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    Watership Down - Unten am Fluß
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Watership Down - Unten am Fluß
    Von Hans Riegel

    Ist die Rede vom Zeichentrickfilm, fühlt sich der Erwachsene nicht tangiert. Zeichentrickfilme sind mehr noch als Animes für Kinder und nur für Kinder interessant. Filme, in denen wie bei Walt Disney oft Tiere sprechen und die halbe natürliche Umwelt quasi handelnd zum Charakter des Films beiträgt, können mitnichten für Erwachsene konzipiert sein. Doch wo Disney seiner Idee von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ (1951) noch einige Szenen nur beimengte, um Zugeständnisse ans Kinderpublikum zu machen, greift Regisseur Martin Rosen 1978 bei „Watership Down“, der Verfilmung des Bestsellerromans von Richard Adams, bloß noch auf das Medium Zeichentrick zurück, weil die Realverfilmung am Schauspielwillen der Kaninchen scheitern musste. -

    Unheil zieht herauf, nimmt Wald und Feld in seinen Bann blutend roter Dunkelheit. Fiver, unter den Kaninchen eines der ängstlichsten, hat eine Vision vom Untergang seines Geheges. Er warnt die anderen, doch nur treue Freunde wie Bigwig und sein mutiger Bruder Hazel folgen seinem Ruf. Gemeinsam machen sie sich auf, das gelobte Land zu finden, Watership Down, das Fiver von unsichtbaren Wolkensäulen des Tags, von Feuersäulen des Nachts geleitet finden wird.

    Der große Wolf schuf die Welt und er schuf alle Tiere. Sie waren alle gleich. Doch dann vermehrten sich die Wildkaninchen unter ihrem Fürsten El-Ahrairah und hinterließen nur kahle Felder. El-Ahrairah war hochmütig ob seines starken Volkes. Das machte Wolf wütend und er segnete darauf die anderen Tiere und machte sie zu Fuchs und Wiesel, Hund und Katze. El-Ahrairah lernte das schwarze Kaninchen des Todes kennen: Sein Volk starb, denn plötzlich gab es Jäger unter den Tieren. Doch Wolf segnete auch El-Ahrairah (sein Hinterteil). So wurde er auf der Welt zum schnellsten Geschöpf. „Die ganze Welt wird dein Feind sein, Fürst mit tausendfachen Feinden. Und wann immer sie dich fangen, werden sie dich töten. Aber erst müssen sie dich fangen, Gräber, Lauscher, Fürst der schnellen Warnung. Sei schlau und voller List, und dein Volk wird nie vernichtet werden.“

    Die Kaninchen glauben an ihre Mythen vom Fürsten El-Ahrairah und vom Kaninchen des Todes. Ist einer dem Tode nahe, kommt das sich sichelförmig krümmende Schwarze und nimmt ihn mit sich. Religiöse Vorstellungen und Glaube, schon in Richard Adams’ Roman vorkommend, sind singuläre Momente einzig der menschlichen Existenz. Die Protagonisten dieses Films werden, obgleich sie, Kaninchen, äußerlich tierisch bleiben, anthropomorphisiert. Figuren wie Fiver, dessen charakterlicher menschlicher Typus jedem bekannt ist, der darob unmittelbar als Persönlichkeit angenommen wird, sind signifikant für Martin Rosens Filme, für Richard Adams’ Romane.

    Mit der von John Hubley realisierten Eröffnungssequenz, die, an altsteinzeitliche Höhlenmalerei angelehnt, etwa auch bei Kasimir Malewitsch und der naiven Malerei kostend, anschaulich den Mythos von Wolf und der Welt und gleichsam die Genesis beschreibt, zeichnet Rosen, der zuerst Produzent, später auch Regisseur ist, in den Wind, was sich dereinst beim Zuschauer teils leise wimmernd, teils allzu laut heulend als das Anliegen von „Watership Down“ eingibt. Augen sind danach das Erste, das der Mensch erblickt. Viel Wert legt dieser Film auf die Augen der Kaninchen, seiner handelnden Figuren, mit denen die Identifikation stattfindet in dem Augenblick, da man Fiver und Hazel gewahrt; ruhig und saturiert kauern sie im aquarellen Gras des südlichen Englands, bis Fiver, eine Zigarettenkippe entdeckend, dem Fatum traumwandlerisch ins grässliche Antlitz blickt.

    Außergewöhnliche Kraft geht von den Landschaftsmalereien aus, den kleinen, detaillierten Feinheiten, die allerorts blinzeln. Saftig grüne Wiesen, die reichliche Sättigung erfahren haben, wechseln sich ab und unterliegen schließlich, bis am Ende die Wende, die Erfüllung der Prophezeiung kommt, den gedeckten dunkleren Tönen, dem wieder mystischen Charakter der Reise. Dem entgegen steht leider eine unzeitgemäße Animationstechnik, jenes Eisen, das, so fern Walt Disney hier auch gewünscht sein möge, in dessen Schmiede bereits seit Jahrzehnten mit mehr Liebe bearbeitet und zu reiferem Glanz gebracht wird. Obgleich hierin etwas Ungelenkes steckt, trägt doch die Machart, bei „Die Hunde sind los“ (1982) wieder zu finden, eine derart selbstständige, unverwechselbare Signatur, dass sie zum besonderen Zug des Films beiträgt.

