktionen oft untergeht, sind die kleinen, aber feinen Ausnahmen, die die Regel bestätigen.
Die Apokalypse ist – man mag es kaum glauben – nämlich die perfekte Bühne für intimes Kino, das nicht nur unter die Haut geht, sondern einen auch noch lange nach dem Abspann beschäftigt. Das zeigte lange vor Genre-Highlights wie „The Road“ mit Viggo Mortensen und „Light Of My Life“ mit Casey Affleck auch schon Michael Haneke – mit „Wolfzeit“.
Der Film feierte 2003 seine Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes, konnte zum einige Monate später erfolgten Kinostart allerdings kaum Menschen in die Kinos locken. Auf DVD erschien er lediglich 2004 sowie 2007 als Teil einer Haneke-Box – und blieb so auch im Heimkino weitestgehend unentdeckt. Nun könnte der ein wenig in Vergessenheit geratene Geheimtipp aber endlich etwas mehr Aufmerksamkeit gewinnen: Nachdem die Blu-ray-Erstauflage von 2022 kaum noch im Handel zu finden ist, gibt es „Wolfzeit“ seit dieser Woche endlich wieder in HD fürs Heimkino:
Der Verleiher Camera Obscura Filmdistribution hat auch die Neuauflage des Haneke-Bretts als Sammleredition im Mediabook veröffentlicht. Weltuntergangs-Freunde sollten einen Blick riskieren – sich gleichzeitig aber auf das Gegenteil dessen einstellen, was die eingangs erwähnten Blockbuster auszeichnet…
Darum geht's in "Wolfzeit" von Michael Haneke
Eine Katastrophe zwingt eine Familie – Vater, Mutter und Kind – zur Flucht. Worin genau das Unheil liegt und wohin es noch führen könnte? Das verrät Haneke nicht. Um dem allgemeinen Chaos zu entkommen, beschließt die Familie jedoch, die Großstadt hinter sich zu lassen und sich in der Abgeschiedenheit auf dem Land zurückzuziehen. Doch die ersehnte Sicherheit suchen sie auch hier vergeblich…
„Wolfzeit“ ist insofern ein typischer Film der österreichischen Filmemacher-Legende, als dass er sich keinerlei gängigen Regeln des Kinos fügt. Er liefert seinem Publikum keinerlei klaren Antworten, verzichtet auf ein „Toterklären“ der Umstände, die seine Geschichte umgeben, und geht einem vor allem auch aufgrund einer unterkühlt-minimalistischen Inszenierung (u.a. ganz ohne Filmmusik) nahe.
Denn es geht nicht um das „Warum“, sondern um das „Wie“. Ob es nun eine Naturkatastrophe, Außerirdische oder die Menschen selbst sind, die ihr Ende besiegeln, spielt keinerlei Rolle. Haneke schert sich nicht darum, sondern interessiert sich vor allem für die Frage, wie wir Menschen im Angesicht einer unvermeidlichen Katastrophe reagieren, welche Instinkte eine solche in uns weckt – und wozu der Mensch fähig ist, wenn er keine andere Wahl hat.
Das Ganze ist nicht nur minimalistisch, sondern vor allem schonungslos inszeniert – und ist somit nichts für jedermann, schon gar nicht für diejenigen, die einem filmischen Schlag in die Magengrube nichts Positives abgewinnen können. Aber gut, für Feel-Good-Kino ist der „Funny Games“-Macher ohnehin eher weniger bekannt…
Übrigens: Während euch in „Wolfzeit“ ein französische Star-Ensemble bestehend aus Isabelle Huppert, Daniel Duval und Béatrice Dalle erwartet, sorgte Kameralegende Jürgen Jürges für die so eindringlichen Bilder. Der Spezialist für rohe, ungeschönte und authentische Aufnahmen führte unter anderem auch die Kamera bei „Christian F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ oder dem sogar noch schwerer verdaulichen russischen Mega-Projekt „DAU“.
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