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    Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe
    Von Jonas Reinartz

    Rom, Ende 1968. Bernardo Bertolucci (Der letzte Tango in Paris) besucht eine Nachmittagsvorstellung von Zwei glorreiche Halunken. Im Projektionsraum befinden sich der Regisseur des Films, Sergio Leone, sowie der Filmkritiker Dario Argento. Die beiden sind in ein begeistertes Gespräch über Kino verstrickt, doch Bertolucci versteht es, mühelos mitzuhalten. Schon bald werden die jungen Cineasten Argento und Bertolucci engagiert, um am Treatment für Leones Western-Apotheose Spiel mir das Lied vom Tod mitzuwirken. Zwei Jahre später realisiert Bertolucci mit dem zukünftigen Star-Kameramann Vittorio Storaro „Der Konformist“ und steigt so zum Liebling des Feuilletons auf. Argento hingegen bleibt seine ganze Karriere hindurch höchst umstritten. In Fankreisen aufgrund seines visuellen Einfallsreichtums gepriesen, stören sich viele Kritiker an den von ihm inszenierten Giallo-Thrillern: Sie tadeln die schematischen Figuren, die hölzernen Dialoge sowie eine zu detaillierte Gewaltdarstellung, immerhin werden vornehmlich attraktive Damen von diversen scharfen Messern malträtiert. Von deutlich brutaleren Vertretern des Italo-Horrors einmal abgesehen, wird dabei die ausgestellte Artifizialität von Argentos Œuvre meist völlig übersehen. Ähnlich wie bei seinem kurzzeitigen Mentor Leone ist das Medium Film als solches Argentos eigentliches Thema, L’art pour l’art in Reinkultur die Folge. Dies soll die genannten Schwächen nicht marginalisieren, dennoch ist es empfehlenswert, bei seinen Werken nicht die üblichen Maßstäbe anzusetzen. Auch im Erstlingswerk „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ ist ein sinnvoller Plot kaum auszumachen, dafür aber ein überdurchschnittlicher, sehr atmosphärischer Whodunit-Krimi, der bereits nahezu sämtliche spätere Markenzeichen des spleenigen Italieners enthält.

    Der amerikanische Schriftsteller Sam Dalmas (Tony Musante) verbringt mit seiner Freundin Julia (Suzy Kendall) einige Zeit in Rom. Auf dem Nachhauseweg macht er nachts vor einer exklusiven Kunstgalerie eine schreckliche Entdeckung. Durch die gläserne Front beobachtet er im Inneren einen Mordanschlag, bei dem eine bildhübsche Frau (Eva Renzi) von einem ganz in Schwarz gewandeten Angreifer schwer verletzt wird. Zu seinem Entsetzen vermag Sam nicht zu helfen, denn er sieht sich bald zwischen zwei Schiebetüren gefangen. Glücklicherweise trifft bald die Polizei ein und die Frau wird versorgt. Sie stellt sich als Monica Ranieri heraus, die gemeinsam mit ihrem Gatten Alberto (Umberto Raho) die Galerie führt. Der mysteriöse Täter ist inzwischen spurlos verschwunden. Einzig ein hinterlassener Handschuh sorgt für vage Hinweise. Kommissar Morosini (Enrico Maria Salerno) hat indes Sam unter Verdacht, weshalb er nach einem zermürbenden Verhör dessen Pass konfisziert. Für den Kommissar steht der versuchte Mord in direktem Zusammenhang mit anderen unaufgeklärten Attacken auf wehrlose weibliche Opfer. Bei seinen selbst angestellten Ermittlungen gerät der vermeintliche Täter Sam bald in höchste Lebensgefahr…

    Nun ist die Frage, worum es sich bei einem Giallo überhaupt handelt, durchaus berechtigt und eine einfache Antwort fällt nicht allzu leicht. Ursprünglich wurden unter diesem Begriff unterschiedliche italienische Groschenheftchen zusammengefasst, die sich reißerischen Themen widmeten und allesamt gelbe (italienisch: giallo) Cover besaßen. Bald ging das Etikett auch auf filmische Vertreter über, wobei Dario Argento neben Mario Bava („Blutige Seide“, Baron Blood) als Begründer des Filmgenres gilt. Den Grund hierfür hat Michael Mackenzie auf den Punkt gebracht: „Argento hat die Ansätze seiner Vorgänger gebündelt und zu einem unzählige Male kopierten Konzept verschmolzen, das gerade international mit dem Label Giallo gleichgesetzt wird.“ Ein mysteriöser, stets mit Mantel, Fedora-Hut und Handschuhen ausgestatteter Mörder, mittels Vulgär-Freudianismus erklärte (Kindheits-)Traumata (à la Psycho), Plansequenzen aus der Sicht des Täters, etliche Plot-Twists und nicht zuletzt ein unschuldiger, nichts ahnend in die Bedrouille geratender Protagonist (ähnlich wie bei etlichen Hitchcock-Filmen) finden sich bereits in seinem Debüt.

    Im Großen und Ganzen vermag das Ergebnis blendend zu unterhalten. Tony Musante, amerikanischer Beau par excellence, verkrachte sich zwar angeblich mit seinem Regisseur, was bei diesem ein generelles Desinteresse an Schauspielern ausgelöst haben soll. Doch dem fertigen Film sieht man dies nicht an, denn als Yankee in Rom macht Musante eine gute Figur, ganz im Gegensatz zu Suzy Kendall („Fräulein Doktor“, „Torso - Die Säge des Teufels“), die neben einem adretten Äußeren kaum etwas zu bieten hat. Einen besseren Eindruck hinterlassen - wie so oft bei Argento - die Akteure in Nebenrollen: Der viel beschäftigte Enrico Maria Salerno (Der letzte Zug nach Durango, „Es war Nacht in Rom“), damals vor allem ein renommierter Theaterschauspieler, überzeugt mit einer sympathischen Mischung aus Starrsinn und mediterraner Freundlichkeit, während Mario Adorf (Die verlorene Ehre der Katharina Blum, Rossini) gerade deutsche Zuschauer mit einem ungewohnt skurrilen Gastauftritt amüsiert.