    Wenn man die Ziegel dupliziert

    Und gar zu sehr tyrannisiert

    Und das Volk zu Gott seufzt und schreit,

    So ist Hazel gewiss nicht weit.

    Die Befreiung des Volkes Israel und die Hinführung ins gelobte Land sind neben dem Empfangen der Zehn Gebote die wesentlichen dem öffentlichen Wissen geläufigen Bestandteile des biblischen Exodus. Nachdem Hazel, der mittlerweile zum Anführer der Reisenden geworden ist, bemerkt hat, dass dem neuen Gehege auf dem Hügel Watership Down die Weibchen fehlen, um eine Sippe von Bestand zu gründen, bemühen sich die Kaninchen um ebendiese neu zu gewinnenden Tiere.

    Die Befreiung domestizierter Hauskaninchen aus dem Stall eines nahe gelegenen Bauernhofes scheitert. Hazel gerät in Todesgefahr und Fiver erahnt schon zu Mike Batts „Bright Eyes“ (von Art Garfunkels Stimme mit dem Film im Gefolge zum Welthit gemacht) das schwarze Kaninchen des Todes. Da taucht ein Owsla (größere, stärkere Kaninchenart) aus dem früheren Gehege auf: Es sei zerstört worden, die meisten seien im Bau umgekommen, alles sei Tod und Verderben preisgegeben. Auf dem Weg zu ihnen habe er das Volk der Efrafa gesehen, ein geknechtetes Volk in Repression, beherrscht vom brutalen General Woundwort und seinem faschistoiden Gefolge.

    Moses führt, wie es seine Bestimmung verheißt, die zur Befreiung Bereiten aus Efrafa nach Watership Down. Anders als in der Bibel, müssen er und die seinen sich nicht der dort lebenden Völker auf brutale Weise entledigen. Sie müssen sich General Woundworts erwehren, der sie gesucht, gefunden und eingekesselt hat. In seinem Bau harrt der größte Teil der Kaninchen unter der großen Eiche, die den Hügel gen Himmel abschließt, des Eindringens der Feinde, des Massakers, während Hazel und andere schnelle Läufer die Idee einer Rettung anderenorts in die Tat umsetzen. Bigwig, ebenfalls Owsla, ist es, den Woundwort für den Anführer hält. Im Kampf unterliegt Bigwig, doch das ist nicht das Ende...

    Martin Rosen übernahm nach einem Jahr der Vorbereitung, währenddessen Storyboards erstellt worden waren, die ihm nicht gefielen, auf Drängen seiner Investoren außer der Produktionsleitung ebenfalls die Regie über den Film. Es war sein erster. Vielleicht, so sagt er selbst, danke man es seinem Mangel an Erfahrung, seinem Zweifel, ob dieser Roman aus den Bestsellerlisten tatsächlich für Kinder sei, dass mit der Verfilmung desselben etwas nicht gänzlich, aber doch wünschenswert Neues in den Trickfilm einzog.

    „Wir glauben in die Tiefe der Abgründe hinabgetaucht zu sein, und wenn wir wieder an die Oberfläche kommen, gleicht der Wassertropfen an unseren bleichen Fingerspitzen nicht mehr dem Meere, dem er entstammt.“ (Robert Musil)

    - „Watership Down“ schürft, ganz der Romanvorlage verpflichtet und nur die Mittel des Films nutzend, in den Tiefen menschlicher Gefühle, gräbt seine Spitzhacke in die bluttriefenden Stollen wie biblisch motivierter Wanderungen, die Entscheidungen zwischen Eigen- und Gemeinwohl, für Tod oder Leben mit sich führen, und hat an seinen Läufen dunkle, rote Tropfen hängen. Das düstere Flair des Werkes - dieses ist es, das in Erinnerung bleibt - ist dem Kind über die seinerzeit auf neuartige Weise präsentierten Phänomene der Gewalt und Fürsorge zugänglich; die soziologischen, philosophischen Ebenen, erkennbar, wenn die Tropfen von der Oberfläche wieder in die Tiefe sinken, erschließen sich wohl nur dem Erwachsenen. „Watership Down“ ist ein Familienfilm der anderen Sorte, geeignet für diejenigen (nicht zu jungen) Kinder und Erwachsenen, die zugunsten von etwas mehr Realismus im Trickfilm, etwas weniger Disney-Pathos und klügerer Dramaturgie nicht zuviel Wert auf makellose Animation legen; ein Film, der zeitlos noch viele moderne Trickfilme überleben wird.

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