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    Im Kino aufs Klo mit RunPee? Die Pipipausen-App wird gefeiert – aber ich finde sie fürchterlich
    Björn Becher
    Björn Becher
    -Mitglied der Chefredaktion
    Seit mehr als 20 Jahren schreibt Björn Becher über Filme und Serien. Hier bei FILMSTARTS.de kümmert er sich um "Star Wars" - aber auch um alles, was gerade im Kino auf der großen Leinwand läuft.

    Habt ihr von RunPee gehört? Die angesagte Handy-App soll euren Kinobesuch verändern und sagt euch, wann ihr gefahrlos bei „Oppenheimer“, „Avatar 2“ und Co. auf Toilette könnt. Doch FILMSTARTS-Redakteur Björn Becher findet das Konzept fürchterlich.

    Universal Pictures / Warner Bros.

    Bevor ich darüber rede, warum RunPee eine absolut fürchterliche App ist, will ich euch kurz noch die Funktion der Klopausen-Hilfe fürs Kino erklären, die gerade mächtig gefeiert wird und euch in zahlreichen Artikel im Netz ans Herz gelegt wird.

    Das ist recht einfach. Ihr installiert euch die – aktuell nur komplett in englischer Sprache verfügbare und nur Filme auch mit einem US-Start unterstützende – App. Dann ruft ihr dort den Titel auf, den ihr gleich im Kino schauen werdet und startet mit Filmbeginn einen Timer. Während euch die App vorab schon mitteilt, wie viele mögliche Pinkelpausen es für einen Film gibt, wann diese sind und wie lange sie dauern, informiert euch der Timer von nun an – wie lange es bis zur nächsten Pause ist. Ihr bekommt auch direkt den Einstieg in die Szene und kurz bevor es soweit ist, vibriert euer Telefon. Und während ihr auf der Toilette seid, könnt ihr nachlesen, was ihr gerade verpasst.

    Screenshot aus der App: Noch 21 Minuten bis Pinkeln bei Webedia GmbH
    Screenshot aus der App: Noch 21 Minuten bis Pinkeln bei "Barbie".

    In den vergangenen Monaten wurde die App auch in Deutschland in mehreren Artikeln vorgestellt und in Sozialen Medien empfohlen. Es gibt längst viele positive deutsche Bewertungen in den AppStores – und das obwohl RunPee meiner Ansicht nach ganz fürchterlich ist und hoffentlich nicht im Kino nun laufend zum Einsatz kommt.

    Ihr denkt jetzt wahrscheinlich, dass ich motze, weil diese App natürlich dazu führt, dass Menschen während der Kinovorführung ihr Handy zücken und auf ihren erleuchteten Bildschirm schauen. Doch das ist für mich das geringste Problem.

    Mich verärgert viel mehr das Grundkonzept, welches nicht nur hinter der App steckt, sondern auch hinter Artikeln, die bei 3-Stunden-Filmen wie „Oppenheimer“ immer wieder im Netz erscheinen und die Grundaussage haben: „Wann könnt ihr gefahrlos aufs Klo gehen?“

    Gefahrlosen Klogang-Empfehlung gibt es nicht – denn er reduziert den Film auf Story

    Solchen Artikel und der nun gehypten App RunPee ist gemein, dass sie einen Film rein auf die Story reduzieren und in dafür „wichtige“ und „unwichtige“ Parts einteilen. Und sorry – das hat überhaupt nichts mit dem Erlebnis „Kino“ zu tun. Denn wer behauptet, dass die nächsten drei Minuten so unwichtig sind, dass man in diesen aufs Klo gehen kann, der sagt eigentlich: Diese drei Minuten müssten ganz aus dem Film fliegen. Und natürlich kann man die Meinung haben, dass bestimmte Szenen überflüssig sind, aber mit einer solchen App wird das generalisiert. Dabei haben sich die Verantwortlichen hinter dem Film etwas gedacht, warum die Szene drin ist.