    Ohnehin bringt Argento Dialogszenen routiniert hinter sich, um dann in den Suspense-Sequenzen zu Höchstform aufzulaufen. Die Attacke zu Beginn, mit ihren raschen Perspektivenwechseln und einer zunehmenden visuellen Verdichtung, gerät zu einem Kabinettstück puren Kino-Terrors. Und selbst relativ unspektakulär erscheinende Momente entfalten, nicht zuletzt dank Ennio Morricones verträumtem 70er-Jahre-Score, eine hypnotische Wirkung. Es ist noch nicht der barocke Stil eines Suspiria, aber gerade für einen Erstling doch ein bemerkenswertes Niveau. Daneben ist es einfach ein großes Vergnügen, über die Identität des Mörders zu spekulieren, zumal etliche falsche Fährten die Lösung erschweren. In dieser Hinsicht sind Gallios einem klassischen Krimi wie Miss Marple: Der Wachsblumenstrauß näher, als man zunächst glauben mag. Aufgrund der nachweisbaren Orientierung der italienischen Pulp-Literatur am britischen Kriminalroman ist dies letztlich jedoch nur eine logische Konsequenz. Die abstrusen Plots sind da verzeihlich und tragen erheblich zum Charme des Genres bei.

    In E.T.A. Hofmanns letzter Erzählung „Des Vetters Eckfenster“ (1822) stattet der Ich-Erzähler seinem gelähmten Vetter einen Besuch ab. Der schwer Erkrankte, ein erfolgreicher Literat, führt dabei den Verwandten in sein Kunstkonzept ein. Mittels eines Fernglases beobachtet er die Menschen auf dem Gendarmenmarkt, so dass er aus den sinnlichen Eindrücken Material für „eine Skizze nach der andern“ sammelt. Grundvoraussetzung ist „ein Auge, welches richtig schaut“. Eine Variation dieser Konstellation findet sich in Alfred Hitchcocks Das Fenster zum Hof, in dem James Stewart, von einem Gipsbein geplagt, seinen Nachbarn aus dem Fenster überwacht und ihn als Mörder verdächtigt. Hier fungiert der Voyeur als Alter Ego des Regisseurs. Argento, oft als italienischer Hitchcock tituliert, geht noch einen Schritt weiter. Bei seinen Hauptfiguren handelt es sich fast ausnahmslos um Künstler im weiteren Sinne, etwa Musiker oder Schriftsteller, wie auch Sam Dalmas einer ist. Wie im Hoffmanschen Text geht mit künstlerischer Sensibilität eine geschärfte Beobachtungsgabe einher. So sind Argentos Filme auch unerwartet clevere Reflexionen über Blicke und Wahrnehmung - des Täters, des Opfers, des Zeugen, des Zuschauers und nicht zuletzt des Filmemachers, wobei die Grenzen selbstverständlich fließend sind.

    Gerade in der Idee, bei Großaufnahmen der Mörderhandschuhe selbst vor die Kamera zu treten, drückt sich der spielerische Duktus Argentos aus, zumal die durchaus berechtigten Einwände von feministischer Seite angesichts der Gewalt gegen weibliche Figuren so in gewisser Weise entkräftet werden. Ist die Brutalität in den Filmen eines Mannes, der sich selbstironisch als Täter inszeniert, wirklich ernst zu nehmen? Hinzu kommt ein ausgesprochener Kunstwille. Morde sind im filmischen Universum Argentos eine Art blutige Performancekunst - am besten ist dies in jener berühmt-berüchtigten Einstellung in „Tenebre“ ersichtlich, in der eine Blutfontäne auf eine weiße (Lein-)Wand spritzt. Vittorio Storaros agile Kamera kann in „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ gar nicht genug bekommen von architektonischen Besonderheiten oder extravaganten Blickwinkeln. Auch für die Lösung des Geheimnisses ist ein Kunstwerk, genauer gesagt: ein Gemälde, das an den Stil des niederländischen Malers Pieter Brueghel des Älteren erinnert, entscheidend. Angesichts der unheilvollen Kraft eines Bildes landet man schnell bei der schwarzen Romantik, so dicht ist das Netz der Verweise gestrickt. Hier ist fast alles schön, eben auch die Mordopfer. Dies soll nicht die etwas heikle Gewaltdarstellung beschönigen, doch angesichts des vergleichsweise hohen Reflexionsgrades sowie der wirklich bedenklichen Brutalität bei Giallo-Kollegen wie Lucio Fulci („New York Ripper“) wirkt das Töten - gerade beim frühen Argento - doch eher zahm.

    Fazit: „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ bietet einen idealen Einstieg in den düsteren Filmkosmos des Horrormaestros Dario Argento. Ein unheimlicher Killer, spektakuläre Spannungsmomente und ein wendungsreicher Plot, der immer wieder zum Mitraten einlädt, lassen Unlogisches rasch vergessen und bereiten ein Thriller-Erlebnis. Heutzutage würde ein solcher Film, vor allem in dieser kunstvollen autoreflexiven Form, wohl kaum noch entstehen, sind die goldenen Tage des europäischen Genrekinos doch längst vorüber. Ein kleiner Nostalgietrip wird dem Zuschauer also auch noch geboten. Herzlich Willkommen in Argentoland.

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