Das Sundance Film Festival bringt in schöner Regelmäßigkeit kleinere und größere Filmperlen ans Licht der Öffentlichkeit. Aus dem Jahrgang 2005 ging zum Beispiel Doug Sadlers zweiter Spielfilm „Swimmers“ hervor (oder auch die schräge Komödie Napoleon Dynamite). Das superb gespielte Familien-Melodram erhielt Ende März 2006 in den USA immerhin einen kleinen Kinostart mit wenigen Kopien und wurde dem deutschen Publikum beim Filmfest Hamburg 2005 vorgeführt. Zurecht, denn wer genau hinsieht, kann ein außergewöhnliches junges Talent entdecken: Tara Devon Gallagher (Mad Hot Ballroom), die in der Hauptrolle begeistert.
Die elf Jahre alte Emma (Tara Devon Gallagher) trifft das Schicksal im ländlichen Maryland hart. Das intelligente, ernste junge Mädchen muss das Schwimmen, ihre große Leidenschaft, aufgeben, nachdem sie an einer Ohrkrankheit leidet, die auch noch kostspielig behandelt werden muss. Ihre Eltern Will (Robert Knott), ein saufender Fischer, und Julia (Cherry Jones), eine desillusionierte Hausfrau, haben schwer an der finanziellen Bürde zu schleppen. Als auch noch Wills Boot durch eigenes Verschulden abbrennt, steht die Familie Tyler vor dem finanziellen sowie zwischenmenschlichen Ruin. Emma freundet sich derweil mit der Außenseiterin Merrill (Sarah Paulson) an. Die seelisch sehr fragile junge Frau ist nach einigen persönlichen Enttäuschungen in ihren Heimatort zurückgekehrt. Emmas älterer Bruder Clyde (Shawn Hatosy) versucht sich etwas plump und ungelenk an Merrill heranzumachen, während ihre Freundschaft zu Emma sich gegen den Willen der Eltern vertieft...
„Swimmers“ steht für klassisches Independent-Kino – allerdings der wohltuenden Sorte. Das preisgekrönte, herbe Drama (Festival-Auszeichnungen: Sundance, Finalist Humanitas Prize; Seattle, Best New American Film; Savannah, Best Director & Narrative Feature; Cartagena, Best Script & Best Actor; Festroia, Best American Independent Film) ist nicht hip oder gar cool, nur nüchtern, präzise, bitter und doch menschlich. Regisseur und Autor Doug Sadler legt seine kleine, unspektakuläre Geschichte jenseits der knalligen Hollywood-Dramaturgie an und setzt voll auf die außergewöhnlich guten darstellerischen Leistungen seines Personals. Tara Devon Gallagher, die bereits in Marilyn Agrelos vielbeachteter New Yorker Tanz-Doku „Mad Hot Ballroom“ zu sehen war, feiert ein erstaunliches Spielfilmdebüt. Mit ihrem zurückhaltenden, aber trotzdem eindringlichen und ausdrucksstarken, charismatischen Spiel ist sie ein Talent, das für die Zukunft einiges verspricht – sollte sie sich für eine Schauspielkarriere entscheiden.
Robert Knott (Pollock) gelingt ebenfalls eine anrührende Performance der kleinen Gesten als verbitterter Säufer, dem sein Leben nach und nach aus dem Ruder läuft. Trotz aller Defizite und Aussetzer hält ihn die Liebe zu seiner Tochter mit seiner Frau Julia einigermaßen zusammen. Für Cherry Jones (Signs, The Village) gilt ähnliches Lob wie für Knott. Auch wenn sie als Mutter Fehler macht, ist sie stets um das Wohl ihres Kindes bemüht. Es ist aber für den Zuschauer schmerzhaft mit ansehen zu müssen, wie die Eltern trotz guter Absicht eben nicht immer das Richtige tun und sich stattdessen immer tiefer in die Misere reiten. Jones’ Ausstrahlung ist extrem herb, der Rolle exakt angemessen, um die beabsichtigten Emotionen vermitteln zu können. Nicht unerwähnt bleiben darf auch die feine Vorstellung von Sarah Paulson (Serenity, Down With Love), deren schwieriger Charakter sich perfekt in das düstere Spannungsfeld des Melodrams einpasst.
Die Kameraarbeit von Rodney Taylor, der schon Sadlers Debüt „Riders“ (2001) betreute, unterstützt und vertieft die raue Stimmung des Films. Das Wasser spielt in „Swimmers“ eine bestimmende Rolle und dient an der Küste Marylands als Metapher für das Leben, spiegelt die Hoffnungen und Ängste der Bewohner wider. Aber auch wenn die Bilder teils sehr schön anzuschauen sind, nutzen Sadler und Taylor nicht immer die vollen Möglichkeiten der großen Leinwand. Die karge Dramaturgie wird einem Mainstreampublikum ebenfalls zu schaffen machen, aber dieses wird den sehenswerten Film wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen. Und das ist auch gut so... Doug Sadlers pessimistische Innenansicht des amerikanischen Provinzlebens ist keineswegs exemplarisch oder gar universell zu sehen, aber unterschwellig schwingt doch ein Anflug dessen mit, wie sich die Stimmung in den USA in der desaströsen Amtszeit der Bush-Administration gewandelt hat...