    Schauen wir uns einfach mal den aktuell populärsten Kinofilm an: „Barbie“. RunPee, wo ein Team von Mitarbeiter*innen jeden Film selbst sieht, um die besten Momente für den Besuch des Stillen Örtchens zu ermitteln, empfiehlt drei mögliche Pinkelpausen:

    • Nach knapp 24 Minuten gebe es eine drei Minuten und 30 Sekunden lange „Übergangsszene, in welcher nichts Wichtiges für den Plot passiert“.
    • Nach gut 46 Minuten gebe es drei Minuten und 25 Sekunden lange „alberne Verfolgungsjagd und der Rest ist einfach zusammen zu fassen.“
    • Nach gut einer Stunde und 25 Minuten können sogar vier Minuten und 30 Sekunden verpasst werden, weil es nun „eine sehr lange Musik-Montage mit fast nur Kens und nur einem sehr kurzen Moment mit Barbies gibt.“

    Schon die Beschreibungen machen mich wütend. Szenen werden danach eingeteilt, ob „Wichtiges für den Plot passiert“, dieses „albern“ ist und sich „einfach zusammenfassen lässt“ oder es „fast nur Kens und wenig Barbies“ darin gibt (gerade letzteres verkennt die Aussagen des Films auf fast schon absurde Weise).

    RunPee-Screenshots: Nichts Wichtiges für den Plot passiert.. Webedia GmbH
    RunPee-Screenshots: Nichts Wichtiges für den Plot passiert..

    Die wunderbar ohne CGI mit Dioramen kreierte Szene, in welcher Barbie (Margot Robbie) und Ken (Ryan Gosling) das erste Mal in die reale Welt reisen sowie das erste Treffen von Barbie mit ihrer Erfinderin Ruth (Rhea Perlman) wie auch der absurde Kampf der Kens werden von der App so als unwichtige Szenen eingestuft. Und ich will hier jetzt nicht darüber diskutieren, ob der Ken-Kampf sich vielleicht ein wenig zu lang zieht – denn das ist für meinen Punkt völlig irrelevant.

    Es sind alles Szenen mit visueller und emotionaler Kraft, die ihren Platz in „Barbie“ haben und eben kein bisschen weniger wichtig sind als jede andere Szene des Films. Sie sind Teil eines Erlebnisses und nicht etwas, was man als B-Ware überspringen kann. Für manche mögen sie vielleicht sogar zu den besten Szenen des Films gehören und gerade nicht der Moment sein, den man missen will. Und übrigens: Sie sind mit den oberflächlichen Nacherzählungen in der App kein bisschen wettgemacht.

    Die Reise in die reale Welt im Warner Bros.
    Die Reise in die reale Welt im "Barbie"-Film muss man sehen!

    Ich könnte mich jetzt noch viel länger aufregen – und weitere Beispiele zitieren (bei „Oppenheimer“ sind beide Sexszenen „gute“ Pinkelpausen-Momente wie eine weitere Sequenz mit der Begründung, dass „viele Szenen daraus bereits im Trailer waren“... WTF?!).

    Doch natürlich umtreibt euch die Frage, was man dann machen soll, wenn man während eines Kinobesuchs auf Klo gehen muss?

    Geht einfach auf's Klo, wenn ihr müsst

    Ja, es ist so einfach wie die Zwischenüberschrift sagt. Es ist immer ärgerlich, wenn man ein paar Minuten Film verpasst, weil man aufs Klo muss. James Cameron hat bei „Avatar 2“ so öffentlich die Leute ermuntert, auf Toilette zu gehen, falls sie müssen und dann bitte auch nicht auf bestimmte Szenen zu warten. Wer auf's Klo muss, könne dies jederzeit tun.

    Denn Cameron ist zu recht zuversichtlich, dass sein Blockbuster die Kraft hat, auch jemanden zu begeistern, der irgendwelche beliebigen drei Minuten für einen Toilettengang verpasst hat. Und das schafft jeder gute Film. Denn Kinoliebhaber*innen wie Cameron wissen, dass seine Arbeit so viel mehr ist als einfach eine Story, der man folgen können soll.

    Mein Appell ist: Wenn es nötig ist, geht auf Toilette. Lasst euch nicht von einer App erzählen, dass ihr gerade jetzt nichts Wichtiges verpasst. Lasst nicht zu, dass ein Filmerlebnis so auf eine Aneinanderreihung von Storyelementen reduziert wird. Dass sich so ein Gedanke in den Köpfen des Publikums breit macht – davor graust es mir noch mehr als vor dem Tag, an dem 10% des Publikums gleichzeitig im Saal aufstehen, weil nun der „beste“ Moment fürs Pinkeln sei.

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