Schon bald nach seinem Erscheinen im Jahr 1929 avancierte „Berlin Alexanderplatz” von Alfred Döblin zum Bestseller und bis heute zählt das Werk zu den großen Literaturklassikern der Moderne, das in keinem Kanon fehlen darf. Bahnbrechend war die Verwendung der Montage, die Durchdringung mehrerer Ebenen, die Konzentration auf Underdogs der Gesellschaft: Die Hauptfigur Franz Biberkopf als ehemaliger Sträfling, daneben Prostituierte, Kriminelle, Zuhälter.
Bereits 1931 wurde der Stoff von Phil Jutzi verfilmt, 1980 folgte eine gefeierte Miniserie für das Fernsehen von Rainer Werner Fassbinder folgen. 2020 nun wagte sich Buran Qurbani („Wir sind jung. Wir sind stark.”) erneut daran und hob die Geschichte in die Jetzt-Zeit: Aus Franz Biberkopf wird der schwarze Flüchtling Francis B., der versucht, sich im gegenwärtigen Berlin zu behaupten. Am heutigen Mittwoch, dem 9. August 2023, zeigt Arte den Film ab 20.15 Uhr erstmals im Free-TV – und das ganz ohne Werbung!
Wer heute nicht einschalten kann, der hat noch bis 6. November die Möglichkeit, den Film in der Arte-Mediathek anzusehen. Außerdem läuft er am 15. August ab 22.45 Uhr auch noch mal im ZDF. Und natürlich gibt es den Film auch auf DVD und Blu-ray, auf der ihr außerdem einige Extras findet, wie z. B. Interviews mit dem Regisseur und den Schauspieler*innen.
Berlin – ein Abgrund, damals wie heute
Auf der Flucht aus Guinea-Bissau muss Francis B. (Welket Bungué) seine Frau Ida dem Ertrinken überlassen. An einen europäischen Strand gespült, schwört er sich, fortan gut zu sein, doch will dies nur schwer gelingen: Nach einem Vorfall bei seiner illegalen Arbeitsstelle schließt er sich dem Drogenhändler Reinhold (Albrecht Schuch) an. Immer tiefer wird er durch den vermeintlichen Freund in Berlins Unterwelt getrieben. Erst als er Mieze (Jella Haase) trifft, scheint es wieder möglich, auf den rechten Weg zu kommen...
Aus Franz Biberkopf wird zwar Francis B., doch die Stadt bleibt die gleiche: Auch fast 100 Jahre später zeigt die Neuinterpretation von „Berlin Alexanderplatz”, welch Moloch die Großstadt sein kann; wie wenig Chancen sie bzw. die Gesellschaft Individuen lässt, wenngleich sie es noch so sehr versuchen. Francis B. ist, wie auch Franz Biberkopf, ein Opfer seiner Zeit: In fünf Akten sehen wir dabei zu, wie er strauchelt, sich aufrappelt, und doch nur wieder scheitern kann.
Die 1920er stehen in der Erinnerungskultur für Aufbruch, Dekadenz, Rausch und Tanz. Doch waren sie für das Bürgertum tatsächlich weniger golden. Die Neonreklamen, das Rotlichtmilieu, das Abtrünnige, das sich auch in Gemälden von Otto Dix widerspiegelt, findet im „Berlin Alexanderplatz” der 20er des nächsten Jahrhunderts seine Entsprechung: Francis B., der sich auf der Suche nach der Erfüllung seines „deutschen Traums” später ebenfalls Franz nennen wird, bewegt sich durch Tanzbars und Etablissements, trifft auf Queerness und Niedertracht.
Rotblaue Lichter im Dunkel
Schlaglichtartig durchbohren die Neonlichter die Dunkelheit der Unterwelt und erschaffen eine ganz eigene Symbolik und beinahe traumartige Stimmung, die den Film trägt. Doch ist die Geschichte eine allzu reale: Die des Scheiterns und der versperrten Wege nämlich. Eine Geschichte von Leid und Schmerz und recht wenig Hoffnung, aus dem Off mit Romanpassagen kommentiert, die Jella Haase mit poetischer Zerbrechlichkeit rezitiert: „Doch er musste müssen”.
Während Jella Haase als Mieze die Hoffnung, die Erlösung, symbolisiert, ist Albrecht Schuch als Reinhold die Verkörperung des Bösen, der Verlockung. Seinen Reinhold mimt Schuch stets gebückt, manchmal mit beinahe zarter Stimme sprechend und mit hastigem, gebrochenen Blick.
Zwischen diesen Polen, zwischen Hasenheide und Alexanderplatz, wird Francis B. hin- und hergeworfen, und reißt den Zuschauer drei Stunden lang mit. Ein, wie Michael Meyns in seiner FILMSTARTS-Kritik treffend schreibt, „ganz großer Wurf – ein wuchtiger, greller, groß gedachter und groß bebilderter Berlin-Film”.
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